03.06.2016, 11:42 Uhr

Justiz-Informatik soll harmonisiert werden. Bund ist dabei, aber es liegt an den Kantonen

Die Informatik der Schweizer Strafjustiz soll harmonisiert werden. Der Bund ist dabei, die grossen Kantone auch. Noch fehlen aber weitere Ratifizierungen - und ein Projektleiter.
Die Informatik der Schweizer Strafjustiz gleicht derzeit dem Zimmer eines Sechsjährigen. Strafverfolgungsbehörden, Gerichte und Gefängnisse benutzen unterschiedliche Systeme, die oftmals nicht miteinander kompatibel sind. Zwar gibt es hauptsächlich zwei Anbieter in diesem Bereich ? Abraxas mit Juris und die Aargauer Softwareschmiede Delta Logic mit Tribuna - Ämter und Kantone haben ihre Applikationen aber derart individuell modifiziert, dass von einheitlichen Datenstandards und Schnittstellen keine Rede sein kann. Beispielsweise gibt es kaum zwei Kantone, die Daten zur Verwaltung von Strafgefangenen elektronisch miteinander austauschen könnten. Stand heute hat niemand eine Ahnung, wie viele Systeme in der Justizinformatik im Einsatz sind. Und die Beamten müssen erheblichen Mehraufwand in Kauf nehmen, weil die Informationen aus dem einen System manuell in ein anderes übertragen werden müssen. Um Ordnung ins Chaos zu bringen, möchte die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektdirektoren (KKJPD) die Justizinformatik harmonisieren. Heute hat der Bundesrat die entsprechende Vereinbarung der KKJPD gutgeheissen. Per 1. Juli 2016 wird eine Ergnzung der Bundesinformatikverordnung verabschiedet, nach der sich auch der Bund am Projekt beteiligen kann.

Das Warten auf die Kantone

Damit ist das Programm zur Harmonisierung der Informatik in der Strafjustiz (HIS) gesichert. Die Programmleitung soll ein aktiver Staatsanwalt mit Leitungsfunktion und vertieften IT-Kenntnissen übernehmen. Bislang übt die Funktion der ehemalige leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, Andreas Brunner, aus. Die KKJPD ist zuversichtlich, ihn im Frühjahr 2017 ablösen zu können. Viel konkreter ist das Harmonisierungsprogramm derzeit noch nicht. Es befindet sich einer Ratifizierungsphase, denn erst, wenn 18 Kantone mitmachen, wird es umgesetzt. Da Kantone ungerne ihre Autonomie aufgeben, keine leichte Aufgabe. Die Verantwortlichen zeigen sich aber optimistisch, die Zahl zu erreichen, derzeit hätte man knapp die Hälfte der benötigten Zahl. Der Optimismus beruht vor allem auf der Tatsache, dass grosse Kantone wie Bern und Zürich bereits ihre Zusage gaben. Sie sind es auch, die den grössten finanziellen Aufwand betreiben müssen.

Vernehmungen per Video

Einzelne Projekte befinden sich bereits in der Umsetzung. So will man eine Applikation einführen, mit der Vernehmungen mittels Video gemacht werden können. Das erste richtige Grossprojekt ist allerdings die Harmonisierung der Vorgangsbearbeitung: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und der Justizvollzug sollen ihre Dokumente automatisch miteinander austauschen können. Damit beispielsweise ein Diebstahl im System der Polizei gleich codiert wird wie im System des Gerichts. Bis heute ein schwieriges Unterfangen, da jeder Kanton und jedes Amt sein eigenes System und, damit verbunden, seine eigenen Datensätze benutzt. Auf «25 bis maximal 50 Prozent» schätzt Roger Schneeberger, KKJPD-Generalsekretär, die Schnittstellen, die heute medienunterbruchsfrei übermitteln können. «Im ersten Schritt geht es darum, die Verbindung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft zu gewährleisten», sagt Schneeberger. Die Daten müssten innerhalb des Kantons, aber immer häufiger auch interkantonal, ohne Mehraufwand der zuständigen Behörde übermittelt werden können. Da viele Kantone ihre Applikationen bisher nach eigenem Gutdünken modifiziert haben, ist dies laut Schneeberger «eine grosse Kiste». Dass die Harmonisierung kompliziert werden dürfte, weiss Urs Paul Holenstein, Leiter Fachbereich Rechtsinformatik beim Bundesamt für Justiz. Es sei bereits schwierig, die Schnittstellenbeschreibung so zu gestalten, dass sich auch alle daran hielten. Für ein Projekt zur Digitalisierung des Betreibungswesens habe der Bund beispielsweise knapp fünf Millionen Franken ausgegeben. Alleine zwei Millionen gingen für Schnittstellen- und Datenbeschreibungen drauf.

In zehn Jahren am Ziel

In zehn Jahren soll aus dem heutigen Durcheinander in der Strafjustiz eine «zukunftsgerichtete und  wirtschaftliche IT-Lösungslandschaft» entstanden sein. Damit der Zeitrahmen ungefähr eingehalten werden kann und die Kantone sich nicht zu sehr bevormundet fühlen, steht es ihnen frei, bei welchen Projekten sie nach der Ratifizierung mitmachen wollen. «Mit diesem Modell haben wir bei der Harmonisierung der Polizeiinformatik bereits gute Erfahrungen gemacht», sagt Schneeberger. «Einzelne Projekte werden mit Vorreiterkantonen umgesetzt und wer später dazustossen will, muss sich ebenfalls an den Projektkosten beteiligen.» In zehn Jahren wird auch unser heutiger Sechsjähriger hoffentlich gelernt haben, sein Zimmer aufzuräumen. Ob die IT-Harmoniserung mit seiner Entwicklung mithalten kann, lässt Urs Paul Holenstein vom EJPD offen: «Es ist ein realistische Ziel. Allerdings müsste dafür nun ziemlich schnell vorwärts gemacht werden.»



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