Gastbeitrag 24.06.2022, 08:00 Uhr

Noch kein «normales» Arbeitsmodell

In Zuge der Covid-19-Pandemie war es möglich, dass ein grosser Teil der arbeitenden ­Bevölkerung zu Hause arbeiten konnte. Eine neue Arbeitswelt wurde heraufbeschworen mit flexiblen Arbeitszeiten und Home Office. Kehrt nach der Pandemie Ernüchterung ein?
Es besteht weder ein Recht auf Home Office noch auf fle­xible Arbeitszeit
(Quelle: Shutterstock/Creative Lab)
Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfte­erhebung (SAKE) des Bundesamts für Statistik (BFS) arbeiteten 2013 noch weniger als 20 Prozent der Erwerbstätigen gelegentlich im Home Office. 2020 stieg ­dieser Anteil wegen den Covid-19-Mass­nahmen markant auf fast 35 Prozent der Erwerbstätigen. Rund 13 Prozent ­arbeiteten 2020 regelmässig zu Hause, über 17 Prozent gelegentlich. Bereits im Jahr 2019 hatte gemäss der SAKE fast jede zweite arbeitnehmende ­Person flexible Arbeitszeiten. Dieser Trend hat sich im Verlauf der Pandemie noch verstärkt.

Wer bestimmt darüber, wie und wo Arbeitnehmende arbeiten?

Die Arbeitgeberin kann gemäss Gesetz über die Ausführung der Arbeit und das Verhalten der Arbeitnehmenden im Betrieb Weisungen erlassen. Sie kann also entscheiden, ob und in welchem Umfang Home Office und fle­xible Arbeitszeit zulässig sind. Es besteht weder ein Recht auf Home Office noch auf flexible Arbeitszeit.
Gerade der Ort der Arbeitsverrichtung hat durchaus wichtige rechtliche Konsequenzen. Der Arbeits- oder Einsatzort ist zum Beispiel relevant für den Ersatz von Spesen, kann aber auch steuerrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Relevanz bekommen, insbesondere dann, wenn sich das Home Office in einem anderen Land befindet. Wegen dieser rechtlicher Stolpersteine werden wohl die meisten Arbeitgeberinnen darauf achten, dass die ­Arbeit wieder mehrheitlich vor Ort im Betrieb geleistet wird.

Was sind die rechtlichen Herausforderungen der flexiblen Arbeitszeit?

Die zwingenden Leitplanken zur Arbeitszeit werden im ­Arbeitsgesetz festgelegt. Diese Regelungen gelten auch im Rahmen flexibler Arbeitszeit. Das Arbeitsgesetz sieht ­unter anderem wöchentliche Höchstarbeitszeiten vor (z. B. 45 Stunden für Büropersonal). Nacht- und Sonntagsarbeit sind ohne spezielle Bewilligung nicht erlaubt. Vorgeschrieben sind ausserdem regelmässige Pausen und Ruhezeiten.
Ein heikles Thema sind auch Überstunden, also Arbeitsstunden, welche die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (auch bei Teilzeit) übersteigen. Um feststellen zu ­können, ob Arbeitnehmende mehr gearbeitet haben als die vereinbarte Arbeitszeit, ist eine korrekte und lückenlose Arbeitszeiterfassung erforderlich. Gleichzeitig müssen Arbeitnehmende im Home Office mehr Verantwortung übernehmen, ihre Work-Life-Balance zu steuern und Überstunden eigenverantwortlich auszugleichen.

Was sind die Kostenfolgen von Home Office und flexibler Arbeitszeit?

Home Office, aber auch flexible Arbeitszeit bedingen ­regelmässig, dass Arbeitnehmende ihre Arbeit auch ausserhalb des Betriebs verrichten können. Dazu muss die Arbeitgeberin den Zugriff auf die relevanten Systeme ­ermöglichen. Dieser Remote-Zugriff bringt zusätzliche ­Sicherheitsrisiken mit sich (unter anderem, weil dabei ­Geräte und Netzwerke genutzt werden, die sich nicht im Kontrollbereich der Arbeitgeberin befinden, oder weil ­potenziell betriebsfremde Personen Zugang zu sensitiven Daten haben). Das bedingt, dass die Arbeitgeberin die ­Sicherheitsvorkehrungen erhöht sowie weitere Mass­nahmen ergreift, und das kostet Geld.
“Nach dem durch Covid verursachten Home-Office-Boom gehe ich davon aus, dass wir wieder mehrheitlich im Betrieb arbeiten werden (hybrides Modell)„
Matthias Ebneter
Neben diesen eigenen Kosten entstehen auch den ­Arbeitnehmenden regelmässig zusätzliche Kosten, insbesondere für Infrastruktur und Büromöbel im Home Office. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, den Arbeitnehmenden die durch die Ausführung der Arbeit notwendigerweise entstehenden Kosten (z. B. Strom, Internetkosten, Kosten für private Arbeitsgeräte) zu ersetzen. Diese Kosten kann die Arbeitgeberin einsparen oder reduzieren, wenn sie die Arbeitnehmenden anweist, vor Ort im Betrieb und eben nicht im Home Office zu arbeiten.

Welche Chancen hat das Home Office in Zukunft?

Nach dem durch Covid verursachten Home-Office-Boom gehe ich davon aus, dass wir wieder mehrheitlich im ­Betrieb arbeiten werden (hybrides Modell). Nicht nur weil wichtige rechtliche Fragen, die im Rahmen der Covid-­Verordnungen notfallmässig gelöst wurden, nun wieder offen sind, sondern weil generell die aktuellen Gesetze Home Office (noch) nicht als «normales» Arbeitsmodell anerkennen.
Das Parlament hat es bisher verpasst, die Arbeit im Home Office zu regeln
Quelle: Mor65_Mauro Piccardi
Es gab schon vor der Pandemie Vorstösse im Nationalrat, die speziellen Aspekte von Arbeit im Home Office ­gesetzlich zu regeln und vor allem mehr Flexibilität zu ­erlauben. Konkrete Ergebnisse gibt es aber auch nach der Pandemie noch nicht. Solange das Gesetz der Realität nachhinkt, werden sich die meisten Arbeitgeberinnen ­wieder in den sicheren Gewässern bewegen und darauf achten, dass der Grossteil der Arbeit wieder im Betrieb ­erbracht wird.
Der Autor
Matthias Ebneter
swissICT
Matthias Ebneter ist Rechtsanwalt mit Spe­zialisierung IT-Recht. Er hat langjährige Erfahrung in den Bereichen geistiges Eigentum, Datenschutz und Vertragsrecht. Heute ist er als Legal Department Manager im Bereich Content & Digitalization bei SAP tätig und leitet ein ­LegalTech-Team. Er ist ­Mitglied der Rechtskommission von swissICT. Die Rechtskommission von swissICT berichtet in der Kolumne «Recht & IT» über aktuelle juristische Themen im digitalen Bereich. www.swissict.ch



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