30.06.2005, 10:33 Uhr

Erkennen, was wichtig ist

Das vielerorts propagierte papierlose Büro ist auch im Zeitalter der modernen Kommunikationstechnologien immer noch eine Vision. Das Departement Finanzen der Spitalregion St.Gallen ­Rorschach arbeitet mit einem System zur automatischen Rechnungserfassung und überwindet somit den Bruch zwischen dem Medium Papier und der digitalen Datenverarbeitung.
Bei einem Medienbruch kommen heute noch immer hauptsächlich menschliche Helfer zum Einsatz (Illustrationen: cw/thü)
Auch in Zeiten der elektronischen Datenübermittlung und -verarbeitung gehören auf Papier festgehaltene Informationen nach wie vor zum Alltag. So steht auch am Anfang eines modernen digitalen Workflow häufig beschriebenes oder bedrucktes Papier. Rechnungen auf Papier erhält jedes Unternehmen. Somit ist auch in dem Unternehmen, unabhängig von seiner Grösse, auch der Prozess der Rechnungsverarbeitung anzutreffen. Egal, ob nur eine einfache Buchhaltungssoftware oder ein umfangreiches Enterprise-Content-Management-System zum Einsatz kommt, eine Hürde gibt es immer zu nehmen: Die Übertragung der auf Papier eingetroffenen Rechnung ins digitale. Fachleute sprechen hierbei von einem so genannten Medienbruch.
Die Überwindung des Medienbruchs erfolgt klassischerweise manuell. Die Daten auf den eintreffenden Rechnungen werden manuell abgetippt. Dies ist nicht nur zeit- und arbeitsintensiv, sondern birgt auch grosse Fehlerquellen in sich: Denn Angaben wie Lieferantennummer, Beträge und Zahlungstermine müssen abgetippt werden. Treffen Kreditorenrechnungen elektronisch ein, existiert kein Medienbruch. Diese werden nach vorgegebenen Regeln übermittelt und können nach notwendigen Konvertierungen direkt weiterverarbeitet werden. Rechnungen per Fax oder PDF-Datei stellen eine Sonderform dar. Sie liegen zwar elektronisch vor, müssen aber wie ein Papierdokument aufbereitet und verarbeitet werden.

Manuelle Erfassung

Lösungen zu entwickeln, die auf den Rechnungen die benötigten Angaben selbstständig erkennen, stellt für Entwickler, die sich auf Datacapturing - zu Deutsch Datenerfassung - spezialisiert haben, eine grosse Herausforderung dar. Im Markt werden heute verschiedene Produkte angeboten, die unterschiedliche Ansätze verfolgen.

Erkennen, was wichtig ist

Das Grundproblem beim automatischen Herauslesen von Informationen aus eintreffenden Rechungen ist, dass jeder Lieferant für seine Rechungen ein eigenes Layout verwendet. Somit stehen auch Informationen wie Rechnungsbetrag oder Bestellnummer bei jedem Lieferanten an einem anderen Ort. Verschiedene Systemanbieter lösen dies, indem sie bei jeder Kundeninstallation ihrer Systeme eine Vielzahl von möglichen Grundmustern der zu erwartenden Rechnungen im System vordefinieren. Man spricht hierbei von regelbasierten Systemen. Dies wirkt sich jedoch zumeist negativ auf die Erkennungsgenauigkeit und die Performance aus. Eine andere Möglichkeit ist es, Systeme auf verschiedene typische Rechnungen zu trainieren, bis die Genauigkeit der Erkennung stimmt.
Die Zuger Softwareentwickler der TCG Informatik AG verfolgen mit ihrer Lösung Freeformstar einen anderen Ansatz. «Unser Ziel war es, ein System zu entwickeln, das ohne die Definition von Formulartypen auskommt, aber trotzdem präzise Informationen liefert,», sagt Vertriebsleiter und stellvertretender Geschäftsführer Martin Busl. Jedes Dokument wird eingescannt und komplett mit einer OCR-Funktion ((Optical Character Recognition) gelesen. Um die gewünschten Informationen, beispielsweise den Endbetrag einer Rechnung oder die Bestellnummer, zu erkennen, wird eine unscharfe Suche mit Fuzzy Logic eingesetzt. Vorab definierte Parameter und Regeln unterstützen das Erkennen von Informationen. Zudem werden herausgelesene Informationen mit bestehenden ERP-Daten-banken (Enterprise Resource Planning) verglichen um die Treffergenauigkeit zu erhöhen.

Abtippen war gestern

Bevor das Abtippen von eingetroffenen Lieferantenrechnungen in der Spitalregion St. Gallen Rorschach der Vergangenheit angehörte, mussten die rund 900 bis 1000 Rechnungen pro Woche nicht nur von Hand erfasst werden, sondern sie trafen dezentral in den verschiedenen Bereichen des Spitals ein. So war es beispielsweise unmöglich, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen korrekten Buchhaltungsabschluss vorzunehmen, da stets Unklarheit über die aus-stehenden Beträge der pendenten Rechnungen herrschte.

Erkennen, was wichtig ist

Seit einiger Zeit gehen nun alle Rechungen zent-ral im Departement Finanzen ein. In einem ersten Arbeitsschritt werden sie eingescannt und mit Freeformstar vollautomatisch erfasst. Anschliessend werden die für die Verbuchung wichtigen Informationen ausgelesen. Diese sind unter anderem Belegnummer, ESR-Nummer, Kreditorenname und der Betrag. Als Scanner wird ein Kodak i260 eingesetzt, der bis zu 33 Seiten pro Minute verarbeiten kann. Das System erlaubt einen hohen Grad an Automatisierung, da die Lesegenauigkeit sehr hoch liegt. Nicht korrekt gelesene Daten können in einem Korrekturclient am Bildschirm von Hand nachbearbeitet werden. Um die Genauigkeit weiter zu erhöhen, werden zudem so genannte Plausibilitätsprüfungen durchgeführt - so werden beispielsweise eingelesene Kreditorennummern mit der bestehenden Datenbank verglichen. So wird überprüft, ob sie bereits vorhanden und somit gültig sind. Der anschliessende Workflow (Datenübergabe von Freeformstar an DMS via XML) mit Kontierung und Visierung der Rechungen wird in einem Dokumenten Management System vorgenommen. Anschliessend werden die Daten an das SAP-System des Spitals übergeben.
«Für die rund 400 Mitarbeitenden, die mit dem System arbeiten, waren die neuen Arbeitsabläufe anfangs etwas gewöhnungsbedürftig,» sagt Claudia Hirtl, Informatikverantwortliche Departement Finanzen. «Insgesamt ging die Umstellung jedoch sehr schnell, weil das System auch ein viel komfortableres Arbeiten erlaubt.» Dank dem neuen System und der zentralen Verarbeitung ist es für die Finanzbuchhaltung möglich, einen korrekten Quartalsabschluss zu machen. Zudem konnte die Durchlaufzeit für die eintreffenden Rechungen verkürzt werden. Auch ist es einfacher, bereits verarbeitete Rechnungen bei Rückfragen wieder aus der Ablage zu holen, da alle Mitarbeitenden Zugriff auf das elektronische Archiv haben. Pro Woche erhält die Spitalregion St.Gallen Rorschach Rechnungen von rund 20 neuen Lieferanten. Diese können nun ebenfalls problemlos verarbeitet werden, da wie bereits beschrieben keine Formulartypen für Rechnungen von neuen Lieferanten definiert werden müssen. Als Ausbauprojekt ist die Erfassung administrativer Patientendaten - beispielsweise bei einer Überweisung eines Patienten von einem anderen Spital - in Planung.
Das vielerorts propagierte papierlose Büro ist auch im Zeitalter der modernen Kommunikationstechnologien immer noch eine Vision, ist Kurt Lendi, CEO der TCG Informatik AG überzeugt. Deshalb ist auch das System der TCG nicht nur für die Erfassung von Rechnungen ausgelegt: Die gesamte Eingangspost eines Unternehmens kann auf diese Weise verarbeitet werden, denn Papier wird, so Kurt Lendi, auch in Zukunft ein praktischer und kostengünstiger Datenträger sein.
Karsten Füllhaas



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