11.12.2013, 11:00 Uhr
Fernmelde-Überwachung fehlt Leistungsbeweis
Hierzulande werden jährlich tausende Überwachungsmassnahmen von Telefonanschlüssen gerichtlich angeordnet. Experten zweifeln am Nutzen der Abhöraktionen in Strafprozessen.
Der aktuell in der Schweiz praktizierten Überwachung von Telefon- und Internet-Anschlüssen fehlt grossmehrheitlich der Leistungsnachweis. Trotzdem wurden im vergangenen Jahr rund 15'000 Abhöraktionen von Gerichten angeordnet. Das sagte René Koch, Leiter Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF am Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement EJPD, an einem Anlass der parlamentarisch-wirtschaftlichen Initiative ePowerund der Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit am Dienstag in Bern. Koch bezifferte die durch Fernmelde-Überwachung entstehenden Kosten mit rund 12 Millionen Franken. Jede Massnahme werde separat vergütet, die Höhe der Beträge sei abhängig vom Aufwand. Lieferanten wie die Sunrise, Swisscom, upc cablecom oder auch die Schweizerische Post sowie UPS würden zum Beispiel pro Echtzeitüberwachung 1500 Franken und für einen Notfall jeweils 500 Franken erhalten, erklärte der ÜPF-Leiter. Seine Dienststelle erreiche mit den Aufträgen der rund 3000 eidgenössischen und kantonalen Strafverfolgungsbehörden eine Kostendeckung von 50 Prozent. Für den Restbetrag müsse der Steuerzahler einstehen, so Koch.
Die gerichtlich angeordneten Abhöraktionen sind im Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) geregelt. Das Gesetz ist nach Aussage Kochs nicht mehr auf dem aktuellen Stand, die jüngste Fassung stammt aus dem Jahr 2000. Zurzeit befindet sich ein Revisionsvorschlag in der Vernehmlassung. Vorgesehen ist unter anderem eine Verlängerung der Vorratsdatenspeicherung von jetzt sechs auf künftig zwölf Monate. Von einer Firstverlängerung wäre auch der Internet-Provider green.ch betroffen, erklärte CEO Franz Grüter an dem Anlass. Laut «vorsichtigen Schätzungen» würde green.ch der längere Überwachungszeitraum zwischen 10 bis 12 Millionen Franken kosten. Der CEO gab zu bedenken, dass sein Unternehmen diese Mehrkosten auch anderweitig erwirtschaften muss. «Bei mehr Vorratsdatenspeicherung würden zu einer Verteuerung der Produkte führen», sagte Grüter. Damit gäben einheimische Anbieter auch einen Standortvorteil preis. Nächste Seite: Kosten-Nutzen-Rechnung
Für Grüter stand aber ausser Frage, ob green.ch die Überwachungsdaten liefern kann. «Technisch ist eine längere Speicherfrist kein Problem. Allerdings läuft die Schweiz Gefahr, zum Überwachungsstaat zu werden», wand der CEO ein. Denn, so simsa-Präsident Andrej Vckovski, müsse vor einer Revision des BÜPF erst abgeklärt werden, ob ein Mehr an Überwachung zu einer höheren Aufklärungsquote bei Straftaten führt. Dieser Beweis sei bis anhin nur unzureichend erbracht, waren sich Grüter und Vckovski einig.
Viktor Györffy, Präsident des Vereins grundrechte.ch, konnte an dem Anlass immerhin eine Untersuchung des deutschen Max-Planck-Instituts zitieren. Die Wissenschaftler hatten vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung im nördlichen Nachbarland im Jahr 2007 die Aufklärungsquoten mit und ohne Vorratsdaten verglichen. Die Schweiz wurde als Referenz verwendet, da es zum damaligen Zeitpunkt schon eine Speicherpflicht gab. In den Kriminalstatistiken spiegelte sich allerdings kein Gewinn durch die zusätzlichen Informationen wider. Für den Präsident und Strafverteidiger Györffy bezeichnete den Nutzen von langfristig gespeicherten Fernmelde-Daten als zumindest zweifelhaft. Eine exakte Erhebung für die Schweiz gäbe es nicht, sagte er. Laut den für das Inland vorliegenden Statistiken würden die Strafverfolgungsbehörden gespeicherte Daten grösstenteils kurzfristig abfragen – meistens die Informationen vom Vortag. Dabei stehe die Mobilkommunikation meistens im Zentrum, IP-Daten oder E-Mail spielten nur selten eine Rolle. «Insgesamt wird der Nutzen von Überwachungsdaten im Strafprozess überschätzt», berichtete der Anwalt aus der Praxis.