Swisscom-Grosskundenchef 11.07.2014, 15:58 Uhr

«Produkte sind nicht so wichtig»

Die Swisscom will mehr sein als nur ein Telekommunikationsunternehmen. Warum ihre Transformation zum ICT-Anbieter vor allem auch einen Kulturwandel bei KMU und CIOs mit sich bringen wird, erzählt Grosskundenleiter Christian Petit im Interview.
Christian Petit will die Schweizer KMU in die Swisscom-Cloud holen
Letztes Jahr fusionierte Swisscom die Abteilungen Grosskunden und IT Services. Die sinkenden Telco-Margen sollten dadurch mit IT-Aufträgen kompensiert, Synergien genutzt werden. Besonders im Mid-Market-Segment konnte sich Swisscom aber noch nicht als ICT-Anbieter positionieren. Christian Petit, seit rund 100 Tagen Chef der neuen Abteilung, will das jetzt ändern. 
Computerworld.ch: Guten Tag Herr Petit. Sie sind seit rund 3 Monaten Chef der Swisscom-Grosskundenabteilung. Eine Position, die Sie eigentlich schon vor einem Jahr innehehatten. Bis sie durch die Fusion mit Swisscom IT Services hinter Andreas Knig wieder ins zweite Glied gestellt wurden. Wie sehr hat das geschmerzt?
Christian Petit: Natürlich ist es nicht angenehmen, als Nummer 2 gewählt zu werden. Es war mir aber klar, dass ich von Andreas König viel lernen werde. Nach zwei Wochen Bedenkzeit habe ich mich darum entschieden, diese Aufgabe anzunehmen. Die Zusammenarbeit mit Andreas König dauerte dann ja aber nur ungefähr einen Monat.
Und nun sind Sie alleiniger Chef der B2B-Abteilung und von 5000 Angestellten, von denen ungefähr die Hälfte Telco-Spezialisten und die Hälfte IT-Spezialisten sind.
Ja, die Mischung stimmt etwa. Aber am Markt werden wir nicht so wahrgenommen. Wir haben rund 6000 Geschäftskunden, von denen wissen vielleicht die Top500, was wir alles leisten können. Die Mehrheit aber kennt uns nach wie vor als Telekommunikationsanbieter. Wir müssen unsere IT-Fähigkeiten, die wir bisher fast ausschliesslich den grössten Firmen verkauften, an den Mid-Market anpassen. Dafür fehlt uns aber noch die Produktpalette.
Und wie wollen Sie dem Mid-Market klar machen, dass die Swisscom nicht mehr nur ein Telco ist?
Zuerst muss das intern allen klar werden. Die Fusion der Abteilungen IT Services und Grosskunden bedeutet für uns einen Kulturwandel. Danach müssen wir analysieren, wie sich die Zukunft darstellt. Klar ist: die Schweizer Wirtschaft wird zur Industrie 4.0. Durch das Internet der Dinge, die Consumerization der IT, unbegrenzte Bandbreiten und die Generation Y, die mit dem Internet aufgewachsen ist, wird die Gesellschaft komplett geändert. Von dieser Entwicklung werden drei Bereiche besonders betroffen sein: Arbeitswelten, Geschäftsprozesse und die Go-to-Market-Strategie. Diese drei Themen wollen wir als Swisscom besetzen.
Diese drei Schwerpunkte im Hinterkopf: Sie sagten, Ihnen fehlt die Produktpalette für Mid-Market Unternehmen. Was könnten Sie diesem Segment denn anbieten?
Etwas im Bereich «Workspace and Collaboration» beispielsweise. Wir haben heute nicht die Ansätze, die uns erlauben, Firmen mit wenigen Arbeitsplätzen die richtigen Produkte dafür anzubieten, obwohl flexible Arbeitsplatzgestaltung in vielen Unternehmen ein Thema ist. Da müssen wir nach unten skalieren, und das werden wir mit Cloud und SaaS Anwendungen schnell können. Oder SAP Services: auch da fehlen uns die richtigen Ansätze, wenn wir zu kleinen Firmen gehen. Aber die Produkte sind ohnehin nicht so wichtig.
Sondern?
Bisher verkauften wir vor allem an die Technik. Man sollte aber keine Collaboration-Suite einführen, ohne mit dem HR-Chef zu sprechen. Denn die Lösung wird auch die Art der Zusammenarbeit  im Unternehmen fundamental ändern. Wir müssen mit unserem B2B-Geschäft darum hauptsächlich die Business-Leute ansprechen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: werden CIOs überflüssig?
Werden damit CIOs überflüssig?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin aber fundamental davon überzeugt, dass sich die Rolle des CIO stark ändern wird. Wir sehen das bei uns selbst: durch die Digitalsierung wird es so sein, dass es für Geschäftsbereiche viel einfacher wird, Businessapplikationen direkt oder mit Partnern zu entwickeln. Ich denke nicht, dass ein Zentralisierungsansatz in der IT noch lange möglich sein wird.
Die Dezentralisierung der IT ist aber nichts Neues?
Nein. Aber das Problem bisher war: Ich entwickle eine Geschäftsapplikation und musste mich fragen, wie sie im Betrieb funktioniert und ob Sicherheitsvorschriften eingehalten sind. Aber mit einem Cloud-Angebot, das zentralisiert im Betrieb erfolgen kann, sind diese Probleme bereits adressiert. Es wird darum eine Kombination geben. Auf der einen Seite eine dezentralisierte Entwicklung von Businessapplikationen. Auf der anderen einen zentralisierten Cloudbetrieb, der der IT helfen wird, Verantwortung im Bereich Betriebsstabilität wahrzunehmen.
Der CIO soll also hauptsächlich dafür sorgen, dass das Business funktioniert.
Die CIOs müssen sehen, welchen Mehrwert die IT dem Unternehmen bringt. Ich treffe viele CIOs die sagen, sie seien noch zu weit weg vom Business. Das ist die richtige Positionierung für uns. Wenn wir helfen können, dass sich der CIO als strategischer Partner des Business platziert, haben wir etwas Gutes getan. Die IT kann einen Mehrwert für das Business bringen. Das müssen wir dem Business klar machen und wenn der CIO in diesen Prozess eingebunden wird, ist das ideal.
Was ist aus Ihrer Sicht das Problem der CIOs?
Wenn mir ein CIO sagt, dass er nicht in die Cloud geht, weil er seine Daten bei sich behalten will, ist das ein Widerspruch. Das ist, wie wenn man vor hundert Jahren das Geld nicht auf die Bank bringen wollte, sondern unter dem Bett deponierte, weil man dachte, da sei es sicherer als auf der Bank. Rein faktisch gibt es aber in der Cloud mehr Sicherheit als on-premise, da der  Cloud Anbieter für vielen Kunden arbeitet und das Thema Sicherheit grundlegend angehen muss.
Sie propagieren die Cloud. Sagen aber, dass Sie nicht mehr die Techniker, sondern die Business-Leute ansprechen wollen. Wie passt das zusammen?
Für die Kunden ist die Cloud nicht relevant. Für sie ist wichtig, dass sich ihr Geschäft rasch weiterentwickelt. Sie wollen Business-Anforderungen erfüllen, einen stabilen Betrieb haben und ihre Daten jederzeit abrufen können. Wie andere Firmen bieten auch wir immer mehr Applikationen aus der Cloud. Sie wollen beispielsweise nicht wissen, was Swisscom TV in der Cloud bedeutet. Sie wollen einfach von Überall Zugriff auf den TV-Content haben, die Sendungen speichern können und keine Daten verlieren, wenn die Box ausgetauscht wird. Das sind die relevanten Themen, die unsere Kunden begeistern. Die Cloud ist nur Mittel zum Zweck. Und das bedeutet für uns, dass wir Anwendungen und Produkte entwickeln müssen, die immer schneller verfügbar sind.
Es klingt, als ob Ihre Verkäufer künftig vor allem Psychologen sein müssen.
Nicht ganz, aber es ist fair zu sagen, dass bei der Adoption von Cloud noch viele psychologische Barrieren vorhanden sind. Aber ja, die Rolle des Account Managers muss sich entwickeln. Hin zu einem «Relationship-Manager». Bisher hatten die Verkäufer einzelne Produkte, beispielsweise Telefonanlagen oder unser Mobil-Portfolio, zu vermarkten und konnten technisch in die Tiefe gehen. Nun stehen für sie nicht mehr die Produkte, sondern die Menschen im Vordergrund. Die Verkäufer müssen zu den Kunden eine Beziehung aufbauen und wenn diese steht, kommen die Produktspezialisten und beraten detailliert. Das bedeutet aber auch, dass wir intern unsere Consulting-Fähigkeiten ausbauen müssen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: «Wir sind ein Stück Schweiz»
Sie erwähnten zuvor die Generation Y. Können auch ältere Swisscom-Mitarbeiter diesen Wandel glaubhaft verkaufen oder sind sie überfordert?
Ich bin immer davon ausgegangen dass wir die Leute auf unsere Reise mitnehmen können. Nicht alle werden es schaffen, aber die meisten können wir sicher an Bord halten.
Nein, wir haben wegen der Fusion niemand entlassen. Wenn man Swisscom als Ganzes anschaut, gibt es immer Abteilungen die schrumpfen, andere die wachsen und einige, die transformieren und Geld brauchen. Meine Abteilung befindet sich auf einem Wachstumskurs. Aber der ist natürlich davon abhängig, wie unser Markterfolg sein wird. Entwickelt sich das Geschäft nicht wie geplant, müssen wir die Kostenseite anpassen.
Haben Sie für ihre Neuausrichtung internationale Vorbilder?
Ich denke, wir sind aufgrund der Kundennähe in einer einzigartigen Position. Aber wir müssen noch beweisen, dass diese Position den Kunden Mehrwert bringt. Unsere Mitbewerber sind einerseits die lokalen Anbieter mit lokalem Speicherplatz. Dann haben wir die internationalen, die Preise bieten, bei denen nicht mithalten können, die aber kein echten B2B Fokus und Verständnis haben. Ich denke sogar, dass Computing Power irgendwann gratis sein wird, und ich frage mich, was es für die Unternehmen bedeuten wird. Aber wir sehen uns nicht nur wirtschaftlich. Wir sind ein Stück Schweiz. Und die Schweiz hat die effizientesten Unternehmen der Welt. Weil die Unternehmen es trotz hoher Löhne und starkem Franken geschafft haben, sich fit und schlank zu machen. Die Digitalisierung ist nun die nächste Herausforderung für die hiesigen Unternehmen. Andere Länder, vor allem die USA, schlafen nicht.
Und wenn Sie die KMU nicht davon überzeugen können, zu Ihnen in die Cloud zu kommen?
Wenn die Unternehmen ? egal wie gross - die Digitalisierung nicht schaffen, sind sie gefährdet. Denn in der digitalen Welt fressen nicht die Grossen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.
Zur Person:
! KASTEN !



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