28.11.2014, 13:27 Uhr
Verpassen Schweizer Versicherer die Digitalisierung?
Eine Umfrage hält Schweizer Versicherern vor, sie würden die Digitalisierung des Geschäfts vernachlässigen. In der Praxis zeigt sich teilweise ein anderes Bild.
Schweizer Versicherungsgesellschaften stehen der Digitalisierung des Geschäftslebens offenbar gelassen gegenüber. Nur eines von fünf Unternehmen sieht in der Technologie eine ernsthafte Herausforderung. Dass sich der Onlinekanal auch im Versicherungsgeschäft verselbständigen kann, wird nicht erwartet. Das sind Ergebnisse des ersten Schweizer «Versicherungsbarometers» des Beratungsunternehmens EY und der Universität St.Gallen. Für die Studie wurden im Sommer CEOs und Geschäftsleitungsmitglieder von elf der grössten Schweizer Versicherungsgesellschaften befragt. Aufgrund der Resultate befürchtet Thomas Brotzer, Partner und Leiter Versicherungen Schweiz bei EY, dass die Unternehmen hierzulande auf den Ersatz der bestehenden IT-Infrastruktur im Back-Office fokussieren. Er sieht die Notwendigkeit, die konsequente Ausrichtung der gesamten IT voranzutreiben. «Die Eigenkapitalsituation sowie die komfortablen Margen würden es den Unternehmen erlauben, aus einer Position der Stärke heraus die neuesten Technologien zu nutzen und Geschäftsmodelle auf die Zukunft auszurichten», sagt Brotzer laut einer Medienmitteilung.
Digitalisierungsprojekte der Zurich
Ganz so zurückhaltend bei der Digitalisierung wie die Studie suggeriert sind hiesige Versicherungen allerdings nicht. Die Zurich hat alleine im zweiten Halbjahr 2014 drei Projekte abgeschlossen, die den Grossversicherer näher zu seinen Kunden bringen: Mit dem Anbieter Hearsay Social wurden Social-Kanäle ins Unternehmen eingebunden, mit dem Beratungsunternehmen Accenture die Corporate-Website neu aufgesetzt und mit dem Technologie-Partner Zühlke das Risikomanagement-Portal «My Zurich» realisiert. Andere Unternehmen wie Axa Winterthur und Pax arbeiten ebenfalls an Digitalisierungsprojekten – wenn auch bis anhin nicht öffentlich.
Natürlich rütteln die Schweizer Versicherungen nicht an den Grundfesten ihrer Geschäftsmodelle. Zurich wird weiter (als eine der wenigen Versicherungen überhaupt) global tätige Unternehmen weltweit absichern, Axa Winterthur fast jede zweite Schweizer Firma. Den Kunden werden aber mithilfe von IT neue Services oder Produkte angeboten, die ohne Technologie nicht möglich wären.
Gefahr erkannt, Gefahr nicht gebannt
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage lässt allerdings keine Zweifel zu: Die Digitalisierung und das Internet erleichtern branchenfremden Konkurrenten den Markteinstieg. Jede zweite Schweizer Assekuranz erkennt in neuen Wettbewerbern eine mögliche Bedrohung für das Kerngeschäft. Doch bis heute wird diese Gefahr nicht für akut gehalten. Die Befragten erkennen im Schweizer Markt noch keine Verdrängung. Offenbar ist die Gefahr jedoch durchaus vorhanden: «Aktuelle Beispiele in der Motorfahrzeugversicherung zeigen, dass Versicherer die Kontrolle über die Kundenschnittstelle verlieren können», sagt Studienleiter Professor Andreas Blumer von der Universität St.Gallen in der Medienmitteilung. Er beobachtet, dass Automobilhersteller und Online-Anbieter in den Versicherungsmarkt drängen. «Die Gefahr besteht, dass die Versicherer zu Abwicklern herabgestuft werden», ergänzt er.