14.04.2016, 14:02 Uhr

Sourcing in digitalen Zeiten

Big Data bereitet vielen Unternehmen noch Kopfzerbrechen. Am Swiss IT Sourcing Forum wurden Pro und Contra des Datensammelns und der Cloud diskutiert.
Es gibt momentan kaum eine Branche oder ein Unternehmensbereich, der nicht von der Big-Data-Welle erfasst wird. Doch macht die Nutzung von Big Data Unternehmen tatsächlich schneller, produktiver, effizienter und innovativer? Und wo stehen Schweizer Unternehmen hinsichtlich Big Data in der täglichen Praxis?
Diesen Fragen ging das von Uvision organisierte Swiss IT Sourcing Forum 2016 in diversen Praxisvorträgen nach, die ganz im Zeichen von Cloud und Big Data standen. Rund 300 hochkarätige Entscheidungsträger von Schweizer Anwender-Unternehmen aller Branchen nahmen an der diesjährigen Konferenz im KKL Luzern teil.

Erst einmal Aufräumen

Gleich zu Anfang ein ernüchterndes Zitat: «90 Prozent unserer Arbeit ist noch Aufräumen der Legacy, 5-10 Prozent entfallen auf Big Data Analytics», sagte Pius Brändli, Managing Director und Head Analytics & Big Data Organisationen der UBS in seinem Referat. Die Bank ist neben dem Aufbrechen diverser Silos, die alle ihre eigene IT hatten und deren Know-how bezüglich Analytics nun zusammengezogen werde, dabei, verschiedene Prototypen für New Analytics auszuprobieren. Wissen und Intelligenz zusammenzufügen und zu automatisieren sei ein sehr komplexes Unterfangen und erfordere einen umfassenden Rahmen an Techniken, Technologien und Fähigkeiten. «Standalone-Installationen sind bei der Erreichung unserer Ziele nicht hilfreich», so Brändli. Das grösste Problem dabei sei, dass man nicht einfach etwas kaufen könne, sondern sich etwas zusammenstellen müsse. «Es ist wirklich schwierig, bei den abertausenden an Angeboten durchzublicken», gibt Brändli zu. Die UBS orientiert sich daher sehr an Open Source und Komponenten, sodass man sich nicht schon auf eine Technologie festlegen müsse und einzelne Komponenten auch wieder rausnehmen könne. Auch der Widerstand der Mitarbeitenden sei zum Teil gross, wenn Teams aufgebrochen und neu zusammengefügt werden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Cloud verändert die Organisation

«Cloud verändert die Organisation»

Vor ähnlichen Problemen steht auch Joachim Huber, Group CIO des börsenkotierten Nahrungsmittelkonzerns Orior. Eine konzernweite IT-Infrastruktur war bis vor kurzem nicht vorhanden, die IT wurde eher als Flaschenhals, denn als Enabler wahrgenommen, Services waren wenig verfügbar, die Kosten ungemanaged. Jetzt steht Orior kurz vor der Auslagerung des Rechenzenters. «Wir sind dabei gegenüber der Cloud sehr aufgeschlossen», sagt Huber. «Die Cloud verändert die Organisation.» Im positiven, wie im negativen Sinne, dessen müsse man sich bewusst sein.
Beispielsweise sei es gut, wenn man nun weniger Techniker benötige. «Jetzt gibt es aber Dienstleister zu führen, das ist nicht jedem in die Wiege gelegt», weiss Huber. Je mehr Ressourcen man freilege und zur Verfügung habe, umso mehr Projekte würden wiederum gestartet. Zudem sei die Flexibilität heutiger Cloud-Angebote limitiert. Die unternehmenseigenen Anstrengungen zur Prozess-Standardisierung könnten hier jedoch genutzt werden. «Die Werkbank hat sich verlängert, deshalb braucht es Personal mit völlig neuen Kompetenzen», ist Huber sicher. Da Cloud-Services zudem immer komplexer werden, dürfe man nicht zu enthusiastisch sein und müsse «überlegen, wieviel Komplexität wir wirklich bewältigen können», mahnt Huber. Sein Resümee: Die Cloud-Services und SLAs vieler Anbieter müssen an Reife gewinnen.

Schweiz ist zu langsam

Die Kernaussage einer der Panel-Diskussionen schliesslich lautete: Erst die Basics im Griff haben und sich dann an die Digitalisierung machen. Bei vielen Schweizer Unternehmen gibt es da noch Aufholbedarf. Auch im Vergleich mit den USA beispielsweise, hinter denen Europa mindestens 3 Jahre in der Entwicklung hinterherhinke, wie Co-Moderator Bernd Schäfer, Partner & Managing Director DACH, ISG Information Services Group, erklärte. «Die Veränderungen, die wir vor uns haben, sind viel grösser, als wir uns das vorstellen können», so Schäfer. «Wir müssen schauen, dass wir die Dinge, die uns heute beschäftigen, aus dem Kreuz kriegen.» Auch Huber und Brändli bestätigten die Vorreiterschaft der USA: «Die USA sind technikaffiner. Die Cloud sollte uns nicht dazu verleiten, dass wir Luftschlösser bauen», warnt Huber. Und Brändli: «Die US-Banken sind im Analytics-Bereich weit, in Amerika können wir viel auf der Cloud probieren und übernehmen.»
Wer global agiere, habe zudem regulatorische Hürden zu überwinden, sagt Dr. Thomas Bolliger, Sourcing & Compliance Partner, KPMG Advisory. Das sei mitunter auch gut so. «Generell sind wir in der Schweiz relativ langsam, wenn es darum geht, aus den Chancen der Digitalen Transformation Geschäftspotential zu schöpfen», ergänzt Fritz Wüthrich, Country Manager von Wipro Technologies. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sicherheit und Faktor Mensch

Gesunder Menschenverstand

Und bei allem nie die Sicherheit (Faktor Mensch!) ausser Acht lassen. Sicher ist, dass nichts 100 Prozent sicher ist, wie zwei Ethical Hacker von HP an der Konferenz in einem eindrücklichen Live-Hack bewiesen. Laut FireEye sind heute 97 Prozent aller Unternehmensnetzwerke infiltriert. In 75 Prozent der Netzwerke konnte sogar live die Kommunikation der Angreifer verfolgt werden. 
Das «Geschäftsmodell» Rent-a-Hacker ist heute an der Tagesordnung und 70 Prozent aller Phishing-Mails sind erfolgreich. «Der Faktor Mensch darf niemals ausser Acht gelassen werden», warnt daher auch Markus Baumgartner, Chief Security Officer, Helvetia Versicherungen in seinem Vortrag. Zudem riet er von übertriebener Datensammelwut ab und wies die Konferenzteilnehmer darauf hin nie zu vergessen, dass bei Maschinen die Ethik aussen vor bleibe.

Fazit: Wie ausgelagert wird, wissen Schweizer Unternehmen, das machen sie seit 20 Jahren. Während es in der Vergangenheit hiess, Individuallösungen zu beziehen, die die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens befriedigten, kehrt Cloud die Entwicklung heute um: «Sie kaufen heute Standard», so Schäfer, «und müssen die Organisation passend für die Lösung machen.»  Computerworld ist Medienpartner des Swiss IT Sourcing Forums. Die nächste von Uvision organisierte Ausgabe findet im Frühjahr 2017 statt.



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