Interview Eric Grancher
30.03.2020, 07:30 Uhr
«Cern ist auch ein ‹Stresstest› für IT-Systeme»
Das Forschungszentrum Cern führt Experimente der Superlative durch. Bei den Versuchen werden auch die Grenzen der IT-Systeme ausgelotet, sagt Datenbank-Chef Eric Grancher.
Das Motto «You make it, we break it» möchte Eric Grancher nicht ganz ernstgenommen wissen. Aber es treffe manchmal durchaus zu, sagt der Datenbank-Chef des Forschungszentrums Cern im Interview mit Computerworld. Mehrere IT-Firmen stellen den Wissenschaftlern in Genf die neusten Produkte zur Verfügung, damit die Hard- und Software unter den Extrembedingungen getestet werden kann. Die Hardware stammt zum Beispiel von Intel oder Siemens. Die Datenbanken unter anderem von Oracle – Granchers Spezialgebiet. So kennt er dann auch die Grenzen der neusten Cloud-Lösungen.
Computerworld: Können Sie bitte einen Überblick über Ihre Tätigkeit und den Einsatz von Datenbank-Technologie beim Cern geben?
Eric Grancher: Ich bin 1996 zum Cern gekommen, um dort mit Oracle-Datenbanken zu arbeiten. Das Cern war schon ein grosser Kunde von Oracle. Sie sind mit Version 2.3 gestartet, was in den frühen 1980er Jahren gewesen sein muss. Damals befand sich gerade der Elektronen-Positronen-Beschleuniger im Bau – der Vorläufer des heutigen Teilchenbeschleunigers. Die Kollegen suchten ein System für die Kontrolle der Maschinen und analysierten die auf dem Markt befindlichen Technologien. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Oracle-Datenbank die richtige Lösung war. Das war also der Anfang. Seitdem verwenden wir Oracle-Technologie, viele der Datenbanklösungen, aber nicht nur.
CW: Welche Aufgabe übernimmt die Datenbank?
Grancher: Die Datenbank ist heute wie damals ein Element des Kontrollsystems des Teilchenbeschleunigers. Mittlerweile setzen wir zusätzlich eine Datenbank für die Experimente ein. Die beiden Systeme arbeiten aber unabhängig voneinander: Eine Datenbank sammelt Messwerte zum Beispiel aus dem Tunnel, in dem die Teilchen beschleunigt werden. Die Experimente sind dann diejenigen Orte, an denen die Teilchen miteinander kollidieren. Dort werden natürlich ebenfalls Messungen vorgenommen, die eine separate Datenbank speichert.
Insbesondere die Messungen während der Experimente stellen eine grosse Herausforderung dar: Einerseits ist die Anlage sehr komplex und erfordert Dutzende von Ingenieure, die anhand der Aufzeichnungen des Kontrollsystems die Telemetrie kontinuierlich überwachen. In dem System laufen ausserdem die Messwerte der Gas-, Luft- und Alarmanlagen zusammen. Weiter zeichnen die Kontrollsysteme alle Zustände der riesigen Magneten auf, die an den Orten circa 100 Meter unter der Erdoberfläche installiert sind. Die Magneten werden ihrerseits mit Kühltechnik und weiterer elektronischer Ausrüstung versorgt, die selbstverständlich ebenfalls kontrolliert werden müssen.
CW: Das tönt nach einer grossen Menge unterschiedlicher Daten und Quellen...
Grancher: Korrekt. Aber ich setze noch einen drauf: Messungen finden 150'000 Mal pro Sekunde statt. An jedem Tag des Jahres. Denn wir müssen jederzeit informiert sein, in welchem Zustand die Anlage sich befindet und wo wir allenfalls Verbesserungen vornehmen müssen.
Für die Datenbanken bedeutet das: Sie dienen einerseits für traditionelle Anforderungen wie dem Management der IT-Infrastruktur mit Computing-Ressourcen und Speicher. Andererseits erfüllen sie einen «Business-Zweck», wenn man es so nennen will. Denn sie übernehmen genau so die Administration der Ingenieursarbeiten, steuern Change Requests und müssen bei neuen Experimente-Designs nachgeführt werden.
Zur Person
Eric Grancher
leitet seit mehr als sieben Jahren die Database Services Group im Kernforschungszentrum Cern. Seit fast 24 Jahren arbeitet er in Genf auf diesem Gebiet. Der gebürtige Franzose studierte in den 1990er Jahren Computerwissenschaften an den Universitäten von Lyon sowie Paris und hält einen Master of Science.