IBM
26.10.2016, 09:28 Uhr
Watson als Lehrer, Werber und fürs iPhone
Das «Cognitive Computing» von IBMs Supercomputer «Watson» wird von immer mehr Branchen adaptiert. Watson arbeitet neu auf dem iPhone und als Lehrer sowie Werbetexter.
Vor etwas mehr als vier Jahren gewann der IBM-Supercomputer «Watson» die Rate-Show «Jeopardy!». Für einen der Schöpfer von Watson, John Kelly III, ist dieser Sieg der Maschine über den Menschen ein Wendepunkt gewesen. Seit dem 16. Februar 2011 glaubt der Direktor von IBM Research an den Durchbruch des «Cognitive Computing» -- mit der Watson-Technologie. Das sagte Kelly vor einer Rekordkulisse von 17'000 Teilnehmern an der IBM-Hausmesse «World of Watson» in Las Vegas.
Die Technologie hat IBM in den vergangenen fünf Jahren weiter entwickelt. Konnte Watson früher Englisch verstehen, lesen und sprechen, ist der Computer mittlerweile multilingual – zumindest bei der verbalen Interaktion mit dem Benutzer. Auch kann das System heute Bilder verarbeiten und Muster erkennen. Die Forscher rund um Kelly arbeiten aktuell daran, Watson auch für die Videoverarbeitung fit zu machen. Sie tun gut daran, erwarten die Marktforscher doch, dass im Jahr 2020 über 80 Prozent der neuen Online-Inhalte aus Filmen bestehen werden. Hinzu kommt, dass Augmented und Virtual Reality schon heute kurz davor stehen, den Massenmarkt zu erreichen. Für diese Inhalte wäre Watson quasi «blind».
Watson für das iPhone
Gemeinsam mit Apple will IBM die Watson-Technologie auch auf das iPhone bringen. Die seit zwei Jahren bestehende Partnerschaft soll nun ausgebaut werden, sagte David Kenny, Watson General Manager bei IBM, an der Konferenz. Die bis anhin rund 100 MobileFirst-Apps für iOS bekommen Watson-APIs. Entwickler könnten die Funktionen von Watson für eigene Anwendungen nutzen. Damit setzen die Unternehmen auf eine der am weitesten verbreiteten Computing-Umgebungen überhaupt, hat doch Apple sein Smartphone über eine Milliarde Mal abgesetzt. Auch im Geschäft ist das Handy mit dem Apfel-Logo mittlerweile weit verbreitet – insbesondere im Apple-Land Schweiz.
Ebenfalls nahezu eine Milliarde Benutzer zählt der Facebook Messenger. Auf der Plattform ist Watson in Zukunft ebenfalls präsent. Und das gleich mehrfach: Mit «Watson Ads» können Kunden eigene Werbung in die Chat-Software einspielen. Die Technologie verhält sich dann wie ein richtiger Gesprächskontakt und beantwortet auch Fragen zu den Promotionen. Auf die immer aktuelle Frage nach den Wetteraussichten soll ein neuer Bot der IBM-Tochterfirma The Weather Company stets Antworten parat haben. Er interagiert ebenfalls mit dem User – wenn er das wünscht, sagte Cameron Clayton, CEO der The Weather Company.
Privatlehrer Watson
Ebenfalls die digitalen Lernplattformen mit Watson erweitern will Pearson Education. Das Unternehmen gilt als grösster Lehrmittelverlag der Welt. Die IBM-Technologie soll einerseits für Prüfungen des Lernstatus verwendet werden, andererseits auch für das individuelle Aufbereiten des Lehrstoffes, sagte Tim Bozik, President Global Product bei Pearson. Schüler und Studenten bräuchten dann nur noch diejenigen Inhalte lernen, bei denen sie Schwächen haben. Daneben soll der digitale Lehrassistent auch Erklärungen für den Lernstoff liefern können – sowohl den Schülern als auch den Lehrern etwa während der Unterrichtsvorbereitung. Pearson will nach den Worten Boziks mit den natürlichsprachigen Lösungen auch helfen, den Mangel an Lehrpersonal zu verringern. Nächste Seite: die Konkurrenz schläft nicht Bis anhin war «Cognitive Computing» ausschliesslich im Wortschatz von IBM vorhanden. Der Konzern umschrieb damit die Fähigkeiten seines Supercomputers Watson. Die Maschine verarbeitet strukturierte und unstrukturierte Daten – hauptsächlich mit fortgeschrittenen statistischen Methoden. Fragen der Benutzer zu den Daten akzeptiert Watson in natürlicher Sprache – sowohl schriftlich als auch mündlich. Ebenso beantwortet Watson die Fragen auf Wunsch verbal. Diese Interaktionsmöglichkeit unterscheidet Watson von Technologien wie Business Intelligence, Machine Learning und Artificial Intelligence. Watson ist eben «Cognitive Computing». Darauf hält Big Blue grosse Stücke und investiert Milliarden in die Technologie. Zuletzt wurde ein Labor im deutschen München mit 200 Millionen US-Dollar ausgerüstet. Mit Watson steht IBM allein auf weiter Flur – könnte man meinen. Im Analytik-Geschäft ist SAS der grösste Wettbewerber von Big Blue. Der US-amerikanische Privatkonzern ist das Gegenteil von IBM: SAS wächst seit der Gründung (im Jahr 1976) ununterbrochen. Big Blue musste Mitte Oktober wieder ein Umsatzminus berichten – wie schon in den vorgängigen 17 Quartalen. Das SAS' Geschäft beschränkt sich jedoch auch hauptsächlich auf Analytik-Lösungen, während IBM noch viel Branchen-, Business- und Infrastruktur-Software sowie Hardware im Portfolio hat. Letztere Bereiche schreiben seit Jahren rote Zahlen. Die Analytik und insbesondere Watson sind im Plus.
SAS hatte Watson bis anhin als eine «Marketingkampagne» tituliert. Dieser Titel stammt nicht von irgendwem, sondern aus dem Munde von Jim Goodnight. Er ist einer der Gründer von SAS. Er weiss, wovon er spricht. Er weiss offenbar auch, wenn es gut ist, besser den Mund zu halten. Der Markt will offenbar «Cognitive Computing». SAS erklärte jüngst, ebenfalls Lösungen für «Cognitive Computing» liefern zu können – für den Kampf gegen Cyberkriminelle, für Energieversorger und für das Preisdumping im Retail.
Schweigen der Analysten
Gemäss dem Analystenhaus Gartner gibt es bei Advanced Analytic Platforms zwei Marktführer: SAS und IBM. Im Vergleich mit dem Vorjahr (2015) hat SAS seinen Vorsprung eingebüsst, IBM ist im Leaders Quadrant mittlerweile fast gleichauf. Die Auguren müssen sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum die Watson-Technologie nicht in die Bewertung mit eingeflossen ist. In der Marktübersicht betrachtet wurde nur die Statistik-Lösung SPSS. Watson ist augenscheinlich auch für Gartner eine Speziallösung, die in keine bisher dagewesene Kategorie passt. Andere machen es besser: In Forresters aktueller Übersicht zu Big Data Text Analytics Platforms hat IBM Watson die Nase vorn. Zum Produkt Watson Explorer gesellen sich an der Marktspitze SAS Contextual Analytics und Intelligence Platform von Clarabridge. Der IBM-Lösung wird attestiert, dass sie als eine der wenigen Anwendungen im Markt mittlerweile auch Daten in Hadoop-Clustern verarbeiten kann und mehr als linguistische und statistische Prozeduren beherrscht.