13.11.2013, 11:36 Uhr
Swiss ICT Awards als Speerspitze der IT-PR-Arbeit
Die Swiss ICT Awards 2013 haben eine tolle Show geboten. Wie die heimische IT-Branche daraus lernen kann, auch ausserhalb der Szene beachtet zu werden.
Ispin-CEO Marco Marchesi (Mitte) freut sich über die Auszeichung «Champion». Mit ihm auf dem Bild Laudator Peter Wick (Meteo) und Moderator Reto Lipp (SRF-ECO). Die grossen Medien hätten also Interesse an der ICT, sie muss sich nur präsentieren
Wer kennt ihn nicht, den bleichhäutigen, bebrillten Jugendlichen, der in der Schule nur 6en hat, dafür keine Freunde. Der den Computer der Nachbarin zum Laufen bringt, aber noch nie mit ihr oder sonst einem Mädchen Speichel getauscht hat. Der über Konrad Zuse Lobeshymnen schreiben kann, aber mit Clerasil auf Kriegsfuss steht. So wurde ein Informatiker vor 30 Jahren beschrieben. Und er wird es immer noch, wenn an irgend einem Bahnhof eine zufällig ausgewählte Person um die Personenbeschreibung eines IT-Spezialisten gebeten wird. Obwohl mittlerweile längst klar sein sollte, dass der ITler in den letzten 20 Jahren an mehr Innovationen beteiligt gewesen ist, als jeder andere Berufstätige. Doch macht ihn das cool? Oder begehrenswert? Keineswegs. Das altbackene Bild ist viel zu verbreitet, ein daraus resultierendes Ereignis ist der Fachkräftemangel in der IT. Denn welche Mutter will schon ihren Sohn in einen Berufszweig schicken, in welchem sie davon ausgehen muss, dass er mit 30 Jahren noch zuhause rumsitzt? Würde man der Mutter aber erzählen, dass ohne den Informatiker die Menschen weiterhin so leben würden wie im Mittelalter, sie würde ihren Sohn sogar motivieren, einen Beruf in der IT zu ergreifen. Leider, aus Sicht der IT-Branche, muss der letzte Satz aber im Konjunktiv geschrieben werden, schuld daran ist alleine die IT-Branche selbst. Denn es ist die Wahrheit, ohne IT funktioniert das moderne Zeitalter nicht mehr ? auch wenn das Mittelalter etwas gar weit hergeholt ist. Das zu kommunizieren hat die Branche bisher aber nicht geschafft.
Verantwortung übernehmen
Denn jeder Nicht-ITler der darüber nachdenken würde, würde zum gleichen Schluss kommen. Er könnte auch sofort mindestens 5 IT-Firmen aufzählen, welche die Welt verändern (Apple, Google, Microsoft, Facebook, IBM). Trotzdem klagt die Branche dauernd über Wahrnehmungsprobleme, der geschätzte Kollege von www.inside-it.ch, Christoph Hugenschmidt, sagte am gestrigen Swiss ICT Symposium, dass er gerade zum gefühlten 50sten Mal an einer Veranstaltung über Fachkräftemangel in der IT sei. Alle wollen also reden, aber niemand tut etwas. Ständig klagen zudem Branchenvertreter und Sympathisanten, dass sie in den Medien nicht gut genug vertreten sind und dass darum die Wertschätzung der Öffentlichkeit fehlt. Aber Probleme abzuschieben, ist auch ein Hauptgrund dafür, dass derart viele IT-Projekte missraten. Würde jemand hinstehen und die Verantwortung übernehmen, beim nächsten Mal könnte einiges besser gemacht werden. So verhält es sich auch mit Öffentlichkeitsarbeit der IT. Doch man ist nicht gewillt, sich selber für das Wohl der Allgemeinheit zu entblössen. Obwohl beispielsweise jeder weiss, dass der Fachkräftemangel ein riesiges Problem ist, auch weil US-Firmen wie Google oder Microsoft die besten ETH-Absolventen abschöpfen aber keinen eigenen Nachwuchs ausbilden, macht niemand etwas dagegen. Man wartet ab. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Swiss ICT macht's vor
Fantastische Swiss ICT Awards
Zum Glück für die ICT gibt es nicht nur Trittbrettfahrer. Der Branchenverband Swiss ICT versucht seit einigen Jahren, Sprachrohr der heimischen IT-Szene zu sein. Höhepunkt sind jeweils die seit 2004 abgehaltenen Swiss ICT Awards, die selbsternannten Oscars der Branche. Oscars ist hochgegriffen, sie sind das Nonplusultra im Showgeschäft. Doch es ist gut, wenn mit der grossen Kelle angerührt wird. Die Trittbrettfahrer springen dann gerne mit auf, die Aufmerksamkeit steigt. Und das Label ist keineswegs unangemessen. Im KKL Luzern versammelten sich gestern gemäss Anmeldetalons 800 Menschen, um den Awards beizuwohnen. Das sind 100 Personen mehr als noch im Vorjahr, und schon das war Rekord. Bei den Verantwortlichen hat man bereits Sorgen, dass das KKL, eines der grössten Kongresszentren der Schweiz, bald zu klein sein könnte. Die ICT-Branche mit Angst vor der eigenen Grösse? Eine neue Erfahrung. Denn die Swiss ICT Awards kokettieren nicht, sie zeigen auf, zu was die IT-Branche in Sachen Selbstvermarktung in der Lage ist. Und das schreiben wir nicht, weil wir Medienpartner sind. Es war eine von A bis Z eindrückliche Show, die wirklich etwas vom Hollywood-Glamour hat. Wenn dort die verschiedenen Awardanwärter in Videos erzählen, was sie machen, warum sie es machen und warum sie es in der Schweiz machen, wird jedem Zuhörer klar, dass die Schweizer ICT einen besonderen Platz im Gebilde der Schweizer Wirtschaft einnehmen muss. Wenn Menschen wie Ständerat Hans Hess, Präsident des mächtigsten Industrieverbands Swissmem und Vizepräsident von Economiesuisse, FDP-Nationalrat Ruedi Noser, Wetterfrosch Peter Wick oder Vermögensverwalter Frédéric Chanson Laudatoren der Award-Gewinner sind, zeigt dies, dass die Schweizer ICT in Politik, Wirtschaft und Medien einiges an Gewicht haben könnte. An der gestrigen Veranstaltung waren aber nur die Fachmedien anwesend, von SRF oder den Boulevardzeitungen keine Spur.
Die Sieger
So berichten denn auch nur Fachmagazine über die Gewinner. Die Swiss ICT-Awards werden in 2 Kategorien vergeben, für Unternehmen und für Personen. Dabei gibt es jeweils einen Preis für einen «Newcomer» und einen für einen «Champion», der sich bereits in der Branche etabliert hat. Als Sieger in der Kategorie Champion ging bei den Unternehmen die Firma Zühlke hervor, die 1968 gegründet wurde und letztes Jahr mit 550 Mitarbeitenden einen Umsatz von 99 Millionen Franken erwirtschaften. Ebenfalls nominiert waren AdNovum, Mespas, MindOnSite und Dacadoo, die den «Public Award» erhielten, eine Auszeichnung der Leser von «Swiss IT Magazine». Der «Special Award» ging nach Bundesbern. Die «Parlamentarische Gruppe fr digitale Nachhaltigkeit, die sich seit gestern «ParlDigi» nennt weil es einfacher zu twittern ist, wurde für ihren Einsatz für die Belange der ICT honoriert. Namentlich besteht die Gruppe im Kernteam aus den Parlamentarieren Edith Graf-Litscher, Kathy Riklin, Rosmarie Quadranti, Christian Wasserfallen, Balthasar Glättli, Thomas Weibel und Lukas Reimann, der als einziger der Gruppe gestern fehlte. Ebenfalls Mitglied ist der Initiant und Geschäftsleiter Matthias Stürmer. Als bestes Newcomer-Unternehmen wurde die Firma «Starmind» gekürt, die ein künstliches Hirn entwickelt hat. Da praktisch keinem Anwesenden gestern klar war, was es mit diesem «Hirn» auf sich hat, wird die Computerworld Starmind in Kürze porträtieren. Bei den Personen gewann Ispin-CEO Marco Marchesi den «Champion Award», dem momentan in den Schlagzeilen stehenden Thema IT-Security wurde also auch bei der Award-Vergabe Beachtung geschenkt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Newcomer des Jahres mit Vorbildfunktion
Newcomer des Jahres mit Vorbildfunktion
Als Newcomer-Persönlichkeit des Jahres wurde Manuel Grenacher ausgezeichnet. Er hat den SAP-Dienstleister Coresystems gegründet, ein Unternehmen mit mittlerweile 140 Mitarbeitern und 100 000 Anwendern weltweit. In einem Kurzinterview mit uns rät er Menschen, die ebenfalls erfolgreiche Unternehmer werden wollen, dies immer zuerst im B2B-Bereich zu versuchen. «Dort ist mehr Geld vorhanden», sagt Grenacher, der für Coresystems in 2 Jahren 20 Millionen Franken Risikokapital akquirieren konnte. «Im B2C-Geschäft dagegen ist die Luft dünn, Investoren sind schwerer zu knacken.» Mit seiner neusten Firma Mila, ein Entrusted Service Marketplace, versucht er nun aber auch, in dieses Segment einzugreifen. «Wenn das Vertrauen da ist, geht es einfacher», sagt Grenacher dazu. Dieser Satz von Grenacher kann auf die heimische ICT-Szene übertragen werden. Vertrauen aufbauen. Zuerst zueinander, danach gegen aussen. Als Einheit auftreten, Events wie die Swiss-ICT-Awards zelebrieren (aber nicht zu viele davon, wenige Höhepunkte sorgen für Aufmerksamkeit), offensiv kommunizieren. Dann steht die ICT bald nicht mehr nur mit Negativschlagzeilen in der «NZZ» oder dem «Tagi», dafür ist die Branche schlichtweg viel zu wichtig. Erst wenn dies geschieht, wird das Bild des Informatikers der Realität angepasst und die Mutter freut sich, wenn der Sohn eine IT-Lehrstelle ergattern konnte.