Branchenübersicht
29.08.2022, 06:14 Uhr
Frisch zugepackt
Die Schweizer ICT-Branche meldet sich mit guten Wachstumszahlen zurück. Auch die Stimmung ist gut, obwohl sich dunkle Wolken am Horizont zeigen.
Die Schwingfans haben am Schwyzer Kantonalen Schwingfest 2022 die volle Übersicht über das Geschehen auf den diversen Sägemehlringen
(Quelle: Swico/Keystone/Urs Flüeler)
Eine Erholung der wirtschaftlichen Lage und ein gewisser Nachholbedarf nach dem allgemeinen Konjunktureinbruch infolge der Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 haben viele Firmen in der Schweizer Informations- und Kommunikations-Industrie (ICT) zu teils kräftigen Zuwächsen verholfen. Die 2020 angezogene Handbremse konnte grösstenteils 2021 wieder gelöst werden. Dies beweisen auch die Jahresumsätze der von Computerworld im Rahmen der Top-500-Ausmarchung ermittelten Firmen aus der ICT-Branche.
Denn insgesamt konnten diese im vergangenen Jahr wieder um 6,3 Prozent zulegen und erreichten 86,5 Milliarden Franken. Und eines ist sicher: Gegenüber dem Krisenjahr 2020, in dem die Erlöse der Top-500-Unternehmen «nur» um 1,9 Prozent zulegen konnten, hat sich die Branche stark verbessert und ein formidables Comeback hingelegt. Denn die Industrie konnte damit wieder an alte wachstumsverwöhnte Jahre anknüpfen. Lediglich 2012 und 2013 konnte Computerworld kräftigere Zuwächse protokollieren (vgl. Grafik «ICT-Umsätze»).
Damit wächst die Branche – wie aus den Vorjahren gewohnt – kräftiger als das helvetische Bruttoinlandsprodukt, das nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) nach einem Minus von 2,9 Prozent im Jahr 2020 im darauffolgenden Jahr wieder um 3,7 Prozent wachsen konnte.
Digitalisierung ermöglicht Krisenbewältigung
Generell kann die ICT-Branche als «Krisengewinner» betrachtet werden, auch wenn das eine oder andere Unternehmen auch mit Rückschlägen zu kämpfen hatte. Denn nicht nur sind die Umsätze der Top-500-Firmen insgesamt gewachsen. Auch wenn man sich die durchschnittliche Erlös-Performance der einzelnen im Ranking aufgeführten Unternehmen betrachtet, kann ein Plus von 7,3 Prozent konstatiert werden. Auch dieser Zuwachs ist überdurchschnittlich hoch im Vergleich zum Vorjahr. Denn 2020 gelang es den von Computerworld eruierten Schweizer ICT-Firmen lediglich, im Mittel um 2,2 Prozent zuzulegen.
“Der Schweizer ICT-Branche bieten sich nun neue, attraktive Chancen„
Giancarlo Palmisani, Swico
Peter Lenz, Managing Director für T-Systems Alpine, macht ähnliche Beobachtungen und spricht von einer «Turbodigitalisierung in der Unternehmenswelt», die von Corona ausgelöst worden, allerdings inzwischen etwas abgeflacht sei. Dies sieht Frank Thonüs, General Manager von Dell Technologies Schweiz, ähnlich. «Zu Beginn der Pandemie haben sich die Unternehmen darauf konzentriert, ihre IT unter Zeitdruck bestmöglich an die Anforderungen des Remote Working anzupassen», beobachtet er. «Danach galt es, die IT-Infrastruktur zu konsolidieren und zukunftsfähig zu machen», fügt er an.
“Digitale Technologien haben eindrücklich demonstriert, was sie zur Krisenbewältigung leisten können„
Marc Holitscher, Microsoft
Zudem ist das Digitalisierungstempo je nach Branche unterschiedlich stark ausgeprägt. «Bei der öffentlichen Hand ist der Bedarf noch immer sehr hoch. Hier hat die Pandemie dafür gesorgt, dass die Dringlichkeit der Digitalisierung erkannt wurde und man eilends nachholt beziehungsweise vorwärtsmacht», meint Lenz von T-Systems. Auch Swicos Palmisani sieht noch Digitalisierungsdefizite in gewissen Branchen. «Was bei Branchenkennern – und natürlich auch bei uns – schon länger Thema war, wurde im Umfeld von Corona einer breiteren Öffentlichkeit bewusst: Bereiche wie E-Health, E-Government, Bildung und Cybersecurity haben grossen Aufholbedarf», konstatiert er. In Sachen Digitalisierung sieht er dies aber auch als Chance für die ICT-Industrie. «Jetzt, wo die Hemmschwelle niedriger ist und das Erkennen des Nutzens höher, bieten sich der Schweizer ICT-Branche neue, attraktive Chancen», stellt Palmisani folglich fest.
Corona als Helfer für die Branche
Obwohl die von Computerworld befragten Vertreter der Schweizer ICT-Industrie durchaus auch Sättigungs- und Konsolidierungstendenzen nach dem ersten Nachfrageboom in Sachen Infrastruktur zur Unterstützung der Heimarbeit während und nach den ersten Lockdowns sowie den Zeiten mit Home-Office-Pflicht bemerken, ist die Stimmung, was die Auswirkungen der Corona-Krise auf den eigenen Geschäftsgang anbelangt, durchwegs positiv. Ja, die Meinung, dass die Massnahmen eher geholfen als geschadet haben, ist 2022 nochmals prononcierter ausgefallen als im letzten Jahr (vgl. hierzu die entsprechende Grafik auf ?). Heuer geht mit 57 Prozent doch eine satte Mehrheit davon aus, dass die Corona-Krise eher nützlich ist, gegenüber 53,9 Prozent im letzten Jahr. Handkehrum sprechen weniger Firmen davon, dass das Geschäft wegen der Krise rückläufig oder sehr rückläufig ist. Hier sank der Anteil erneut von 12,9 Prozent im Vorjahr auf heuer gut 10 Prozent. Allerdings ist der Anteil jener, die unter den Auswirkungen der Massnahmen «sehr leiden», wieder gestiegen, und zwar von 0,7 Prozent 2021 auf 2,6 Prozent 2022.
Dies im Kontrast zum Frühjahr 2020, als noch recht viel Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen der Corona-Krise auf den eigenen Verlauf der Geschäfte herrschte und sich nur gut ein Viertel der Befragten vorstellen konnte, dass die Krise positive Auswirkungen haben wird. Interessant ist auch, dass die Befragungen zu diesem Thema über einen Zeitraum von doch jetzt zwei Jahren zeigen, dass eine gewisse Polarisierung bei den Antworten festzustellen ist. Denn der Anteil jener Befragten, die von einem neutralen, also gleichbleibenden Geschäftsgang ausgehen, hat jeweils abgenommen, von 36,8 Prozent 2020 auf 29,8 Prozent 2022.
Schliesslich zeigt die Aufschlüsselung der diesjährigen Ergebnisse nach Firmengrösse, dass besonders mittelgrosse Unternehmen mit 100 bis 249 Mitarbeitern die Folgen der Corona-Krise eher negativ zu spüren bekommen. Denn hier gaben 16,7 Prozent an, wegen der Massnahmen zu leiden. Dagegen scheinen Grossfirmen mit mehr als 250 Mitarbeitern am meisten von der Krise zu profitieren. Hier gaben 63,4 Prozent an, dass Corona sich leicht oder sehr positiv auf den Geschäftsgang auswirkt.
Vorsichtiger Blick in die Zukunft
Trotz der für viele Firmen durchwegs positiven Beurteilung der Auswirkungen der Corona-Krise auf den eigenen Geschäftsgang hat sich die Einschätzung bezüglich der zukünftigen Entwicklung der ICT-Konjunktur in den nächsten zwölf Monaten im Vergleich zum Vorjahr ein bisschen eingetrübt. So sank der Anteil jener befragten Firmen, die einen leichten oder kräftigen Aufschwung erwarten, von fast 90 Prozent im Vorjahr auf nun immer noch 83 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil jener, die mit rückläufigen oder stark rückläufigen Geschäften in nächster Zukunft rechnen, von 1,5 Prozent im Vorjahr auf heuer 3,0 Prozent. Trotz dieser Eintrübung ist die Stimmung im Vergleich zu den letzten Jahren vergleichsweise hoch. Neben dem schon fast als euphorisch geltenden Vorjahr war die ICT-Stimmung nur noch 2011 und 2018 besser. Eines scheint nun aber definitiv klar zu sein: Das Stimmungstief, das Computerworld bei den Schweizer ICT-Vertretern Anfang 2020 zu Beginn der Corona-Krise wahrnehmen konnte, ist Geschichte (vgl. Grafik «Konjunkturprognose»).
Interessant sind auch hier die Ergebnisse nach Grösse: So schauen vor allem die kleinen Firmen mit maximal 99 Mitarbeitern hoffnungsvoll in die Zukunft, 85,2 Prozent von ihnen sehen einen leichten oder kräftigen Aufschwung, während die mittleren Firmen am meisten Skepsis haben. Hier erwarten «nur» 76,2 Prozent einen Aufschwung.
Lieferengpässe und Strompreise
Auch das Barometer des Branchenverbands Swico widerspiegelt diese Stimmungslage. Während der «Swico ICT Index» Anfang Jahr noch bei 124,3 Punkten lag, sank der Stimmungsindikator für die ICT-Branche für das
dritte Quartal 2022 auf 114,5. Die Unsicherheit hat somit zugenommen.
dritte Quartal 2022 auf 114,5. Die Unsicherheit hat somit zugenommen.
Derweil gibt sich Swicos Palmisani bei seiner Beurteilung der Lage betont vorsichtig. «Die geopolitische Lage hat sich entscheidend verändert und wird natürlich auch Einfluss auf die Schweizer Wirtschaft und damit auf die ICT-Branche haben: Wie gross der Investitionswillen beziehungsweise die Investitionsmöglichkeiten sein werden und ob die Turbulenzen bei den Lieferketten und der Chipmangel gegebenenfalls die Entwicklung bremsen werden, ist aktuell schwierig abzuschätzen», meint er.
“Es galt, die IT-Infrastruktur zu konsolidieren und zukunftsfähig zu machen„
Frank Thonüs, Dell
Tatsächlich sind eine Akzentuierung der Probleme bei den Lieferketten und auch bei der Stromversorgung als eine der Folgen der Invasion Russlands in der Ukraine den Branchenvertretern durchaus bewusst. Besonders zu schaffen macht dabei der Fakt, dass die Güterzugverbindung zwischen Fernost und Europa durch das Kriegsgeschehen derzeit unterbrochen sind. «Der Stopp der Eisenbahnrouten von Asien nach Europa hat eine klimafreundliche, schnelle und bisher sichere Alternative zu Flugzeug und Schifftransport von einem auf den anderen Tag abgeschnitten», berichtet Adrian Müller, Managing Director von HP Schweiz, und weist darauf hin, dass diese Transportkapazitäten nun ersetzt werden müssten.
Aber auch die Gefährdung der Elektrizitätsversorgung als Folge des Ukraine-Kriegs führt zu der einen oder anderen Sorgenfalte auf der Stirn der Branchenvertreter. «Die Strompreise werden steigen und das hat vermutlich auch Auswirkungen auf unser Business», kommentiert Roger Semprini, Managing Director von Equinix Schweiz, die Situation.
Der zu befürchtende Strommangel hat aber nicht nur negative Auswirkungen auf die Betreiber von Rechenzentren in unserem Land. Sie verstärkt auch den Push zu mehr Nachhaltigkeit. Diese ist gemäss Florian Koeppli, Country Sales Director von Nutanix Schweiz, ein wichtiges Thema, das seine Firma schon adressiert hat. «Wir haben schon früher davon gesprochen, dass eine hyperkonvergente Infrastruktur gegenüber einer konventionellen 3-Tier-Architektur 30 bis 40 Prozent Strom sparen kann», sagt er in Bezug auf Rechenzentren-Technologien. Damals habe das niemanden so richtig interessiert, heute sei es ein Diskussionsthema im Board-Room, fügt Koeppli an. «Wir haben in der Schweiz eine sehr hohe Data-Center-Dichte. In diesem Bereich liegt noch sehr viel Sparpotenzial», lautet somit sein Fazit.
Top 10: Tech-Riesen gewinnen
Bei den zehn umsatzstärksten Schweizer ICT-Firmen kommt es in diesem Jahr nur zu geringen Verschiebungen in der Rangliste. Das vergleichsweise ungestüme Wachstum von Unternehmen wie Google und Microsoft hat dazu geführt, dass die mit UPC fusionierte Sunrise und Coop mit dem helvetischen Heimelektronikgeschäft überrundet wurden.
Bei den Top-Gewinnern nach absoluten Zahlen finden sich die US-Techriesen Apple, Google und Microsoft wieder. Aber auch das Online-Warenhaus Digitec Galaxus konnte erneut vom Bleib-zu-Hause-Effekt profitieren und fast 300 Millionen Franken mehr umsetzen.
Bei den prozentual am kräftigsten gewachsenen Firmen sticht sicherlich der Sprachsoftware-Spezialist Spitch hervor. Das Unternehmen ist nicht nur weltweit schon fast galaktisch gewachsen – die Firma spricht in einer Mitteilung von einem Plus von 700 Prozent im letzten Jahr –, sondern auch hierzulande mit schätzungsweise 120 Prozent. Grund sind hierfür viele Aufträge mit Projekten zur Erkennung von Deutschschweizer Dialekten, so basiert der Hochdeutsch und Mundart verstehende Sprachroboter «VoiceBot» des Strassenverkehrsamts Aargau sowie die Preview-Version der SBB-Mobile-App mit dialektalen Fähigkeiten auf Spitch-Technologie. Aber auch die zunehmende Automatisierung der Kundenbeziehungen mit Banken und Versicherungen durch Sprach-Bots füllt die Kassen des Schweizer Start-ups.
Dieser Artikel ist im Rahmen der «Top 500»-Sonderausgabe von Computerworld erschienen. Das Heft einschliesslich Ranking lässt sich auf dieser Seite bestellen.