15.09.2016, 16:00 Uhr
ICT-Ausgaben 2016 wachsen nur marginal
Die Ausgaben für ICT in der Schweiz werden 2016 um nur 0,7 Prozent ansteigen. Die grossen Treiber Big Data und IoT werden von vielen Unternehmen noch sträflich vernachlässigt.
Im laufenden Jahr werden in der Schweiz rund 122 Millionen Franken mehr für ICT ausgegeben als im Vorjahr. Die Totalausgaben für ICT überschreiten damit die 17 Milliardengrenze, genau 2 Milliarden mehr als vor zehn Jahren. Pro Arbeitstag werden also landesweit 70 Millionen Franken in die IT gesteckt.
Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen MSM Research rechnet, basierend auf Befragungen von 800 Schweizer Unternehmen übers ganze Jahr hinweg, für den hiesigen ICT-Markt (nur B2B!) für 2016 mit einem schwachen Wachstum der Ausgaben von 0,7 Prozent. Darin enthalten ist der gesamte Business-to-Business-Markt in den Segmenten Hardware, Software und Services. Die Auswirkungen der Frankenstärke, aber auch weitere Risikofaktoren (Themen wie Brexit, Masseneinwanderungsinitiative/Zukunft der Bilateralen, TTIP) haben ihre Spuren hinterlassen. Viele Unternehmen haben mit Budgetkürzungen und Projektverschiebungen reagiert.
Weniger im Eigenbetrieb
Betrachtet man interne und externe Ausgaben gesondert, zeigt sich folgendes Bild: Ohne externes Sourcing und Dienstleistungen wie Managed Services und Cloud Computing verzeichnen die Ausgaben ein Minus von 1,7 Prozent. Die Ausgaben für externes Sourcing wiederum werden laut MSM Research um 8,6 Prozent steigen. Dieser Trend soll bis 2018 weiterhin anhalten, die Verlagerung der Ausgaben von Assets zu Services, hin zu externen Providern und ICT-Dienstleistern Fahrt aufnehmen. Das Wachstum der Gelder also, die nach aussen fliessen, wird stärker zulegen als die Budgetanteile für den Eigenbetrieb.
Die Top-Themen bis 2020 lauten Cloud, Sicherheit, Mobilität, Big Data und Internet der Dinge (IoT). Schon heute werden 20 Prozent des Budgets für Mobility (Hardware, Software, Services) ausgegeben – MSM Research rechnet mit einem Anstieg auf 35 bis 40 Prozent in den kommenden fünf Jahren. Weiterhin steht die Sicherheit ganz oben auf der Agenda der ICT-Abteilungen. Heuer wurden 2,2 Milliarden Franken dafür ausgegeben. Jeder 8. Franken fliesst also in Security. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Standard verdrängt Individualität
Mehr Standard-Lösungen
Neben oben erwähnter ökonomischer Einflussfaktoren oder auch die momentane Situation in der Industrie (MSM rechnet hier mit einem Minus der ICT-Ausgaben von 3,5%) haben auch Veränderungen in der ICT-Welt selbst Einfluss auf die Entwicklung. So verdrängt die Standardisierung zunehmend die Individualität. «Der Markt für Standard-Software wächst 5 Prozent schneller als jener für Individual-Software», sagte Philipp A. Ziegler, Geschäftsführer MSM Research, an einem Pressebriefing. Zudem generiert das Business zunehmend ICT-Projekte: Jeder 2. Franken kommt heute aus den Fachabteilungen. Wie erwähnt nimmt auch der Trend vom Eigenbetrieb hin zu externen Dienstleistern weiterhin zu. Laut MSM Research planen 30 Prozent der Schweizer Unternehmen einen Wechsel von intern zu extern. Dieser Paradigmenwechsel macht auch vor Big Data oder IoT nicht halt. Bis 2020 soll intern nur noch 30 Prozent betrieben werden, der Rest wird sich auf Managed Services (30%), Outsourced Private Cloud (25%) und Public Cloud (15%) verteilen. Zudem findet eine Desintegration der Servicewelten statt. Viele Firmen werden vor die Frage gestellt, ob sie künftig eher die Masse oder die Nische bedienen wollen.
Big Data, warum eigentlich?
Vom Sinn und Nutzen einer Big-Data-Lösung sind viele Unternehmen noch immer nicht überzeugt. Eine separate MSM-Studie zu diesem Thema ergab, dass fast Zweidrittel der Firmen nicht planen eine Big-Data-Lösung einzusetzen, weil die vorhandenen oder geplanten BI/Analyse-Tools völlig ausreichen würden.
«Viele sind noch immer der Meinung, dass Big Data sowieso nur etwas für die ganz Grossen ist», sagt Ziegler. Nur 18,3 Prozent haben bereits eine Big-Data-Lösung im Einsatz. Jeder Dritte sieht darin keinen Nutzen für sein Geschäft. Dabei hat die Mehrheit durchaus die Wettbewerbsvorteile von Big Data auf dem Radar. Viele versprechen sich dadurch erhöhte Kundenbindung und -zufriedenheit sowie Steigerung der Agilität und Flexibilität. Die grössten Hürden bei der Einführung liegen für die Befragten in der Komplexität der Lösung selbst und bei den Kosten. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Kein IoT ohne Big Data
Kein IoT ohne Big Data
Das Thema Internet der Dinge ist für viele Unternehmen eng mit Big Data verbunden. Kaum ein grösseres IoT-Projekt wird ohne Big Data auskommen. So lange jedoch hinsichtlich Big Data noch wenig läuft, wird auch bezüglich IoT nicht viel passieren. Eine zweite MSM-Studie zusammen mit ICTpower, Swisscom und Brocade zwecks einer ersten Übersicht zum Stand der Dinge in Sachen IoT ergab, dass wir im Schweizer Markt in der Anfangsphase stecken. Die momentanen Projektumsätze bewegen sich im Vergleich zum Gesamtmarkt in marginaler Höhe. 2016 werden diese nach Schätzungen von MSM Research bei rund 300 Millionen Franken (knapp 2% der gesamten B2B-ICT-Ausgaben) liegen.
Nur in einzelnen Branchen oder Nischen haben IoT-Lösungen bereits Fuss gefasst. So zum Beispiel in der Industrie bei Preventive Maintenance, also Wartungsvorhersagen, in der Robotik oder der Logistik (Track & Trace). Generell ist das Thema in Breite und Tiefe und mit Blick auf künftiges Potential an Marktchancen in Helvetien noch nicht angekommen. «Das Thema ist bei den meisten heute noch stark auf die Industrie und auf kommunizierende Maschinen fokussiert», sagt Philipp A. Ziegler.
Mehrheit lässt sich Zeit
Trotzdem haben 52,2 Prozent der Befragten auf die Frage wann IoT vollumfänglich Realität wird und die Auswirkungen zum Tragen kommen mit «in den nächsten 3-5 Jahren» geantwortet. Aus Zieglers Sicht zu lang, zu spät. «Die Mehrheit der Befragten geht offenbar davon aus, dass noch genügend Zeit für den Einstieg ist», so der Marktforscher, «doch die Disruption ist in vollem Gange, wir dürfen die Digitalisierung und alles, was damit zusammenhängt, nicht verpassen!» Für Computerworld ist die Einschätzung von 3-5 Jahren eher realistisch, wenn nicht sogar etwas hochgegriffen. Wenn man bedenkt, wie lange und mit welchen Ergebnissen man hierzulande beispielsweise schon am eGovernment/eHealth herumbastelt oder wie wenig fortgeschritten wir hinsichtlich Themen wie Smart City sind (vgl. Artikel unter Webcode 70697). «Ich sehe viele, die das Disruptive in den Vordergrund rücken», sagt Ralf Günthner, Head of Industrial Internet of Things & Industrie 4.0, Enterprise Customers, bei Swisscom. In 3-5 Jahren hiesse nicht, dass alles schon voll am Laufen sei, doch dass zumindest ein Grossteil der Schweizer Unternehmen IoT-Anfänge gestartet habe. Das sei in den kommenden 1-2 Jahren durchaus vorstellbar. Digitalisiert werde im Grunde schon seit den 1960-er Jahren, «die Digitalisierung hat eigentlich mit der Erfindung des Mikrochips begonnen», so Günthner. «IoT ist im Grunde nichts anderes als Daten zu sammeln, diese zu analysieren und dann wieder in den Wertschöpfungskreis zurückzuführen», erklärt der Ingenieur. Allerdings klingt das alles simpler, als es in der Realität ist. Auch wenn Swisscom mit «Smart Enterprise» und seiner IoT Suite mittlerweile Standard-Gesamtlösungen aus einer Hand anbietet. Die Digitalisierungswellen kommen in immer kürzeren Abständen und vielen Unternehmen fehlt derzeit noch das Verständnis, dass die neue Welle der Digitalisierung mehr ist, als ein Stück Software zu implementieren.
Vertikale Sicht!
«Die vertikale Sicht ist wichtig», lenkt Ziegler ein. Der Stand von IoT ist sehr branchenabhängig. Einige sind weit voraus, andere noch nicht einmal am Anfang. Gesamthaft wollen 53,1 Prozent aller Befragten die weitere Entwicklung noch abwarten, da der Einfluss aufs eigene Business noch nicht absehbar sei. «Die erste Hürde besteht darin, oft gar nicht zu wissen, wie und womit man überhaupt anfangen soll», fügt Johannes Müller vom Studienpartner ICTpower an. Danach folgen die Budget- und Personalfrage. Dieser Prozess könne schon einmal ein bis zwei Jahre dauern.
Auch Sicherheitsaspekte spielen eine grosse Rolle und stellen die grösste Hürde bei der Einführung von IoT-Projekten dar. Aber auch fehlendes Know-how, Expertisen sowie die fehlende Transparenz am Markt. Nicht einmal ein Drittel der Umfrageteilnehmer konnte spontan einen Digitalisierungsdienstleister benennen.
In Sachen Digitalisierung besteht also grosser Beratungsbedarf in der ganzen Bandbreite, sowohl in den Bereichen Connectivity, Sensorik, Prozessmanagement, als auch Business-Analytik & Big Data, Sicherheit und Plattform, respektive Betrieb. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Offen ist der neue Standard
Neue Netzwerke braucht das Land
Neben dem IoT ist Cloud Computing der Wachstumstreiber im ICT-Markt. Die Ausgaben für Cloud Services steigen 2016 um 30 Prozent auf 1,7 Milliarden Franken. Das Rechenzentrum bildet hier den Dreh- und Angelpunkt. Laut erwähnter Studie fliesst jeder vierte Franken heute in die Finanzierung der Rechenzentrumsinfrastruktur. Bei der Bereitstellung relevanter Informationen in Echtzeit spielt das Netzwerk eine tragende Rolle. «Herkömmliche Netzwerkinfrastrukturen können den steigenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden», erklärt Ruedi Wegmann, Strategic Account Manager, Brocade Communications Switzerlans Sarl, am Pressebriefing. Der Weg muss weg von geschlossenen, proprietären, hardwarelastigen, manuell betriebenen, teuren hin zu offenen, softwaregetriebenen, automatisierten, günstigen Commodity-Netzwerklösungen gehen. Stichwort offene Ökosysteme. «Offen ist der neue Standard», sagt Wegmann und: «Wir müssen in Funktionen, nicht in Produkten denken.»
Fazit
Das, was die Digitalisierung und das Internet der Dinge in den kommenden Jahren auf breiter Basis auslösen werden, sind tektonische Verschiebungen im Markt, denen kaum ein Unternehmen entkommen kann, zieht Philipp A. Ziegler sein Fazit. «Es käme einer strategischen Naivität gleich, die Zeichen sowie künftige Potentiale und Marktchancen nicht zu prüfen und somit Gefahr zu laufen, den Anschluss zu verpassen.» Jetzt sind Sie dran.