27.09.2013, 11:50 Uhr
«In der IT-Branche fehlt es an Vorbildern»
Thomas Flatt, Präsident von Swiss ICT, über die angeblichen Nachwuchsprobleme in einer stark individualisierten Branche und warum es keine Serien über IT-Profis gibt.
Computerworld: Am ICT Symposium, das vom Swiss ICT im November veranstaltet wird, werden einige heisse Eisen diskutiert. Unter anderem heisst ein Vortrag «Fachkräftemangel – selber schuld!». Können Sie sich diesem brutalen Statement anschliessen?
Thomas Flatt: Es ist eine knackige Überschrift. Kurze Antwort: Ja.
Und eine etwas längere Antwort?
Die Informatik-Branche hatte in den letzten 20 Jahren kein einziges reales Problem. Dann hat sich die Branche eines gesucht und keines gefunden. Was übrig blieb, war der Mangel an Nachwuchs.
Das ist jetzt aber auch ganz schön knackig.
Ja. Die Akteure einer Branche, die von Wachstum und Erfolg so verwöhnt waren wie wir, die kümmern sich nicht um langfristige Fragestellungen . So entstanden auch keine langfristig ausgerichteten Strukturen wie z.B. im Kaufmännischen Verein – Ausbildung ist dabei nur ein Thema. Unsere, unterdessen nicht mehr ganz so junge, Branche ist nun aber dabei erwachsen zu werden: Sie kümmert sich jetzt auch um den Nachwuchs.
Die Computerworld-Umfrage unter den 500 umsatzstärksten ICT-Firmen der Schweiz zeigt aber: Die Lehrlingsausbildung wird noch immer stark vernachlässigt. Der Verband wäre stärker gefordert.
Es gibt aber positive Signale: In den letzten drei bis vier Jahren ist die Zahl der Lehrabgänger in der Branche gestiegen. Ob das nur an den Anstrengungen der Verbände liegt oder einfach Zufall ist, das sei dahingestellt. Der Punkt ist aber: Im Moment können wir gar nicht alle Lehrstellen besetzen. Wir haben ganz einfach zu wenig Kandidaten und Kandidatinnen, die für diese Lehrstellen qualifiziert sind. Das heisst, wir in der IT sind kein Spezialfall mehr, sondern kämpfen wie alle anderen auch um die Talente, die in diesem Lehrstellensegment vorhanden sind.
Und wie kann dieser Kampf aussehen?
Wir müssen uns besser vermarkten und positionieren. Daran arbeiten wir. Eines dieser Mittel sind beispielsweise interessante Symposien wie das im November, die hoffentlich auch verstärkt von den Medien aufgenommen werden.
Der Ruf der IT beim Nachwuchs – und nicht zuletzt bei den Eltern – ist halt nicht der Beste - obwohl es die wahrscheinlich bewegteste und innovativste Branche der Schweiz ist. IT-Profis gelten als Nerds, die immer in den Bildschirm starren, IT-Stellen sind vor allem in den Schlagzeilen, wenn sie wieder mal zu Tausenden abgebaut werden. Wie kann der Verband den Ruf der IT-Berufsbilder positiv beeinflussen?
Das ist die Gretchenfrage, mit der wir uns seit Jahren herumschlagen: Wie verbessern wir die Wahrnehmung der Informatik? Hätten wir die Antwort, müssten wir nicht mehr darüber diskutieren. Das Thema ist nicht Informatik im Speziellen, sondern technische Berufe im Allgemeinen. Ich wäre schon zufrieden, wenn es mehr Ingenieure und Physiker gäbe. Aus denen hat man dann meist schnell einen Informatiker gemacht.
Und wieso ist der Ruf nun so schlecht?
Im Kern fehlt es an Vorbildern. Sowohl im unmittelbaren Umfeld als auch den Medien. Lassen Sie es mich vereinfacht und plakativ ausdrücken: Es gibt relativ wenige Fernsehserien, in denen erfolgreiche Informatiker eine Rolle spielen. Im Gegensatz zu Anwälten, Ökonomen, Ärzten und sogar Bankern. Auch geht niemand davon aus, als Informatiker reich zu werden. Es gibt zwar ein paar sehr berühmte Ausnahmen. Diese Menschen werden aber mehr als Erfinder, Unternehmer oder schlicht als Rockstars denn als Informatiker wahrgenommen. Anders ist die Wahrnehmung aber in anderen Berufen. Viele Jus Studenten gehen davon aus in Zukunft gut bis sehr gut zu verdienen. Gleich denken übrigens auch viele, die sich für eine kaufmännische und gegen eine technische Lehre entscheiden.
Auf der nächsten Seite: Thomas Flatt über die Feminisierung der Ausbildung und den Lehrplan 21.
Computerworld: Es gibt aber andere Gründe, einen Beruf zu wählen, als Fernsehserien und finanzielle Erwägungen.
Thoas Flatt: Ja, und damit sind wir beim dritten Grund: Der Feminisierung der Ausbildung und dem Verhalten unserer unmittelbaren Vorbilder. Feminisierung meine ich bewusst im stereotypen Sinn. Vor allem unsere kleinen und kleinsten Kinder werden in einem feminisierten Kontext ausgebildet. Es sind dies Lehrer aber viel häufiger Lehrerinnen die tendenziell eine Ablehnung gegen MINT-Fächer haben, welche unseren Kindern als Vorbilder dienen.
Computerworld: Jetzt wagen Sie sich aber auf ganz schön dünnes Eis.
Thomas Flatt: Ich weiss. Es ist aber einfach eine Tatsache, dass MINT bei uns leider männlich besetzt ist. Von 300 Mathematikern sind vielleicht fünf Frauen – in anderen Kulturkreisen ist dies übrigens anders. Fragt man Kindergärtnerinnen oder Unterstufenlehrerinnen nach ihren Lieblingsfächern, wird selten Physik, Mathematik oder Informatik genannt. Und genau diese Botschaft «ich war auch immer schlecht in Mathe und schau, nun bin ich Dein Lehrer» - wird implizit in den Unterricht eingebaut. Mit fatalen Folgen für den Informatiknachwuchs. Nimmt man alle Einflüsse zusammen: Ja. Man muss sich nicht wundern, dass die Jungen keine technischen Berufe wählen.
In den Diskussionen um den Lehrplan 21 wurde genau dies thematisiert. Aber muss man wirklich schon in der Mittelstufe Informatik als Pflichtfach einführen? Andere Branchen reklamieren dann sofort die Gleichberechtigung und verlangen ebenfalls eigene Schulfächer.
Informatik ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken und technische Entwicklungen werden unsere Zukunft prägen. Diese Kompetenzen nicht auszubilden wäre fahrlässig.
Kann dies nicht wie vorgeschlagen im Rahmen der bestehenden Fächer vermittelt werden?
Informatik vermittelt eine ganz spezifische Kompetenz. Das Denken in Algorithmen, Strukturen und Datenobjekten muss als Rüstzeug vermittelt werden. Wir brauchen nicht zwingend das Fach Informatik auf dem Stundenplan. Innerhalb des MINT-Komplexes muss die Informatik aber ihren klar definierten Platz mit eindeutigen Lernzielen und genügend Raum im Unterricht haben.
Swiss ICT als Verband hat sehr viele Fachgruppen, die ohne Zweifel sehr gute Arbeit leisten. Allerdings sind diese Fachgruppen sehr IT-Spezifisch. Dabei ist die ICT-Branche auch mit sehr grossen politischen und gesellschaftlichen Problemen konfrontiert. Dafür gibt es keine Arbeitsgruppe.
Es ist nicht die Branche, die mit Problemen konfrontiert ist, sondern es ist die Gesellschaft, die sich auf Grund unserer Branche mit neuen Herausforderungen und Chancen auseinandersetzen sollte. Gerne trage ich in einer solchen Diskussion etwas bei. Was unsere Fachgruppen betrifft, so sind diese übrigens nicht sehr technisch, sondern um Technologien gruppiert. Die Mitglieder dieser Fachgruppen arbeiten im Milizsystem und wählen natürlich Themen, die irgendwie einen Bezug zu ihrem Berufsleben haben. Die sehr langfristigen Themen finden dabei leider nicht immer die gewünschte Beachtung.
Auf der nächsten Seite: Wie begegnet der Verband der Gesellschaft als Ganzes?
Computerworld: Mit unter Umständen fatalen Konsequenzen.
Thomas Flatt: Ja, wir reden hier davon, wie es um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in 20 Jahren steht oder ob in 40 Jahren eine Demokratie wie wir sie kennen noch existieren kann. Aber der Druck, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen ist einfach zu klein.
Gibt es Ansätze im Verband, über solche Themen ernsthaft zu diskutieren?
Natürlich, der Fachverband Swiss ICT sieht das sogar als seine Aufgabe an, soweit das seine Kräfte zulassen. Wir diskutieren zum Beispiel am Swiss ICT Symposium genau solche Themen intensiv.
Swiss ICT ist als Verband sehr heterogen: Anbieter, Anwender, Firmen und Einzelpersonen sind Mitglieder. Findet man in so einem Umfeld überhaupt einen Konsens zu wichtigen Themen?
Wir sprechen hier von sehr komplexen Themen, die nur selten an einer Urabstimmung zur Debatte stehen. Wir versuchen auch immer eine differenzierte Meinung abzugeben. Dies wurde uns auch schon vorgeworfen – wir hätten zu wenig Profil und seien politisch zu wenig prägnant. Der Vorstand von Swiss ICT hat von seinen Mitgliedern in den letzten 10 Jahren aber sehr viel Rückendeckung bekommen. Praktisch jeder Vorschlag kam mit 99 bis 100 Prozent Ja-Stimmen durch.
Das sind ja Verhältnisse wie in der ehemaligen DDR!
Nein, eher nordkoreanische Verhältnisse (lacht). Was das aber heisst: Wenn wir im Vorstand eine Meinungsbildung abgeschlossen haben, dürfen wir mit der Unterstützung der Mitglieder rechnen. So kommen wir auch mit komplexen Themen zu einem Konsens. Dieses Vertrauen ist für uns natürlich sehr schön.
ICT Switzerland als Dachverband ist seit Kurzem Mitglied des Economiesuisse. Der Wirtschaftsverband hat mit anderen Mitgliederverbänden wie zum Beispiel der Uhrenindustrie grosse Probleme. Ist das der richtige Moment, im angeschlagenen Wirtschaftsverband mitzumachen?
Etliche Mitglieder von ICT Switzerland sind schon bei der Economiesuisse dabei, zum Beispiel Accenture, Google, IBM, asut, simsa, swico etc. Es ist nur ein logischer Schritt, dass der Dachverband jetzt auch Mitglied wird. Ausserdem war es der ganz persönliche Wunsch unseres Präsidenten Ruedi Noser, Mitglied zu werden. Dieser Wunsch wurde vom Vorstand mitgetragen.
Auf der nächsten Seite: Neustart des Swiss ICT Symposiums
Lassen Sie uns nochmals kurz auf das ICT Symposium zurückkommen. Warum führt Swiss ICT jetzt auch noch eine solche Veranstaltung durch? Es gibt doch schon so viele.
Das Symposium ist alles andere als neu. Im Gegenteil, es hat eine über 30 jährige Tradition. Es hat seinen Ursprung im alle zwei Jahre durchgeführte Brunnen-Symposium.
Das sehr erfolgreich war.
Ja. Das hatte verschiedene Gründe: Wir hatten immer sehr gute Redner, die Anzahl der Plätze war streng limitiert. Mehr als 80 oder 90 Teilnehmer waren nicht möglich. Wer es sich leisten konnte, drei Tage in Brunnen zu sein, für den war das ein super Erlebnis. Das Symposium ist aber mit seinen Teilnehmern gealtert. Wer mal einen Platz hatte, wollte ihn in der Regel nicht mehr hergeben. Jetzt versucht man einen Neuanfang. Wir möchten das Symposium zeitgemässer machen: Etwas kürzer – nur noch eine Übernachtung -, und etwas mehr Platz. Ausserdem führten wir es näher zusammen mit dem Swiss ICT Award, der am zweiten Abend verliehen wird.
Wer soll und darf an diesem Symposium teilnehmen?
Das ist ein breites Zielpublikum. Manager – egal ob von einem Informatikunternehmen oder nicht -, auch für CIOs ist es sehr attraktiv. Eigentlich für alle, die intellektuelle Geselligkeit schätzen.
Swiss ICT Symposium
Am 11. und 12. November treffen sich in Luzern am Swiss ICT Symposium IT-Entscheidungsträger zum Austausch über die wichtigsten ICT-Themen. Spannende Keynote-Speaker und Break-Out-Sessions sorgen für interessanten Gesprächsstoff. Alle relevanten Aspekte rund um den ICT-Werkplatz Schweiz werden kritisch beleuchtet werden. Forschung, aktuelle politische Fragen und ökonomische Praxis. Das Galadiner am Montagabend mit gepflegter Unterhaltung gibt die Gelegenheit zum Networken in exklusivem Rahmen. Gleich anschliessend an das Symposium wird am Dienstagabend im KKL Luzern der Swiss ICT Award verliehen. Computerworld ist Medienpartner beider Anlässe. Umrahmt wird das Programm des Swiss ICT Symposiums unter anderem von folgenden Speakern:
- Max Heinzer, weltbester Degenfechter Der erst 25-jährige Schwyzer Max Heinzer kann bereits herausragende Erfolge als Degenfechter vorweisen: fünffacher Weltcup-Sieger, aktuelle Weltnummer 1 im Degenfechten und Silber- und Bronze-Gewinner an Weltmeisterschaften. «Der nächste Traum, den ich mir erfüllen möchte, ist eine Olympiamedaille 2016 in Rio», sagt Heinzer selbst und wird viel über Träume und Siegermentalität zu erzählen haben.
- Prof. Dr. Willy Zwaenepoel, Professur für verteilte Systeme, École Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL Er ist einer der meistzitierten Computerwissenschafter der Welt, führte als Dekan der Fakultät für Informatik und Kommunikation die EPFL an die Weltspitze. Im Fokus hat der Träger des Swiss ICT People Award 2012 («Champion») Betriebssysteme, Distributed Computing, Datenbankreplikation und Software-Testing.
- Dr. Dirk Helbing, Professur für Soziologie, insbesondere Modellierung und Simulation, ETH Zürich Die zunehmende Vernetzung unserer Welt birgt neben neuen Chancen auch wachsende systemische Risiken, die unsere globalen Systeme im grossen Massstab destabilisieren können. Zwei Trends stehen aktuell zur Diskussion, um die Komplexität und Instabilität zu meistern: die Überwachungs- und Bestrafungsgesellschaft sowie die Reputationsgesellschaft. Das Referat zeigt auf, wieso der erste Trend auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt ist und welche Institutionen wir fürs 21. Jahrhundert benötigen.
- Stefan Burschka, Leiter Malware bei Traffic Mining Lab Ruag Defence AG Troubleshooting and Traffic Mining: Feel the packets, be the packets. Mit Traffic Mining können unter anderem Botnetzwerke und unbekannte Schadsoftware identifiziert werden. Beispiele führen in die notwendige Denkweise ein und stellen die dafür entwickelten Analyse- und Visualisierungswerkzeuge Tranalyzer und ESOM vor. Diese Plattform wurde im vergangenen Jahr erstmals an einer NATO-Cyber-Defence-Übung unter realen Bedingungen eingesetzt. Mit systematischen Analysen der Datenpakete lässt sich zudem auch verschlüsselter Datenverkehr wie etwa Skype entziffern.
Anmeldung und weitere Informationen unter: www.swissict-symposium.ch