26.06.2009, 15:28 Uhr
Die freie Wahl der Beschränkung
Cloud Computing wird derzeit als Heilmittel für fast jedes IT-Problem gepriesen. Ob die schöne neue Welt aber eher Aldous Huxley oder dem Paradies ähnelt, ist noch nicht entschieden.
Silvia Finke ist freie Journalistin & Senior Consultant bei Dr. Peter P. Knobel AG, spezialisiert auf IT-Themen
Die Versprechungen von Energie- und Kostenersparnis durch Virtualisierung und Cloud Computing reissen nicht ab. Es ist ja auch zu verlockend: Hardware, Software und Services stehen auf Knopfdruck am Thin Client zur Verfügung. Es gibt keinen Ärger mit Lizenzen, die Hardware wird je nach Bedarf zusammengestellt und der Speicherplatz stösst nie an seine Grenzen. Alles wird streng nach Verbrauch abgerechnet, teure Investitionen entfallen. Auf den ersten Blick ein Paradies für jeden IT-Verantwortlichen. Ist das aber wirklich die Tür zum Paradies - oder nur zu einer andere Abhängigkeit? Fünf Thesen beleuchten das Thema aus einem kritischen Blickwinkel und werfen Fragen auf, die beim derzeitigen Hype leicht in den Hintergrund geraten. Diese Fragen muss jeder verantwortungsvolle CIO schlüssig beantworten, bevor er seinen Verantwortungsbereich in die Cloud verlegt.
1 Auch Clouds sind proprietäre Systeme
Clouds - oder besser, die in ihnen für Kunden enthaltenen Services - sind proprietäre Systeme, ob sie nun so genannt werden oder nicht. Die technische Ebene, also die Rechenzentren, die für den Betrieb einer Cloud unerlässlich sind, mag von der Hardware her offen sein und auch die jeweils neusten Möglichkeiten nutzen. Trotzdem wird es immer einen Anbieter dieser Rechenzentrumskapazitäten geben, sei es nun HP, Google, Amazon, Microsoft oder wer auch immer. Dieser Anbieter besitzt das Herz der Cloud (die Rechnerfarm), das Blut (das Betriebssystem) und das Gehirn (die Herrschaft über die angebotenen Services). Damit entscheidet er, was und wen er in die Cloud lässt, und legt damit fest, welches Angebot der Kunde vorfindet.
Stellt man sich die Cloud der Zukunft als Warenhaus vor, dann hat dieses Warenhaus bestimmte Abteilungen (Dienste), in denen sich der Kunde frei bewegen kann. Wenn er etwas kauft, bezahlt er auch dafür. Wenn er aber in diesem Warenhaus das Gewünschte nicht kaufen kann, da es nicht angeboten wird, kann er nicht - wie sonst beim Einkaufen üblich - einfach das Warenhaus wechseln.
In der Cloud sind die Türen nach aussen quasi verschlossen. Da sich die Architekturen der einzelnen Anbieter voneinander unterscheiden, sind Kombinationen von mehreren Services unterschiedlicher Clouds nicht sehr wahrscheinlich. Abgesehen davon dürfte die Mitgliedschaft in mehreren Clouds für ein Unternehmen auch viel zu aufwendig sein. Es bleibt also nur, sich mit dem einzurichten, was das Warenhaus anbietet - und auf andere Wünsche zu verzichten. Auch die Preise für die angebotenen Services sind in diesem Zusammenhang ein Thema.
2 Die Kunden sind von den Cloud-Anbietern abhän
gig
Zu Anfang müssen die Kapazitäten der Cloud möglichst schnell ausgelastet werden, um rentabel zu sein. Es braucht Kunden. Dumpingpreise sind da fast vorprogrammiert. Was passiert aber, wenn die Cloud kostendeckend arbeitet, ausgelastet ist, vielleicht sogar erweitert werden muss? Es ist wahrscheinlich, dass der Kunde dann geschröpft oder an diesen Investitionen beteiligt wird - über so moderat steigende Preise, dass sich jeweils der Ausstieg aus dem System mit allen Folgekosten nicht rechnet. Das Unternehmen ist quasi in der Wolke gefangen.
3 in der Cloud ist jede Spur nachverfolgbar
Sowohl unternehmerische als auch private Kunden eines Cloud-Anbieters sehen sich noch
einem ganz anderen, weniger technischen Problem gegenüber: dem der völligen Durch-
schaubarkeit ihrer Aktivitäten. Alle Wege im Netz und erst recht in einer Cloud sind nachvollziehbar. Schon heute steuert etwa Google seine Werbeeinblendungen auf der Basis solcher Informationen - nicht nur zum Wohle des Users (der serviert bekommt, für was er sich augenscheinlich interessiert), sondern vor allem zum Nutzen der Unternehmen (die so die Streuverluste ihrer Werbung stark beschränken können).
einem ganz anderen, weniger technischen Problem gegenüber: dem der völligen Durch-
schaubarkeit ihrer Aktivitäten. Alle Wege im Netz und erst recht in einer Cloud sind nachvollziehbar. Schon heute steuert etwa Google seine Werbeeinblendungen auf der Basis solcher Informationen - nicht nur zum Wohle des Users (der serviert bekommt, für was er sich augenscheinlich interessiert), sondern vor allem zum Nutzen der Unternehmen (die so die Streuverluste ihrer Werbung stark beschränken können).
Man kann sich leicht ausmalen, wie mehr und genauere Informationen über jeden Einzelnen genutzt werden können. Am Ende einer solchen Kette stehen detaillierte Nutzerprofile - und die sind für den Cloud-Betreiber so wertvoll, dass sie sicherlich nicht ungenutzt bleiben werden. Fragen des Datenschutzes sowie Auskunftsrechte und Haftungsfragen, die heute national geregelt sind, fallen hier im internationalen Rahmen an. Führt man sich jetzt die Schwierigkeiten der Weltgemeinschaft vor Augen, sich auf bestimmte Dinge verbindlich zu einigen, wird klar, welche Probleme sich hier auftun.
4 Internationale Anbieter mit lokalen Services
Eine Cloud ist umso interessanter für Nutzer, je mehr Services sie anbietet und je mehr Bereiche des täglichen Lebens sie abdeckt. Oberflächlich gesehen vereinfacht sie die Zugriffe auf die Services, es gibt keine Kompatibilitätsprobleme und alles steht nebeneinander und sofort zur Verfügung. Auch der Cloud-Betreiber hat etwas von der Vielfalt in seiner Cloud: Er bindet damit die Nutzer umso enger an sich.
Zu diesen Services gehören nicht nur Hardware- oder Software-Konfigurationen, die in der Regel über die grossen internationalen Anbieter zur Verfügung gestellt werden dürften. Es werden sicherlich auch nationale, regionale und sogar lokale Dienste dabei sein, um jeden Nutzer möglichst passgenau bedienen zu können. Mit Veranstaltungshinweisen aus seiner Stadt und dem Restaurant- oder Kinoverzeichnis wird ja gerade der besondere Mehrwert für den privaten Nutzer geschaffen.
Solche regionalen Services können von grossen Unternehmen gar nicht kostendeckend erbracht werden. KMU bedienen diesen Markt. Werden diese Services exklusiv angeboten, dienen sie dem Cloud-Anbieter als Differenzierungsmerkmal zur nächsten Cloud. Das Problem: Während grosse Unternehmen als gleichwertige Partner auf Augenhöhe mit dem Cloud-Anbieter verhandeln können, dürften sich die kleinen damit schwer tun. Der Betreiber der Cloud fängt also nicht nur die Nutzer in seinem Netz, sondern auch einen grossen Teil der Anbieter - und gewinnt so eine gewaltige Marktmacht.
5 Clouds benötigen stabile und grosse Bandbreiten
Die Cloud ist ein amorphes Wesen, deren Bestandteile in den Tiefen des Netzes verteilt sind. Trotzdem möchte natürlich gerade der geschäftliche Nutzer, dass alle Services stets sicher und schnell zur Verfügung stehen. Unverzichtbar hierfür sind hochleistungsfähige Netze. Nicht umsonst liegen Serverfarmen, die Clouds hosten, oft an Knotenpunkten von Backbone-Netzen.
In der entwickelten Welt ist das kein Problem, obwohl auch hier immer mal wieder Netze ausfallen. Wie sieht es aber in den Schwellen- und Entwicklungsländern aus? Und was machen Unternehmen, die in ihrem weltweiten Engagement auch dort präsent sind? Sind sie gezwungen, neben einer Cloud- noch eine konventionelle Infrastruktur zu betreiben, um diese Märkte bedienen zu können? Was ist, wenn Netze so lang ausfallen, dass dies ernsthafte geschäftliche Folgen hat? Wer trägt die Kosten, wer versichert die Risiken und mit wem schliesst man ein SLA?
Jeder Kunde einer Cloud, ob privat oder geschäftlich, sollte sich sehr genau überlegen, ob die offensichtlichen Vorteile, die ihm die Cloud zu bieten scheint, nicht mit weniger offensichtlichen, dafür aber umso gewichtigeren Nachteilen erkauft werden.
Silvia Finke