17.12.2010, 08:50 Uhr
Die Schweiz netzwerkt anders
Die Business-Plattform Xing hat seit November einen Landeschef für die Schweiz. Robert Beer will das Portal weder rosa einfärben noch abkapseln, verrät er im Gespräch mit Computerworld.
Social Media und Networking stehen hoch im Kurs. Für die geschäftliche Kommunikation ist Xing die erste Anlaufstelle. Neuerdings hat die Plattform einen Country Manager für die Schweiz. Robert Beer erzählt im Interview mit Computerworld, wie anders Schweizer xingen, was Xinghierzulande plant und welche Neuerungen allen Mitgliedern im nächsten Jahr ins Haus stehen. Computerworld: Wie unterscheidet sich Xing in der Schweiz von anderswo? Robert Beer: Xing unterstützt die Schweizer Mentalität gut, denn meine Landsleute sind etwas weniger direkt beim Anbahnen von Kontakten. Das direkte Hard Selling liegt dem Schweizer ein bisschen weniger und kommt noch schlechter an. Auch hat der Landsmann mehr Probleme, nein zu sagen, als die Kollegen aus den Nachbarländern. Er bittet vielmehr um das Zusenden von Informationsmaterial und hofft dann, dass keine Unterlagen kommen. Das ist natürlich sehr ineffizient. Über das Netzwerk kann man locker miteinander umgehen, was dem Schweizer eher entspricht. Gibt es neben Mentalitätsunterschieden andere Differenzen? Ja. Der Frauenanteil bei Xing ist hierzulande tiefer als in Deutschland und Österreich. Allerdings kann Xing die Kommunikationskultur nicht ändern oder die Seite für die Frauenwelt rosarot einfärben. Vermutlich würde das die Frauen auch eher abstossen. Jedoch arbeiten wir zum Beispiel mit dem Swiss Women Network (www.swonet.ch) zusammen und gehen auch mit anderen Frauennetzwerken aktiv auf die Damen zu. Zudem organisieren Regionalgruppen auf Xing Anlässe speziell für Frauen. Apropos Events: Xing veranstaltet gar keine grossen Anlässe in der Schweiz. Warum? Im Gegensatz zu Deutschland kommen Massenveranstaltungen hierzulande schlecht an. Der Schweizer mag keine grossen Anlässe, er ist eher ein Vereinsmensch. So haben regelmässige Stammtische in den Regionen, wie sie zum Beispiel die Gruppe «Xing Zrich» veranstaltet, regen Zulauf. Diese Anlässe sind geprägt durch kantonale und regionale Unterschiede: An einem Ort sind eher Abendevents gefragt, in einer anderen Region eher ein Lunch, in der dritten geht ohne Apéro gar nichts. Diese Differenzen sind aber hauptsächlich in den verschiedenen lokalen Mentalitäten begründet. Was Xing künftig in der Schweiz anders machen will, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Welche Pläne hat Xing in der Schweiz? Xing ist aufgeteilt in ein Kerngeschäft und vier vertikale Aktivitäten: Die Premium-Mitglieder sind das Kerngeschäft. Die vertikalen Aktivitäten sind Stellenmarkt, Unternehmensprofile, Veranstaltungen und Werbung. Um in der Schweiz zu wachsen, hat die Zentrale in Hamburg erkannt, dass man gewisse Hebel und Multiplikatoren bedienen muss. Das ist meine Haupttätigkeit. Das Wachstum in den vertikalen Märkten wird hauptsächlich mit Partnerschaften realisiert: Jobs.ch ist ein Partner für den Stellenmarkt, mit Adconion respektive Goldbach partnern wir bei Werbung. Eine weitere Aufgabe ist die Aufklärung: In Schweizer Unternehmen wird Xing beispielsweise noch vergleichsweise wenig genutzt für die Rekrutierung. Dabei ist der Profilabgleich bei Xing sogar einfacher als das Googeln. Bei einer Internetsuche muss sich der Personaler 30 Artikel ansehen, um die fraglichen beruflichen Informationen vielleicht zu finden. Bei Xing braucht er nur eine Seite abrufen und kann sich des Ergebnisses sicher sein. Ein internationaler Wachstumsmarkt ist das Bereitstellen der technischen Plattform für Communitys von Alumni-Organisationen, Verbänden und Grossfirmen. Sie sind heute häufig noch nicht gut aufgestellt oder wollen keinen eigenen Server betreiben. Mit den Organisationen gewinnen wir Abgänger von ETHs, Universitäten und Schulen als Mitglieder. Die Organisationen nutzen die Xing-Funktionen für ihre Zwecke, etwa im Bereich von Veranstaltungen. Können Mitglieder die Beiträge künftig in Franken bezahlen? Das ist durchaus denkbar. Zurzeit wäre es wegen des Wechselkurses natürlich lukrativ für die Schweizer Benutzer. Xing arbeitet für diese Funktion mit einem Dienstleister zusammen, der für das Implementieren jeder neuen Währung hohen Aufwand hat. Wenn wir wählen müssen zwischen einer neuen nützlichen Funktion auf Xing und einer weiteren Währung, wird die Funktion höhere Priorität haben. Im hiesigen internationalen Umfeld ist LinkedIn stark. Wie stellt sich Xing dagegen auf? Der Wettbewerber hat einen angelsächsischen Fokus, Xing eher einen lokalen und nationalen. Business wird nun mal nach wie vor überwiegend lokal und regional generiert. Persönlich besitze ich zwar ein LinkedIn-Profil, nutze es aber kaum. Hier sehe ich die grosse Stärke von Xing, die sich auch mit Zahlen untermauern lässt: Bei der Nutzungshäufigkeit und der Verweildauer rangiert Xing vor LinkedIn. Das ist die Währung, die für uns zählt, nicht allein die Anzahl der Profile. Lesen Sie auf der nächsten Seite, was nur die Schweiz über Xing weiss.
Xing hat viel ungenutztes Potential. Statt in Tabellenform könnten Kontaktnetzwerke zum Beispiel in Grafiken visualisiert werden. Oder die Plattform könnte mit Teamarbeitsfunktionen und Office-Integration aufgewertet werden. Einige der Funktionen gibt es: So können Kontakte zum Beispiel in einer Karte angezeigt werden. Auch der Dokumentenaustausch in Projektteams ist über die Zcope-Applikation auf Xing möglich. Daneben gibt es natürlich noch viel Potential. Wir haben mittlerweile auch viele Entwickler ? heute sind es fast 100, vor zwei Jahren waren es gut 30. Das dokumentiert, dass Xing das Thema Weiterentwicklung ernst nimmt. Es wird einige Funktionen geben, die nicht nur Bugfixes sind, sondern das Business Networking fördern. Die zwei Dinge, die Xing morgen treiben werden, sind mobile Dienste und Aktivitäten. Mitglieder sollen sich noch mehr als bisher via Xing austauschen können, auch unterwegs. Der virtuelle Handschlag ist nur der Anfang. Denkbar wäre auch ein Xing-Server mit der Software, den ein Unternehmen im eigenen Netz betreiben kann. Sind solche Projekte in Planung? Technisch wäre eine solche Lösung sicher machbar, jedoch widerspräche eine Implementierung der Philosophie von Xing. Denn die Mitglieder auf dem separaten Rechner wären nicht Teil der Community. Vermutlich wird es deshalb einen Xing-Server eher nicht geben. Jedoch lassen sich auf Xing ja durchaus geschlossene Benutzergruppen realisieren. Bei jeder Gruppe kann der Gründer festlegen, ob beliebige Mitglieder beitreten dürfen oder eine Gruppenzugehörigkeit eine explizite Einladung erfordert. Die PWC Swiss Alumni Enterprise Group ist ein Beispiel: Mitglieder müssen nicht eine zusätzliche Webseite besuchen, sondern können innerhalb von Xing zusätzlich noch den Kontakt mit ehemaligen Kollegen pflegen. Verhandelt Xing mit dem Inhaber von Xing.ch? Zurzeit planen wir hier nichts. Der aktuelle Betreiber aus dem religiösen Bereich ist selbstverständlich keine Konkurrenz. Er erklärt den Namen seiner Webseitemit der Kreuzung (Englisch «crossing»), an die jeder in seinem Leben einmal gelangt.