27.08.2014, 18:03 Uhr

Schweizer Rückstand bei IT-Beschaffung

Immer mehr Vertreter von Behörden und IT-Anbietern wollen korrekt Informatik einkaufen. Die Rekordzahl von mehr als 300 Teilnehmern zählte die IT-Beschaffungskonferenz.
Der frühere WTO-Verhandlungsführer Nicolas Niggli empfiehlt die Ratifizierung des neuen Beschaffungsrechts
Die Schweiz hat als einer der wenigen WTO-Staaten die neuen Beschaffungsregeln für Behörden noch nicht ratifiziert. Dadurch könnten den hiesigen Unternehmen wirtschaftliche Nachteile entstehen, wenn sich zum Beispiel die Behörden der Volksrepublik China entschliessen, nach WTO zu beschaffen. Firmen aus anderen Mitgliedsstaaten könnten Waren und Dienstleistungen zu ganz anderen Bedingungen anbieten als die Schweizer. Aber auch Behörden hierzulande sind die Hände vorerst gebunden, wenn sie beispielsweise Informatik einkaufen wollen. Die aktuellen Vorschriften stammen aus dem letzten Jahrtausend. An der Ausgestaltung der neuen Regeln war auch die Schweiz massgeblich beteiligt: Nicolas Niggli, von 2007 bis 2012 Vorsitzender der WTO-Verhandlungsrunde zum Government Procurement Agreement (GPA), betonte an der IT-Beschaffungskonferenz am Mittwoch in Bern die Wichtigkeit der baldigen Ratifizierung. Laut Niggli ist die Schweiz von den neuen Handelsbedingungen allerdings noch einige Zeit entfernt. Eine parlamentarische Debatte erwartet er für das nächste Jahr, die Ratifizierung nicht vor 2016. «Die neuen Vorschriften sind nicht wie bisher eine allumfassende sondern eine massgeschneiderte Lösung», kommentierte Niggli den Wert des Handelsabkommens. Seine Meinung teilte an der Konferenz Axel Butterweck, Leiter Konzerneinkauf bei der Schweizerische Post: «Die neuen WTO-Vorschriften geben mehr Raum für Agilität bei Beschaffungen.»
Bis nach neuen Konditionen beschafft werden kann, müssen sich die Schweizer Behörden und die IT-Lieferanten mit den geltenden Bestimmungen arrangieren. Ein häufig genannter Kritikpunkt, die Schwelle von rund 230'000 Franken ist zu tief für Informatikbeschaffungen, wird sich auch nach der Revision nicht ändern. Niggli bezeichnete die Wahrscheinlichkeit für eine Erhöhung des Grenzbetrages als «nahezu null Prozent». Ausserdem sei eine höhere Summe nicht im Sinne der Schweizer Wirtschaft: Exportorientierten Unternehmen würde so der Markteintritt zum Beispiel in China erleichtert, denn sie könnten sich auch an kleineren Ausschreibungen beteiligen. Gemäss einer Schätzung der Investmentbank Morgan Stanley locken bis 2020 in den Wachstumsregionen der Welt alleine Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 21,7 Milliarden US-Dollar. Nächste Seite: WTO-Beschaffung in der Praxis
Heute hat die Post als halbstaatliches Unternehmen die Freiheit, nicht alle Waren und Dienstleistungen öffentlich beschaffen zu müssen. Für den Leiter Konzerneinkauf, Axel Butterweck, ist WTO teilweise sogar «ausgesprochen sexy», wie er an der Konferenz in Bern sagte. Im Rahmen von Ausschreibungen könne genau spezifiziert werden, was gekauft werden solle und dies werde dann zum bestmöglichen Preis beschafft. Sein Rat an alle, denen die Regularien der World Trade Organization (WTO) die Hände binden: «Versuchen Sie, das Damoklesschwert WTO zu entschärfen!». Die Post hat exklusiv für Beschaffung ein Kompetenzzentren gebildet. An diese Kollegen können sich die ausschreibenden Stellen wenden, wenn die Wahl des korrekten Verfahrens ansteht. Beim Grossbetrieb Post ist der Bedarf allerdings auch gross: Butterweck bezifferte das Beschaffungsbudget auf jährlich 2,7 Milliarden Franken und die Zahl der aktuell laufenden WTO-Ausschreibungen auf 38 Verfahren. Kleineren Organisationen riet Peter Fischer, Delegierter des Bundesrates für die Informatiksteuerung, das Beschaffungsverfahren zum festen Bestandteil des Projektplans zu machen. Wie Fischer in an der Konferenz erklärte, gehöre dazu eine klare Rollenverteilung beispielsweise in Form eines Beschaffungskoordinators und die Berücksichtigung im Gesamtplan inklusive der Umgang mit Verzug. Wie die Bundesverwaltung heute mit den Herausforderungen der IT-Beschaffung umgeht, will Fischer im Herbst offenlegen. Dann plant er die Veröffentlichung eines Berichts über die Probleme bei den IT-Projekten der Bundesverwaltu

Agile Beschaffung

Voraussichtlich zum gleichen Zeitpunkt lanciert der Verband swissICT einen Leitfaden für agile Beschaffungsmethoden. Stephan Sutter aus der Fachgruppe Lean, Agile & Scrum bei swissICT, erklärte an der Konferenz, dass agile Projektmethoden den herkömmlichen Wasserfall-Verfahren überlegen seien. Wie geplant erfolgreich verliefen 42 Prozent der agilen Projekte (Wasserfall: 28 Prozent), bei 53 Prozent gäbe es Verzögerungen (68 Prozent) und 5 Prozent würden abgebrochen (5 Prozent).  Agile Projekte brächten nach den Worten von Sutter ausserdem viel früher Resultate: Wenn Teilprojekte abgeschlossen und in Betrieb genommen würden, könnte das Business schon einen Mehrwert nutzen und müsste nicht auf das Projektende warten, bis die Entwicklung abgeschlossen ist. Wie der Experte sagte, sei agile Beschaffung auch mit den heute geltenden WTO-Vorschriften vereinbar.



Das könnte Sie auch interessieren