11.09.2015, 17:06 Uhr
Zürcher Justizdirektion überprüft das Millionen-System RIS2
Die Zürcher Justizbehörden erhielten letzes Jahr ein System, das einen «Fall Carlos» nicht mehr möglich machen sollte. Schnell gab es Kritik zur Bedienbarkeit und den Finanzen. Nun überprüft die Direktion der Justiz und des Inneren die eigene Software.
Martin Graf war bis vor wenigen Monaten Justizdirektor in Zürich. Bis die Wähler im April beschlossen, ihn keine vier weiteren Jahre im Amt sehen zu wollen. Gestolpert ist Graf hauptsächlich über den «Fall Carlos», wie er nach seiner Abwahl selber sagte. Graf ist also weg. Carlos noch da. Genau wie das Rechtsinformationssystem RIS2, das im Oktober 2014 in der Erwachsenen- und Jugendstrafverfolgung des Kantons Zürich eingeführt wurde, um keinen zweiten «Fall Carlos» mehr zu erlauben. Unter anderem soll das System Fallkosten ausführlich und transparent dokumentieren und die medienbruchfreie Weitergabe von Dokumenten von der Polizei über die Strafverfolgungsbehörden bis hin zu den Gerichten erlauben.
Untersuchung läuft
Schnell gab es allerdings Kritik am System, verschiedene Staatsanwlte beschwerten sich, damit nicht mehr arbeiten zu knnen. Als Probleme wurden neue Prozesse und die Komplexität der Software genannt. Martin Graf liessen diese Wortmeldungen damals kalt, er warf den Mitarbeitern vor, zu wenig Ahnung von IT zu haben. Stattdessen wollte man RIS2 wie geplant nach einem Jahr auch in weiteren Bereichen der Justizdirektion einsetzen. Dieser Plan hat mittlerweile geändert. Heute teilte die Direktion der Justiz und des Inneren (DJI) mit, eine Untersuchung zu RIS2 eingeleitet zu haben. Die von der neuen Justizdirektorin Jacqueline Fehr abgesegnet wurde. Nach einem Jahr im Einsatz wünsche die eigene Informatikleitung eine Überprüfung der ersten Phase. «Es wird überlegt, welches der technisch und finanziell sinnvollste Weg ist, RIS2 auch in anderen Bereichen der Direktion anwendbar zu machen», sagt uns DJI-Sprecher Benjamin Tommer. Dabei werde auch evaluiert, ob es eine billigere und einfachere Anwendung gibt. Möglich sei auch eine Neuausschreibung. Einen Abschluss der Untersuchung wird im ersten Semester 2016 erwartet. Der Prozess sei ergebnisoffen, schreibt das DJI. Die Medienmitteilung liest sich ansonsten wie eine Laudatio auf RIS2. Von einem «der landesweit innovativsten Informatiksysteme in diesem Bereich» wird geschrieben. Es habe sich bewährt und werde, mit zusätzlichen Funktionen ausgerüstet, «für den Bereich der Staatsanwaltschaften und der Jugendstrafrechtspflege in den kommenden Jahren weiterhin im Einsatz» sein. Dass es Schwierigkeiten bei RIS2 gab, gibt Tommer zu. Diese habe man aber beseitigt: «Dass zu Beginn nicht alles rund läuft, ist normal. Die Phase ist aber abgeschlossen, mittlerweile ist das System funktional».
Parlament hinterfragt Kostenexplosion
Ob bei Betrieb und Beschaffung der Software wirklich reibungslos ablaufen ist, will derzeit das Parlament wissen. Gleich vier Kommissionen untersuchen RIS2, besonders die Kosten geben zu denken. Ursprünglich war das System mit 8,3 Millionen Franken budgetiert, mittlerweile dürfte es ? je nach Rechnung ? zwischen 20 und 25 Millionen Franken kosten. Untersuchungsergebnisse haben die Kommissionen keine vorzuweisen, die neue Legislaturperiode erschwert traditionell eine effiziente Arbeit. Genau deshalb ist Daniel Hodel, Präsident der federführenden Geschäftsprüfungskommission, über den Aktionismus des Justizdepartements erstaunt: «Es ist nicht üblich, dass sich der Regierungsrat mit einem Projekt beschäftigt, das bereits von einer Aufsichtskommission untersucht wird. Das dürfte darauf hindeuten, dass bei RIS 2 nicht alles einwandfrei funktioniert.»
Spät, aber immerhin
Auch Beatrix Frey-Eigenmann, Präsidentin der Finanzkommission, hat das RIS2-Projekt auf dem Tisch. Den Schritt des DJI hält sie für richtig. Obwohl er ihrer Meinung nach etwas spät kommt: «Wir hätten uns gewünscht, dass die Fragen, die man sich im DJI offenbar nun stellt, von Anfang an gestellt worden wären.» Als die Finanzkommission nämlich wissen wollte, wie das Projekt sich dermassen verteuern konnte, erhielt man von der Regierung die wenig hilfreiche Antwort: «Wir konnten die Entwicklung nicht voraussehen und wir hatten keine andere Wahl als das Projekt durchzuziehen.» Die Kommissionspräsidenten gehen davon aus, in wenigen Monaten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen kommunizieren zu können. Und die Staatsanwälte? Können sie mittlerweile so gut mit RIS2 arbeiten, wie es die Direktion der Justiz und des Inneren (DJI) behauptet? Wir wissen es nicht. Auf Anfrage bei der Oberstaatsanwaltschaft antwortete diese, dass sämtliche Medienanfragen über das DJI laufen würden.