05.11.2010, 06:00 Uhr

Es ist nie zu spät für einen Neuanfang

Die Krise um die 45 trifft die meisten: In der Mitte des Berufslebens wird plötzlich klar, dass man nicht mehr weitermachen kann oder will wie bisher. Wer sich gut vorbereitet, sich die richtigen Fragen stellt, kann im Beruf noch einmal richtig Vollgas geben.
Ist freier Journalist. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem SKO-LEADER, dem Verbandsmagazin der Schweizer Kader Organisation. Die Ausgabe ist am 12. Oktober erschienen mit dem Schwerpunktthema: "Neue Chancen in der Lebensmitte". Computerworld ist Medienpartner des SKO. Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz liegt heute bei rund 80 Jahren. Rein rechnerisch
beginnt die Lebensmitte also um die 40. Ein heute 40-Jähriger weiss, dass er voraussichtlich noch ein Vierteljahrhundert zu arbeiten hat - viel zu viel Zeit, um sie im falschen Job zu verschwenden. Wenn wir die Lebensmitte erreichen, ziehen wir unweigerlich Bilanz. Wir werden uns verpasster Chancen und geplatzter Träume bewusst. Viele unserer hohen Erwartungen haben sich in der ersten Lebenshälfte nicht erfüllt. Beruflich haben wir zwar vielleicht einiges erreicht - allerdings musste dafür oft die eigene Entwicklung zurückstehen. Viele persönliche Interessen konnten wir bisher nicht ausleben, manches haben wir uns aus Rücksicht auf andere - zum Beispiel die Familie - verboten. Nun werden das gesamte Leben und die eigenen Werte einer radikalen Überprüfung unterzogen. Das schüttelt jeden durch. Kein Wunder, dass der Drang, sich selbst besser verwirklichen zu können, immer stärker wird. Der Wunsch nach Veränderung, nach einer Neuorientierung wird zum dominierenden Thema in diesem Lebensabschnitt. Die Suche nach Neuorientierung mit 40 plus ist ganz normal - das belegt die Forschung. In einer Studie der University of Warwick wurden zwei Millionen Menschen aus 80 Ländern zu ihrem seelischen Befinden befragt. Der nüchterne Befund: Die Krise in der Lebensmitte trifft jeden, egal ob Mann oder Frau, ob wohlhabend oder arm. Zwischen 40 und 50 ist der Drang nach Veränderung, aber auch das Risiko für Unzufriedenheit und Depressionen für alle Menschen dieser Welt am grössten. Weshalb?

Midlife-Crisis oder Midlife-Chance?

In der zweiten Lebenshälfte verändert sich unsere Zeitperspektive markant. Wir nehmen vermehrt die noch verbleibende Lebenszeit wahr. Nach rund zwanzig Jahren Berufsleben ist vieles Routine und Pflicht geworden. Nun drängen sich auf einmal unangenehme Fragen auf wie: «War es das nun?», «Was soll das alles noch?» Manchmal entsteht das Gefühl, dass man im Leben doch etwas ganz anderes hätte machen sollen. Viele fühlen sich eingeengt und fragen sich: «Wäre es nicht besser, ganz auszusteigen?» Hinzu kommt, dass einige bereits ihre Leistungsfähigkeit schwinden spüren, andere sich im Job dauernd überfordert fühlen oder einen Karriereknick nicht verdauen konnten. Zudem führt einem der eigene Körper die Vergänglichkeit vor Augen. Damit kann man sich nur schwer abfinden. Unzufriedenheit und Anfälligkeit für Depressionen häufen sich. Bis vor Kurzem nannte man dieses Phänomen noch «Midlife-Crisis», heute spricht die Fachwelt zukunfts-gerichtet von «Midlife-Chance». Keiner ist gegen diese beunruhigenden Fragen gefeit. Es trifft alle Kaderstufen, auch das Top-Management. Manche spüren ohne sichtbaren äusseren Zwang den Wunsch, nochmals ganz neu anzufangen. Andere verlieren in diesem Alter ihre Stelle und nehmen diesen Einschnitt zum Anlass, sich völlig neu auszurichten. Manche Midlife-Changer wählen den Weg in die Selbstständigkeit. Sie werden beispielsweise Seniorberater oder Unternehmer. Andere wiederum wechseln zu einer Non-Profit-Organisation oder in eine soziale Institution, um für die Gesellschaft etwas Sinnvolles zu tun.

Hilfe für Orientierungssuchende

Laufbahnberater und Businesscoachs werden förmlich überrannt von Ratsuchenden in der Lebensmitte, die ihrem Berufsleben eine andere Richtung geben wollen. Was bringt eine solche Standortbestimmung mit einem Experten? Es geht darum, eine Reihe von wichtigen Fragen zu klären. Zum Beispiel: Was ist meine Aufgabe, meine eigentliche Berufung? Welchen Sinn hat mein Leben? Welche Prioritäten will ich setzen? Welche Talente, Eigenschaften und Fähigkeiten habe ich? Mit welcher Geschäftsidee kann ich einen Neustart wagen? Und: Wie gehe ich mit den Erwartungen und Ansprüchen meiner Familie um? Auch ein Coaching kann dazu beitragen, Klarheit zu schaffen. Wichtige Stationen in einem Coaching-Prozess an der Schwelle zu einer neuen Lebensphase sind die Aussöhnung mit der Vergangenheit, das Loslassen, und das Erkunden neuer Wege.

Richtungswechsel angehen

Zahlreiche Faktoren können den beruflichen Neustart erschweren. Entscheidungen trifft man nicht mehr so leicht wie zwischen 20 und 35 Jahren, und man tut sich schwerer mit Veränderungen. Oft können auch finanzielle Verpflichtungen für die Familie die Pläne durchkreuzen. Auch Angst vor dem Unbekannten kann bremsend wirken. Der Personal- und Organisationsentwickler Ruedi Winkler rät in dieser Situation: «Als Erstes sollten Sie ohne Wenn und Aber überlegen, was Sie in der zweiten Hälfte der Berufszeit wirklich machen möchten. Als Zweites überlegen, was davon realisierbar ist und welche Tätigkeiten dem Gewünschten am Nächsten kommen. Und als Drittes konkret planen und Schritt für Schritt umsetzen, auch wenn das Realisierbare weit vom Gewünschten weg ist.» Andere Faktoren hingegen können den Wechsel in der Lebensmitte begünstigen. Ruedi Winkler weist darauf hin, dass es vorteilhaft ist, wenn sich jemand schon seit der Erstausbildung persönlich und beruflich weiterentwickelt hat. Finanzielle Reserven sind ebenfalls wichtig: «Fehlen sie, ist das oft das Haupthindernis für einen Neuanfang - deshalb sollte es eine Midlife-AHV für berufliche Neuorientierung geben.» Ganz wichtig ist auch ein unterstützendes Umfeld. Mit zunehmendem Alter verfügt man ausserdem über gefragte Fähigkeiten: Die kognitive Leistungsfähigkeit wird besser und die Selbsteinschätzung realistischer. Mit den Erfahrungen steigt auch die Fähigkeit, vernetzt zu denken und mit unsicheren Situationen besser umzugehen. Das gewachsene Beziehungsnetz ist wertvoll. Christina Kuenzle, geschäftsführende Partnerin der Unternehmensberatung choice hat sich nach Führungs-positionen bei Sulzer und Shell Schweiz vor sechs Jahren selbstständig gemacht. Am meisten hat ihr beim «Career Change» geholfen, dass sie auf ihre innere Stimme hörte: «Die innere Stimme meldet sich in Form von Freude oder Unbehagen und gibt auch ganz kritische Hinweise, um den Weg zu gehen und den richtigen Platz zu finden. Bis jetzt ergab sich immer eine neue Chance, wenn das Bestehende unbehaglich wurde. Es lag nur an mir, offen zu sein und sie zu packen.» Hilfreich beim eigenen Berufswechsel waren für Ruedi Winkler neben der Familie und dem privaten Umfeld «eine gewisse Unbekümmertheit und ein klar definiertes, hohes Ziel». Ein älterer Kadermitarbeiter, der sich neu orientiert, muss sich ja nicht gleich völlig neu positionieren. Für die erfolgreiche zweite Karriere sollte er auf die eigenen Erfahrungen und Kontakte zurückgreifen und allenfalls eine ergänzende Weiterbildung in Angriff nehmen.
Orientierungshilfe

Die SKO bietet ihren Mitgliedern Laufbahnberatung und Coaching zu Spezialkonditionen an. Der intensive Prozess einer beruflichen Neuorientierung wird lösungsorientiert angepackt. Erfahrene Führungskräfte, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen, sich für den Job fit halten wollen und neue Impulse wünschen, sind bei den SKO-Tagesseminaren «TopAge» genau richtig. Weitere Informationen:

www.sko.ch/laufbahnberatung

www.sko.ch/topage
Markus Zürcher



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