Gastbeitrag
14.05.2021, 07:45 Uhr
Quanten-Computing: eine gute Investition
Künstliche Intelligenz, Blockchain und Robotik werden weiter an Bedeutung gewinnen. Für den nächsten Wachstumszyklus benötigen wir allerdings viel mehr Rechenkapazität. Computer mit herkömmlicher Transistortechnologie kommen an ihre Grenzen. Es sind neue Ideen gefragt.
Trotz ihrer gewaltigen Möglichkeiten wer-den Quantenrechner traditionelle Computersysteme nicht ersetzen, sondern ihre Kapazitätsgrenzen erweitern
(Quelle: Shutterstock/Boykov)
Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff unterteilte vor 100 Jahren die Wirtschaft in 40- bis 60-jährige Konjunkturzyklen. Joseph Schumpeter erweiterte diese Theorie und stellte eine Basistechnologie an den Anfang der Zyklen, die Innovationsschübe auslöst, Strukturwandel ermöglicht und letztlich zu einem Wirtschaftsboom führt.
Der erste Kondratieff-Zyklus begann mit der Dampfmaschine, die aktuell fünfte Welle begann in den 1970er-Jahren mit der Transistortechnologie. Seitdem gilt das Gesetz von Gordon Moore, demnach sich die Anzahl der Transistoren auf einer bestimmten Fläche alle zwei Jahre verdoppelt und heute bei einer Transistordichte von über 170 Millionen Transistoren pro Quadratmillimeter angekommen ist. Trotz dieser exponentiellen Entwicklung wird das Moorsche Gesetz innerhalb der nächsten fünf Jahre an Gültigkeit verlieren, da die Grenzen des physikalisch Möglichen erreicht sind. Entsprechend forschen immer mehr Einrichtungen und Unternehmen an neuen Lösungsansätzen zur Ablösung der Siliziumtechnologie.
Supercomputing made in Switzerland
Bei der Rangliste der schnellsten Computer kann die Schweiz mithalten. Der «Piz Daint» des Swiss National Supercomputing Centers belegte beispielsweise 2017 den dritten Platz hinter Supercomputern aus China und den USA. Doch auch Supercomputer unterliegen dem Moorschen Gesetz. Es bedarf daher einer fundamentalen Neuerung.
Die ETHZ und Universität Zürich führen dafür die mit Albert Einstein begonnene lange Geschichte in der Quantenmechanik fort und forschen an Quantencomputern. Wissenschaftler der ETHZ haben letztes Jahr die erste Quantenprogrammiersprache Silq entwickelt, mit der einfach, zuverlässig und fehlerfrei programmiert werden kann, und verbessern Quantum-Hardware für höhere Stabilität und neue Architekturen. Die fundamentale Neuerung bei Quantencomputern ist, dass sie nicht mehr auf Transistortechnologie basieren und damit an die binäre Rechenlogik mit zwei Zuständen 0 und 1 gebunden sind, sondern deren sogenannte «Qubits» unendlich viele Zustände zwischen 0 und 1 einnehmen können. Die Liste, der sich daraus ergebenden Einsatzmöglichkeiten ist bereits heute beachtlich und teilt sich in die modellbasierte Simulation, Optimierung, sichere Kommunikation und die Mustererkennung mittels künstlicher Intelligenz ein.
In der Forschung geht es etwa um energieeffizientere Batterien für Elektroautos oder die Simulation von Molekülen und ihrem chemischen Verhalten, was eine schnellere und präzisere Medikamentenentwicklung ermöglicht. In der Luftfahrt reichen die Einsatzmöglichkeiten vom Flugzeugdesign – aktuell dauert eine ausreichend genaue Luftstromsimulation an Tragflächen mehrere Jahre – bis zur Optimierung von Flugrouten, -geschwindigkeit und -treibstoffmengen, um die Nachhaltigkeit der Luftfahrt zu steigern. In der Autoindustrie sehen wir erste konkrete Ergebnisse bei der Optimierung von Verkehrsflüssen und zur Verhinderung von Staus. Daneben sind Verschlüsselung und Kommunikation vielversprechende Anwendungsgebiete, da die in einem Quantenzustand kodierten Daten nicht gelesen werden können, ohne den Quantenzustand zu verändern.
Impulse für den Schweizer Finanzplatz
Im Bankgeschäft sehen wir Potenzial in der Betrugserkennung, der Preisbildung von komplexen strukturierten Produkten, dem Hochfrequenzhandel und dem Risikomanagement. Für diese Bereiche müssen grosse Datenmengen miteinander verknüpft und verarbeitet werden, denn je mehr Daten in die KI-Algorithmen fliessen, desto exakter werden Analysen, Betrugserkennung und Risikosimulationen.
Herkömmliche Risikomodelle versuchen mit Monte-Carlo-Simulationen, die Auswirkungen von makroökonomischen Ereignissen, Transparenzanforderungen und anderen regulatorischen Rahmenbedingungen zu prognostizieren. Immer komplexere Modelle mit vielen Simulationsparametern führen dazu, dass die Anzahl der zu analysierenden Szenarien exponentiell wächst. Die Berechnungszeit kann dann schnell einige Tage dauern, was den wirtschaftlichen Nutzen infrage stellt. Die Deutsche Börse hat in einem Pilotprojekt eine vollständige Sensitivitätsanalyse mit 1000 Eingabeparametern, die mit herkömmlichen Computern zehn Jahre in Anspruch nehmen würde, mit Quantenalgorithmen auf weniger als 30 Minuten Rechenzeit reduziert.
“Investieren Sie beim nächsten Konjunkturzyklus nicht in die Technologie, sondern in deren Nutzung„
Daniel Fasnacht
Ungeahnte Wettbewerbsvorteile sowie Marktdifferenzierung könnten auch im Hochgeschwindigkeitshandel entstehen. Bei dieser Form des Börsenhandels nehmen Algorithmen Marktveränderungen vorweg, berechnen Preisvorteile und treffen darauf basierend selbstständig Handelsentscheidungen. Marktdaten in Echtzeit zu verarbeiten und Aufträge über optimierte Datenleitungen an die Börse zu schicken, dauert heute kaum mehr als eine Sekunde. Theoretisch kann der Quantencomputer die Berechnungen innerhalb weniger Nanosekunden abwickeln. Obwohl hier nur winzige Gewinne pro Transaktion anfallen, könnte mit grossen Volumen das Börsengeschehen dominiert werden.
Quantenrechner ergänzen bestehende Systeme
Trotz ihrer gewaltigen Möglichkeiten werden Quantenrechner traditionelle Computersysteme nicht ersetzen, sondern ihre Kapazitätsgrenzen erweitern. Somit ist der Quantencomputer keine disruptive Innovation wie häufig angenommen: Er bedroht weder die ICT-Industrie, noch werden dadurch aktuelle Geschäftsmodelle obsolet. Bestehende Hochleistungssysteme werden weiterhin notwendig sein, um die Daten auf- und vorzubereiten, in ein «Qubit-Format» zu bringen und den Quantencomputer optimal auszulasten. Zudem werden Hochleistungssysteme die letzte Meile der Berechnung übernehmen, das heisst, Quantencomputer reduzieren die Menge an möglichen Ergebnissen auf ein Niveau, das bestehende Hochleistungssysteme verarbeiten können.
Mit hybridem Ansatz die Zukunft sichern
Obwohl IBM frühestens für das Jahr 2023 mit einem stabil funktionierenden Quantencomputer rechnet, sollten sich Anwenderunternehmen bereits heute mit dieser Zukunftstechnologie beschäftigen. Identifizieren Sie konkrete Einsatzgebiete! Wagen Sie sich an Simulatoren mit Qiskit, programmieren Sie mit Silq, nutzen Sie Quantum Learning Machines (QLM) und Cloud-Services, um sich mit der Verwendung, der Programmierung und der Verhaltensweise von Quantencomputern vertraut zu machen!
Noch wichtiger: Bereiten Sie Ihre IT-Landschaft entsprechend vor, da alte Konzepte und Architekturen meist nicht die notwendige Flexibilität und Konnektivität bieten, um die «as a Service» bereitgestellten Möglichkeiten des Quanten-Computings sinnvoll und effizient zu nutzen.
KMU müssen sich aber keinen eigenen Quantencomputer anschaffen, sollten sich allerdings frühzeitig mit Anwendungsgebieten dieser vielversprechenden Technologie auseinandersetzen. Das steigert die eigene Innovationskraft und ist eine Investition in den Innovationsstandort Schweiz.
Fachgruppe Innovation
Die Fachgruppe Innovation von swissICT erklärt exponentielle Technologien sowie Innovationspotenziale und gibt einen Orientierungsrahmen für die strategische Einordnung. Mit geplanten Events Ende 2021 zu Anwendungsgebieten von Quantencomputern und künstlicher Intelligenz leistet sie einen Beitrag zur Unterstützung des Innovationslandes Schweiz.
www.swissict.ch/innovation
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Die Autoren
Daniel Fasnacht ist Teil der swissICT-Fachgruppe Innovation. Er ist CEO von EcosystemPartners, Fellow, Dozent und Studienleiter an der Universität Zürich und Dozent bei der Kalaidos Fachhochschule.
www.ecosystempartners.ch
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Christian Straube ist Teil der swissICT-Fachgruppe Innovation. Er ist Head Consulting Digital & Innovation bei adesso Schweiz.
www.adesso.ch
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