16.06.2010, 11:05 Uhr

«Telekomnetz ist die Lebensader der Schweiz»

Der ehemalige CEO von Alcatel Lucent Schweiz präsidiert seit kurzem Openaxs, den Verband zur Förderung offener Breitbandnetze. Im Gespräch mit Computerworld spricht der erfahrene Telekom-Spezialist Stampfli über die laufenden Glasfaserpläne der Elektrizittätswerke, von Swisscom und Sunrise sowie die Zukunft des Telekommarkts Schweiz.
Franz Stampfli, Präsident Openaxs
Als erste Amtshandlung als Openaxs-Präsident gründeten Sie ein Projektteam. Sind Provider und Elektrizitätswerke (EWs) an Bord? Was ist der Fokus der Arbeit?

Ich habe bewusst auf eine partielle Unterstützung von EWs und Provider verzichtet, sondern Mitarbeiter gesucht, die sich vollamtlich engagieren können. Es gibt viel zu tun. Der Fokus liegt auf Kommunikation und Marketing. Elektrizitätswerke und Gemeinden sollen bei uns wertvolle Informationen für die Umsetzung ihrer Glasfaserprojekte einholen können.

Ausgerechnet der grösste Energieversorger, das EW Zürich (EWZ), ist nicht Mitglied. Wieso nicht? Sind Mitgliedschaften an Bedingungen geknüpft?
Ich denke, das hat historische Gründe. Das EWZ war der erste Energieversorger beim Glasfaserbau, hat die Entwicklung angestossen. Wer sich im Verband früh einbringt, wird unter Umständen im eigenen Tempo zurückgebremst. Zudem: Das Mitmachen im Verband ist ein Geben und Nehmen. Wenn eine Partei nur einbringen muss und wenig rausnehmen kann, bleibt sie wohl lieber draussen. Das hat sich nun geändert. Ich bin mit dem EWZ in engem Kontakt und zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden.

Bislang war es so: Gebaut wird nur, wo sich Swisscom und das städtische EW einigten. Was passiert, wenn das beispielsweise in ländlichen Gebieten nicht der Fall ist. Wer investiert?

Es ist umgekehrt. Swisscom ist nur dort aktiv, wo es die Stadtwerke sind. Sonst nirgends. Ohne Initiative der EWs würde Swisscom ihre Projekte zurückfahren und wieder VDSL pushen. Grundsätzlich lässt sich die Finanzierung der Projekte aber nicht generell regeln. Es kommt auf die jeweilige Situation in den Gemeinden an. Es ist aber nicht nur ein wirtschaftlicher Entscheid, sondern auch ein politischer. Gemeinden können sich Standortvorteile verschaffen oder ihren Standortnachteil nicht zu einem noch grösseren werden lassen.

Selbst für das EWZ ist der Glasfaserbau während 20 Jahren unrentabel. Für kleinere Städte dürfte das noch extremer sein. Auch Gemeinden müssen heute wirtschaftlich denken.

Ich glaube, diese Berechnungen sind interpretationsbedürftig. Es kommt auch darauf an, wie die jeweiligen Parameter gesetzt werden - aggressiv oder defensiv. Ich habe aber noch einen anderen Standpunkt: Gemeinden reissen sich oft darum, einen Autobahn- oder ÖV-Anschluss zu erhalten. Das muss beim Glasfasernetz auch passieren. Dieses ist mindestens so wichtig wie das ÖV- oder Strassennetz.

Findet diese Denke in den Gemeinden tatsächlich schon statt?

Sehr wohl. Aber nicht nur in den Gemeinden, sondern auch in ganzen Regionen. In der Schweiz steht im internationalen Standortwettbewerb nur der Grossraum Zürich gut da. Ländlichere Regionen, wie zum Beispiel die Ostschweiz, Bodenseeregion, das Espace Mittelland oder der Kanton Waadt haben heute einen Standortnachteil, der sich wirtschaftlich nachteilig niederschlagen kann.

Also möchten Sie das Glasfasernetz mit einem überregionalen Konzept bauen. Quasi eine Miniatur-Ausgabe von der Schweizer Netzgesellschaft, die Sunrise forderte?

Es geht in diese Richtung. Wir möchten mit einigen wenigen Hauptdrehscheiben in der Schweiz agieren. So können wir den Providern auf vielen Netzen gleiche Angebote machen - mit einem homogenen Marktauftritt, eigenem Logo und gemeinsamer Identität, jedoch ohne dabei die starke lokale Verankerung unserer Mitglieder zu schmälern.
Angenommen Sie beginnen in der Ostschweiz mit dem Verlegen von Glasfasern. Plötzlich kommt Swisscom und will sich auch beteiligten, wiederum mit dem Recht auf eine exklusive Faser. Denkbar?

Persönlich bin ich der Meinung, das Vierfasermodell ein teurer Kompromiss ist. In den Regionen macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, auch darauf zu setzen. Darüber müsste man nochmals sprechen.

Ist es realistisch, dass auf dem Land wie in den Städten gleiche Zugangsangebote offeriert werden? Es sind doch völlig unterschiedliche Investitionsvolumen.
Das stimmt. Wie die Preise am Ende des Tages aussehen, möchte ich nicht vorwegnehmen. Provider bzw. Endkunden müssen sich aber bewusst sein, dass auf dem Land höhere Investitionen anfallen als in der Stadt, was sich auf die Preise niederschlagen könnte.

Sie haben angekündigt, Providern Offerten für den Zugang auf Layer 1 anzubieten. In welchen Städten wird das der Fall sein?

Es gibt Situationen wo es Sinn macht, Layer 1 anzubieten. Zum Beispiel, wenn die Wettbewerbsbedingungen es verlangen. Unsere Kernüberlegung ist jedoch nach wie vor die gleiche: Wir wollen allen Providern einen diskriminierungsfreien Zugang auf Layer 2 anbieten. Zu unserem konkreten Layer-1-Angebot möchte ich mich noch nicht weiter äussern.

Aber die Provider wollen FTTH auf Layer 1. Da können Sie fragen, wen Sie wollen.

Verständlich, dass gewisse Provider unter den heutigen Bedingungen diesen Wunsch äussern. Trotzdem sollten wir gerade mit einer Sunrise noch mal über die Bücher, ob ein Layer-2-Angebot nicht dennoch möglich wäre. Aber wir wären auf einem Auge blind, wenn wir Offerten auf Layer 1 grundsätzlich ausschliessen würden.

Sie gehen damit in direkte Konkurrenz mit Swisscom. Ist das nicht eine Nummer zu gross?

Die Macht der Swisscom durften bereits Orange und Sunrise während Jahren spüren. Es wäre vermessen zu sagen, wir wären auf Augenhöhe. Dennoch ist sie nicht eine Nummer zu gross, wenn wir gleich lange Spiesse erhalten. Dank den EWs kommt die Schweiz zu einem hochmodernen Telekomnetz. Die Swisscom wehrt sich gegen Konkurrenten, das ist unternehmerisch legitim. Inwiefern ein fairer Wettbewerb möglich ist, werden wir sehen.

Dazu bräuchte es aber eine Revision des Fernmeldegesetzes. Dazu will sich der Bundesrat nächstens äussern. Schlägt er sich auf die Seite der ComCom, die das befürwortet, oder nimmt er die Haltung der bundeseigenen Swisscom an?

Der Bund hat hier wohl tatsächlich zwei Herzen in der Brust. Zum einen als Eigentümer der Swisscom, die er in kritischen Situationen schützen will. Und zum anderen ist er für die Bürger und die Wirtschaft da, die einen belebten Markt wünschen. Ich möchte aber keine Prognose abgeben, das wäre reine Spekulation.

Es gibt so oder so einen langwierigen Prozess, weil es die Zustimmung von beiden Kammern des Parlaments benötigt.

Das stimmt. Ich hoffe, es ist nicht die Strategie der Swisscom, zwar mit der Regulation zu rechnen, diese aber hinauszuzögern und zu denken: Bis der finale Entscheid kommt, ist der Markt verteilt und die Konkurrenz erledigt. Das wäre nicht gut für die Schweiz.
Blicken wir in die Zukunft. Swisscom will bis 2015 einen Drittel der Bevölkerung mit Glas versorgen. Wo sehen Sie den Markt in diesem Jahr?

Diese Zahlen stimmen nicht schlecht, wir haben ähnliche Vorstellungen. Entscheidend ist die Reaktion der Agglomerationen bzw. Gemeinden und den entsprechenden EWs. Diese müssen sich definitiv mit dem Bau auseinandersetzen. Sie werden Druck von ihren Einwohnern erhalten.

Diese Antwort ist zu unpräzise. Gehen Sie aktiv auf Gemeinden zu, um diese zum Umdenken zu bewegen?
Ja. Wir wollen möglichst schnell mit den EWs in den Agglomerationsgemeinden reden. Zweite Priorität haben Kommunen, die bereits eigene Projekt oder Pläne haben. Und nicht zuletzt sprechen wir Gemeinden an, die wir als guten Standort einstuften.

Ich mache selbst eine Prognose, düsterer als Ihre. Swisscom und Cablecom sind die einzigen Infrastrukturprovider. Bis in fünf Jahren teilen Sie sich etwa 80 Prozent des Marktes. Der Rest bleibt für EWs und Provider ohne Netzzugang.

Im Moment passiert sehr viel, wegweisende Entscheide stehen an. Natürlich kann ein Worst-Case-Szenario gezeichnet werden. Dies wäre schade für die Schweiz, weil wir alle wieder für Jahrzehnte in einem Monopol bzw. Duopol gefangen wären. Wir sind aber nach wie vor überzeugt, dass das nicht eintrifft und kämpfen wie die Tiger für einen freien Wettbewerb, zugunsten einer echten Wahlfreiheit der Endkunden.

Die Winwin-Situation wäre dann die umgekehrte, also möglichst viele Provider auf Layer 1?

Nein. Wir stehen für einen offenen, sprich diskriminierungsfreien, Wettbewerb auf Layer 2 für alle Service Provider. Nur damit erhalten die Konsumenten eine echte Wahlfreiheit. Der Kompromiss mit Swisscom war, dass sie einen eigenen, vertikal integrierten Zugang zu jedem Haushalt erhalten und ein Wholesale-Angebot auf Layer 2 anbieten. Jetzt stellen sie mit der Offerte für Layer 1 in einigen Städten ihren dritten Anspruch. Dies verändert die Business Modelle einiger Openaxs-Mitglieder erheblich.

Trotzdem ist die aktuelle Situation gar nicht so schlecht: Parallelbau vermieden, ein Modell mit verschiedenen Zugängen für kleine und grosse Provider sowie positive Diskussionen.

Das lässt sich erst beurteilen, wenn man sieht, wie sich der Markt entwickelt. Es gilt nun die mühsam erreichten Abmachungen zu respektieren und zu verhindern, dass das neue Telekomnetz wieder in ein Monopol abdriftet. Es geht darum, dass wir das modernste Telekom-Netz von ganz Europa mit einer sehr guten Abdeckung erhalten können. Schliesslich ist das die Lebensader der Schweiz. Diese Errungenschaft sollten sich alle Beteiligten immer vor Augen halten und nicht aufs Spiel setzen.



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