Meinung
25.06.2018, 11:20 Uhr
Fortschritt für alle!
Wir sollten nicht die Arbeit der Technologie anpassen, sondern umgekehrt Wege finden, wie die Technologie allen nützt. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Überlegungen, meint Gudela Grote.
Wir stehen vor einigen grundlegenden technologischen Durchbrüchen. Autonomes Fahren, vollautomatische Fertigung und häusliche Pflege durch Roboter sind nicht mehr der Stoff für Science-Fiction-Filme. Die auffälligsten und umstrittensten Innovationen betreffen die Robotik, die künstliche Intelligenz und das maschinelle Lernen: In diesen Bereichen müssen wir mit technischen Systemen interagieren, die wirklich ein Eigenleben führen.
Viele Länder haben die Digitalisierung an die Spitze ihrer Agenda für Bildung, Beschäftigung und soziale sowie wirtschaftliche Entwicklung gesetzt. Viele sind in Sorge deswegen: Werden künftig Arbeitsplätze abgebaut? Verschwinden ganze Berufsgruppen? Was, wenn sich die Anforderungen bei Ausbildungen, Qualifikationen und Jobprofilen komplett verschieben?
Wer beeinflusst wen?
Zu oft wird davon ausgegangen, dass die Technologien ihren eigenen Weg gehen und sich die Arbeitnehmer und die Gesellschaft ihnen anpassen müssen. Wir sind anderer Meinung. Menschen gestalten Technologien. Die Gesellschaft prägt die Institutionen und die Politik, die Einfluss darauf nehmen, wie Technologie eingesetzt wird, wer davon profitiert und wie diejenigen, welche die Kosten des Wandels tragen, durch diejenigen, die davon profitieren, entschädigt werden können.
Alle, die an der aktuellen Debatte über die zukünftige Produktion und Arbeit beteiligt sind, sollten einen Schritt zurück machen. Sie sollten die Prämisse hinterfragen, dass Technologie nicht beeinflusst werden kann. Wir müssen uns fragen, was die technologische Innovation antreibt, und dann darüber diskutieren, wie sie zu mehr wirtschaftlichem Wohlstand und menschenwürdiger Arbeit für alle führen kann.
“Oft wird versucht, Produktivitäts- und Arbeitsproblemen durchs Automatisieren aus dem Weg zu gehen.„
Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie, ETH Zürich
Und es benötigt mehr direkten Kontakt: Ingenieurinnen und Wissenschaftler sollten mit den Konsumentinnen und Anwendern ihrer Produkte in einen Dialog treten. Dies könnte bedeuten, dass Mitarbeitende mit Expertinnen und Experten gemeinsam darüber nachdenken, wie eine Technologie Produktionsprozesse verbessern und ein verträgliches Wachstum fördern kann. Auch in den Unternehmen selber sollte es mehr Dialog geben, im Rahmen der Sozialpartnerschaft sollten beispielsweise die Mitarbeitenden in wichtige Entscheidungsprozesse persönlich einbezogen werden.
Was man von der Autoindustrie lernen könnte…
Wir glauben, dass in der Vergangenheit produzierende Unternehmen zu viel in die Automatisierung investiert haben, ohne sich ausreichend um soziale Belange zu kümmern. Sie haben oft versucht, ihren Produktivitäts- und Arbeitsproblemen durchs Automatisieren aus dem Weg zu gehen.
In den 1980er Jahren gab General Motors beispielsweise über 50 Milliarden Dollar für Robotik aus, um zu effizienteren japanischen Herstellern aufzuschliessen. Dennoch beendete die Firma das Jahrzehnt als der kostenintensivere Produzent, weil sie es versäumt hat, auch in ihre Belegschaft zu investieren und ihre Arbeitspraktiken so zu ändern, dass sich die neuen Technologien auszahlen. In der Zwischenzeit hat Toyota durch die schrittweise Einführung neuer Technologien und die gleichzeitige Investition in teambasierte Arbeitssysteme und ein hohes Mass an Mitarbeiterschulung ein Produktivitätsniveau von Weltklasse erreicht.
…aber leider nicht alle tun
Man könnte annehmen, dass Konzernverantwortliche dieses Beispiel verinnerlicht hätten. Elon Musk von Tesla anscheinend noch nicht. Ironischerweise erreicht Tesla in einem ehemaligen Toyota-Werk in Fremont, Kalifornien, seine Produktionsziele nicht. Zuvor erreichte dort Toyota mit der schrittweisen Einführung von Technologie und in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmenden und ihrer Gewerkschaft eine hohe Produktivität. Warum strauchelt Tesla? Weil die Firma eine vollständige Automatisierungsstrategie verfolgt. Und so überrascht es nicht, dass die Arbeiter in der Fabrik versuchen, eine Gewerkschaft zu gründen, um gegen anhaltende Sicherheitsprobleme, Überlastung und niedrige Löhne zu protestieren. Investoren sind unterdessen besorgt, dass die Bargeldreserven des Unternehmens knapp werden könnten. Das Resultat kennen wir: Elon Musk hat angekündigt, rund 3'500 Stellen zu streichen.
Ebenso wurde Kritik laut an den fünfzehn Forschungsinstituten im Bereich Fertigungstechnologie, welche die US-Regierung derzeit nach dem Vorbild der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft gründet. Obschon in Aussicht gestellt wurde, mit den staatlichen Programmen auch die Berufsbildung und die Weiterbildung zu fördern, zeigen erste Auswertungen dieser Programme, dass vor allem in die Technologieentwicklung investiert wurde. Die Ausbildung musste hintenanstehen. Nur beim Programm zum Thema Leichtbauweise ist es anders: Hier gehen die Unternehmen und Berufsschulen die Technologieentwicklung und Ausbildung zusammen an und kombinieren beides.
Forscher und Hersteller auf der ganzen Welt beginnen, diesen integrativen Ansatz für die Technologie zu übernehmen. Wichtige Forschungsinstitutionen wie das MIT und die ETH Zürich gründen Arbeitsgruppen, die sich mit diesem Thema befassen. Viele schwierige Fragen liegen vor uns. Wenn wir den Dialog über alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen hinweg lancieren können, welche Technologien wie eingesetzt werden sollten, um Nutzen für alle zu schaffen, ist uns ein wichtiger erster Schritt gelungen.
Hinweis: Dieser Text wurde ursprünglich im «Zukunftsblog» der ETH Zürich publiziert. Dabei handelt es sich um eine leicht angepasste Fassung eines Textes, der zuerst auf der Website des World Economic Forum erschienen ist. Die ETH-Professorin Gudela Grote hat ihn zusammen mit Thomas Kochan, Professor für Arbeits- und Beschäftigungsforschung an der MIT Sloan School of Management, verfasst.