Firmenfachbeitrag
21.12.2020, 08:01 Uhr
Die Vision im Corona-Stresstest
Philipp Kronenberg, CEO von bbv, diskutiert mit Nicolas Purpura, CEO des Startups Event Token, wie die Unternehmensvision die Innovation und Firmenkultur beeinflusst. Und welche Rolle Technologie dabei spielen darf.
Corona stellt die Vision auf den Prüfstand: bbv-CEO Philipp Kronenberg (r.) spricht mit Event-Token-Gründer Nicolas Purpura (l.) über Chancen und Stolpersteine.
(Quelle: Raphael Zubler)
Eine App als mobiles Portemonnaie und Organisationstalent für Partys, Festivals und Konzerte, das ist das Versprechen des Start-ups Event Token. Doch dann kam Corona. Im Gespräch diskutieren Philipp Kronenberg und Nicolas Purpura, ob es die Covid-19 resistente Vision gibt.
Philipp Kronenberg: Was gab es bei Event Token zuerst? Die Vision oder die Geschäftsidee?
Nicolas Purpura: Wir brauchten zuerst eine zündende Idee, ein Produkt sogar. Danach konnte die Vision entstehen, die aber völlig unabhängig vom Produkt sein kann. Es ist fast etwas paradox: Für die Entstehung der Vision brauchte es eine Geschäftsidee. Damit die Vision aber langfristig existieren kann, braucht die Geschäftsidee nicht mehr Bestandteil davon zu sein.
Kronenberg: Was heisst das konkret?
Purpura: Unsere Vision ist: «Digitizing the Event Industry». Besucher von Veranstaltungen sollen den Event einfach geniessen können, ohne sich um Tickets, Termine oder Bezahlung von Konsumationen kümmern zu müssen. Diese Vision ist losgelöst vom Produkt. Natürlich wird gleichwohl impliziert, dass unser Produkt Bestandteil oder Enabler dieser Vision ist.
Kronenberg: Die Vision definiert den Zweck der Firma, letztlich unabhängig von Produkten. Im Kontext zur Vision entstehen aber wieder neue Ideen?
Purpura: Genau, diese Wechselwirkung ist die treibende Kraft. Die Umsetzung ist die grosse Herausforderung, insbesondere für ein Startup, das per Definition in einem unsicheren Umfeld operiert.
Kronenberg: Umso mehr, als Event Token in einem Bereich tätig ist, der sehr stark von Corona betroffen ist. Hat sich eure Vision unter dem Druck der Krise verändert?
Purpura: Nein, sehr wohl aber die strategische Positionierung des Unternehmens. Wir versuchen, dieser Krise auch positive Aspekte abzugewinnen, was zugegebenermassen einfacher gesagt ist, als getan. So bietet unsere App beispielsweise von Haus aus bereits die Möglichkeit des Contact Tracings durch Logdaten. Wir müssen nur noch die Daten aufbereiten und die Funktion richtig vermarkten.
Kronenberg: Euer Zielmarkt geriet in den letzten Monaten stark unter Druck. Wie habt ihr darauf reagiert?
Purpura: Eigentlich zu langsam! Spätestens, als Corona in Italien richtig losging, hätte man bereits antizipieren müssen und Funktionen wie KYC integrieren. Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer, aber es macht mich immer noch «hässig» auf mich selbst, dass wir das verpasst haben. Der Impact auf unsere Firma war alles andere als rosig: Wir hatten mit einem sehr guten Jahr gerechnet, jetzt ist es finanziell gesehen ein verlorenes Jahr.
Kronenberg: Nur finanziell, oder auch bezüglich der Firmenentwicklung?
Purpura: Das ist interessant: Die Krise hat uns dazu gebracht, unsere Vision grosszügiger auszulegen. Wir haben neue Möglichkeiten ins Auge gefasst, die wir früher gar nicht auf dem Radar hatten.
Kronenberg: Die Krise gab euch Impulse?
Purpura: Ja, auch wenn es erstmal etwas eigenartig tönt, da die Krise wirklich dramatisch ist für viele Unternehmen.
Kronenberg: Dieser Ansatz scheint mir branchenübergreifend wichtig: Ich sehe viele Unternehmen, die ihre Chancen in der Pandemie sehen, die kreativ sind und nach neuen Möglichkeiten suchen. Im Gegensatz dazu gibt es Unternehmen, die resigniert haben.
Purpura: Was braucht es deiner Meinung nach, damit eine zündende Idee entsteht?
Kronenberg: Die ganze Innovationsindustrie setzt sehr stark auf Methoden und Tools. Das braucht es, ohne Zweifel. Aber zentral sind doch die Menschen, die wach sind. So, wie du das erzählst: Ihr beobachtet die Welt, seht eine Entwicklung und versucht zu antizipieren, was es braucht. Dieser Ansatz funktioniert auch in der gegenwärtigen Krise: Die einen blasen Trübsal und sehen keine Zukunft, die anderen entwickeln Ideen, wie sie zumindest einen Teil des Geschäfts weiterführen und ihren Brand im Spiel halten können. Meine Frage an dich ist: Wie tickt ihr bei Event Token, damit es zu diesem Funken kommt, der neue Ideen und Möglichkeiten sieht?
Purpura: Wir sind relativ klein. Damit sind wir sehr agil. Wenn ich eine Idee habe – vielleicht eine dumme, wer weiss? – kann ich die in die Runde werfen und sie wird sofort hinterfragt und diskutiert. Diese Konfrontation ist sehr wichtig. Da bin ich auch sehr dankbar, dass bbv mit seinem Projektleiter genau auf dieser Linie ist und sehr gern engagiert mitdiskutiert.
Kronenberg: Braucht es auch eine Quäntchen Glück?
Purpura: Klar, wir nahmen schon vor der Krise mit «Digitizing the Event Industry» die Entwicklung vorweg. Wo in der Prä-Corona-Zeit teilweise noch zögernd auf Digitalisierungstools reagiert wurde, liegt es mittlerweile im Trend. Das war unser Glück. Wir hatten schon Fahrt aufgenommen und konnten noch beschleunigen. Daneben braucht es aber eine gewisse Risikobereitschaft. Wir können recht unbeschwert Dinge im kleinen Setup ausprobieren und durchdenken. Das ist in anderen Firmen oder Branchen sicher etwas schwieriger.
Kronenberg: Da kommt mir Reinhard Sprengers Formel für den Erfolg in den Sinn: Leistung und Glück. Was mir hier aber noch fehlt, ist Talent. Das Talent, Möglichkeiten zu sehen, wach zu sein und im richtigen Moment mit der richtigen Idee zu kommen. Das sehe ich bei euch sehr ausgeprägt. Du betonst, dass eure Firmengrösse ein Vorteil ist. Sind grosse Firmen grundsätzlich im Nachteil?
Purpura: Nein, natürlich nicht, das zeigen ja Grössen wie Google oder Apple. Grundsätzlich gilt: Die Idee auf Knopfdruck gibt es nicht. Man muss die Rahmenbedingungen optimal gestalten, um Innovation zu stimulieren. Gewisse grosse Unternehmen gründen dazu innerhalb des Konzerns eigens Startups. Da hat es aber immer noch jemanden weiter oben in der Hierarchie, der die Entscheidung trifft und die Risikobereitschaft teilen muss.
Kronenberg: Wie sorgt ihr dafür, dass Agilität nicht zu Kopflosigkeit wird und ihr von Idee zu Idee hüpft, ohne etwas wirklich fertig zu entwickeln?
Purpura: Guter Punkt. Ein einfacher Ansatz, den ich auch lernen musste: Erstmal zwei, drei Nächte über die Idee schlafen, bevor man etwas anstösst. Wir haben im Advisory Board sehr erfahrene Profis, die unsere Ideen intensiv hinterfragen. Erst dann kommt der Validierungsprozess, der ja doch auch bereits ressourcenintensiv sein kann.
Kronenberg: Ich erlebe oft, dass in einem Startup die Vision immer präsent ist und das gesamte Denken des Teams trägt. In grossen, gewachsenen Firmen ist die Auseinandersetzung mit der Vision oft nur marginal. In vielen Firmen haben die Leute keine Ahnung von der Vision. Das erschreckt mich manchmal. Das ganze Wirken sollte doch von der Vision beeinflusst werden. Ich persönlich finde das auch sehr bereichernd, wenn ich mich auf unsere Firmenvision besinnen kann.
Purpura: Vielleicht verändert sich die Vision in grossen Firmen zu lange nicht?
Kronenberg: Das wäre ein Fehler. Eine Vision muss sich verändern, so, wie sich die Welt und der Markt verändert. Oder die Vision ist so weit gefasst, Stichwort «Veranstaltungen», dass in ihrem Rahmen immer neue Ideen und Geschäftsmodelle möglich sind. Neue Geschäftsmodelle und Ideen bergen aber immer das Risiko des Scheiterns. Wie geht ihr damit um?
Purpura: Wir müssen wissen, was wir wollen. Wir müssen aber auch wissen, was wir nicht wollen. Das erfahren wir durch Scheitern, beispielsweise bei einem Usability-Test, der komplett durchfällt bei den Probanden. Auch das ist natürlich Teil des Spiels – Scheitern kommt vor, wichtig ist nur, dass man daraus lernt und sich dadurch nicht abschrecken lässt.
Zum Gespräch
Philipp Kronenberg leitet seit sechs Jahren die Geschicke der bbv Software Services, die in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum feiert.
Nicolas Purpura ist Gründer und Geschäftsführer von Event Token. 2018 kam er auf die Idee zur Festival-App, die seit 2019 Realität ist.
Zum Unternehmen: Seit 25 Jahren hat bbv eine Ambition: «Making Visions Work». bbv gehört zu den Software- und Beratungsgrössen in Industrie, Energie, Finanzen, Gesundheit, ICT und öffentliche Hand und unterstützt seine Kunden bei der Entwicklung von Softwarelösungen und in der Digitalisierung. Mit 300 Angestellten ist das Unternehmen in Zürich, Luzern, Bern und Zug sowie an Standorten in Deutschland, Griechenland und Vietnam tätig. Neben dem gemeinsamen Blockchain-Projekt mit Event Token realisiert bbv laufend erfolgreiche Projekte, so mit bekannten Schweizer Unternehmen wie Komax, Landis+Gyr, Scout24, Thermoplan oder SISAG. Mit Blick in die Zukunft setzt bbv auf Digitalisierung und Innovation, IoT, Software-Modernisierung und Data Science.
Dieser Beitrag wurde von der bbv Software Services AG zur Verfügung gestellt und stellt die Sicht des Unternehmens dar. Computerworld übernimmt für dessen Inhalt keine Verantwortung.