Twitter und Apple
30.10.2014, 07:30 Uhr
IBMs Konsumerisierung
IBM partnert mit Apple. Am Rande der Hausmesse «Insight» wurde die neue Partnerschaft mit Twitter publik. Big Blue praktiziert die Konsumerisierung der Geschäfts-IT.
IBM und Twitter gehen eine weitreichende Partnerschaft ein. Die Unternehmenskunden von Big Blue sollen via direkten Zugang zu Twitter künftig besser über Kritik und Lob der Verbraucher orientiert werden. Die Watson-Technologie wird gemäss IBM ermöglichen, dass die Firmenangestellten für die Auswertung der Tweets die nicht in eine Schulung geschickt werden müssen. Vielmehr soll es genügen, der Software Fragen in natürlicher Sprache zu stellen. Dann wertet Watson die Twitter-Inhalte aus und zeichnet ein Meinungsbild (vielmehr erstellt automatisch Grafiken). Für die Twitter-Anwendung muss IBM die Watson-Software nicht neu programmieren. Die Technologie steht grundsätzlich für den Praxisfall bereit. Sie soll auf der Cloud-Plattform Bluemix realisiert werden. Vor dem Verkaufsstart werden die Entwickler von Big Blue lediglich einige Schnittstellen von Watson adaptieren und ergänzen müssen. Die Partnerschaft mit Twitter wurde am Mittwoch (Ortszeit) auch an IBM-Konferenz «Insight» in Las Vegas bekannt. Die Kooperation schlossen allerdings IBM-Chefin Virginia Rometty und Twitter-CEO Dick Costolo. Beide sehen (natürlich) einen grossen Mehrwert in dem Projekt. Twitter sei ein Vergrösserungsglas für die Welt und ein Synthesizer von Trends, liess sich Rometty zitieren. Costolo sieht IBM als weltweit führend an, die Unternehmen bei der Nutzbarmachung von neuen Entwicklungen zu unterstützen. An der «Insight» betonte Bridget van Kralingen, Senior Vice President IBM Global Business Services, dass persönliche Daten von Verbrauchern für Firmen die wertvollsten Assets überhaupt sind. Via Twitter haben IBM-Kunden in Zukunft den Zugriff auf täglich über 500 Millionen Tweets. Welche Inhalte davon verwertbar sind, wird IBMs Watson herausfiltern. Van Kralingens Intention war jedoch hauptsächlich, die rund 13'000 Teilnehmer an der «Insight»-Konferenz dafür zu sensibilisieren, dass die individuelle Ansprache von Verbrauchern eine sehr wirksame Kundenbindungsmöglichkeit ist.
Federers Out in Wimbledon
IBM hat gemeinsam mit den Veranstaltern des Wimbledon-Tennisturnieres Erfahrungen mit der individuellen Kundenansprache gesammelt. Im vergangenen Jahr wurde eine App lanciert, in der exklusive Inhalte gespeichert waren. Wie die IBM-Managerin berichtete, wurde mit Analytics-Technologien Millionen von Statistiken zu allen Spielern des Turniers aufbereitet. Diese Daten standen dann zwar den Zuschauern, nicht aber auf dem Center Court selbst zur Verfügung. Auch die Spieler waren nach den Worten van Kralingens eifrige Nutzer der App, denn zum Beispiel auch die Leistungsdaten der jeweiligen Gegner liessen sich abrufen. Das Out von Roger Federer in der zweiten Runde und Stanislas Wawrinka sogar in der ersten Runde hatte die App allerdings nicht prognostiziert. Anwendungen von IBM-Technologie wie die Wimbledon-App wird es künftig voraussichtlich noch mehr geben. Auch Twitter wird dabei eine Rolle spielen. Die neue Partnerschaft könnte Big Blue wieder etwas mehr ins Rampenlicht, denn auf den modernen Plattformen wie Smartphone und Tablet waren die Produkte von IBM bis anhin zwar präsent. Aber Business-Applikationen und Geschäfts-E-Mail bereiten eher selten wirklich Freude. Nächste Seite: geheimnisvolle Apple-Apps Künftige Business-Apps sollen Freude bereiten, versprach Fred Balboni, General Manager IBM & Apple Partnership, an der «Insight». So ziele die Partnerschaft von Apple und IBM auf die Konsumerisierung des Geschäfts. Welche Funktionen die Programme für das iPad und das iPhone letztendlich haben werden, wollte sich Balboni indes nicht entlocken lassen. Aber zumindest quantitativ liegt die Messlatte hoch: Bis Ende Jahr sollen vier Apps aus der Partnerschaft hervorgehen, bis Mitte 2015 weitere 150. Gemeinsam mit Apple hat sich IBM bei der App-Entwicklung vier Kriterien vorgegeben, berichtete der Manager. Die Lösungen sollen erstens einen Industriebedarf adressieren und zweitens Gebrauch machen von Big Data und Analytics (allerdings zunächst ohne Legacy-Daten einzubeziehen, schränkte Balboni ein). Als drittes Designkriterium führte er an, dass jede App die Besonderheiten der mobilen Plattformen wie Funk und Sensoren für das Geschäft nutzbar machen soll. Schliesslich muss jede der Apps viertens die Arbeitsleistung jedes Benutzers steigern und/oder verbessern – ein Kriterium, das für jede Geschäftsanwendungen gilt (gelten sollte). So weit, so geheimnisvoll.
Einen möglichen Anwendungsfall für die kommenden Apps offenbarte Balboni allerdings doch: Kundenberater im Detailhandel sind heute teilweise überrascht oder sogar überfordert mit den gut informierten Verbrauchern. Wenn sich künftig ein Kunde für ein Produkt interessiert, könnte sich der Berater vor dem Verkaufsgespräch in der App über den Kunden selbst informieren. Das Programm würde die Kundenhistorie kennen, die bisherigen Aktivitäten des Interessenten auf der Anbieter- und der Hersteller-Webseite dokumentieren und Argumentationshilfen vorgeben, die in vergleichbaren Situationen zum Verkaufserfolg geführt haben. Zusätzlich würde die App anzeigen, welche Produkte im Lager vorhanden sind und welche allenfalls abverkauft werden sollten. Alle Informationen werden dem Verkäufer präsentiert, sobald sich der Verbraucher mit seiner NFC-fähigen Kundenkarte oder dem iPhone im Ladengeschäft zu erkennen gibt. Balboni liess das Beispiel an der «Insight»-Konferenz unkommentiert. Das Szenario ist technisch heute natürlich realisierbar, fragt sich nur, wie die Verbraucher auf einen quasi «persönlichen» Kundenberater reagieren. Viele werden die Kundenkarte shreddern, das Handy beim Betreten des Landgeschäfts abschalten oder die Filiale künftig meiden. In den neuen Partnerschaften mit Twitter und Apple sollte IBM nicht ausschliesslich nach dem technisch unbedingt machbaren streben. Bis anhin fuhr Big Blue (einigermassen) gut damit, sich auf die Unternehmenslösungen im Hintergrund zu konzentrieren. Das Analystenhaus Gartner schreibt bezeichnenderweise, dass IBM-Produkte von Kunden nicht unbedingt wegen der Alleinstellungsmerkmale gewählt werden, sondern will die Lösungen von Big Blue zum Standard in den Anwenderunternehmen gehören. Mit Watson hat IBM ein Alleinstellungsmerkmal, auch das bescheinigt Gartner. Um mithilfe von Watson zu wachsen, können die Kooperationen mit Twitter und Apple nützlich sein – mehr aber auch nicht.