NSA-Affäre
09.03.2015, 10:18 Uhr
«Die Schweiz ist auf vielen Ebenen betroffen»
Die Schweiz ist akut von Überwachungsaktionen der Geheimdienste NSA und GCHQ betroffen und tut viel zu wenig, sie zu verhindern. Nur diesen Schluss lässt ein Bericht der Digitalen Gesellschaft zu. Wir haben mit einem Mitverfasser des Reports über Freiheit, den Schweizer Geheimdienst und limitierte Politiker gesprochen.
«Bin auch ich betroffen?» Diese Frage stellt sich wohl jeder, seit Edward Snowden ein globales Überwachungsnetz der Geheimdienste NSA und GCHQ aufgedeckt hat. Die Digitale Gesellschaft hat die Berichte der letzten Jahre genauer angeschaut als alle Medien und Politiker zusammen und zeigt auf, dass die Schweiz keineswegs verschont wird. Es gibt Abhöranlagen der NSA in Genf und im Wallis, Diplomaten stehen auf Überwachungslisten und wer denkt, unbewacht telefonieren zu können, träumt. Die genauen Überwachungsmassnahmen wurden in einem Bericht veröffentlicht, dessen Zusammenfassung wir gleichzeitig mit diesem Interview verffentlichen. Weil jede Geschichte zwei Seiten hat, haben wir Erik Schönenberger, Mitglied der Digitalen Gesellschaft und Mitverfasser des Berichts, ein paar kritische Fragen gestellt.
Computerworld.ch: Die Medien sind voll von Meldungen über die NSA-Affäre. Warum braucht es da Ihren Bericht noch obendrauf?
Erik Schönenberger: Weil es bisher nur Einzeldokumente gab und die direkte Betroffenheit der Schweiz daraus wenig ersichtlich war. Unser Bericht zeigt, dass wir auf vielen verschiedenen Ebenen von der Massenüberwachung betroffen sind. Wir hoffen auch, dadurch eine gesellschaftliche und politische Diskussion anstossen zu können.
Eine Diskussion anstossen? Von NSA und GCHQ ist seit Jahren überall zu lesen, Edward Snowden erhielt schon Auszeichnungen.
Das Problem ist, dass die Thematik sehr vielschichtig ist. Solange die eigene Betroffenheit nicht zutage tritt, interessieren die Menschen die Auswirkungen dieser Überwachungen nicht.
Die eigene Betroffenheit war doch nie offensichtlicher? Heute sind Daten eine Währung, die man handeln kann, um Dienstleistungen wie Facebook oder Whatsapp gratis nutzen zu können.
Ja. Aber das ist ein Unterschied zur Massenüberwachung. Bei Facebook kann ich immer noch ein Stück weit selbst bestimmen, welche Informationen preisgegeben werden sollen. Und wenn ich darauf keine Lust habe, bin ich dort nicht aktiv. Anders ist es aber, wenn ich, um nicht abgehört zu werden, auf Handy und Computer verzichten müsste. Dann könnte ich nicht mehr an der Gesellschaft teilhaben.
Sie fordern eine Gesellschaft, in der vollständig auf Überwachung durch den Staat verzichtet wird? 100 Prozent Freiheit, 0 Prozent Sicherheit?
Nein, natürlich nicht. Aber wenn die Überwachung jedoch flächendeckend und ohne Anfangsverdacht geschieht, haben wir ein Problem. Wenn dazu durch Geheimdienste beispielsweise private Firmen unterwandert oder Codes gestohlen werden, wird die rechtsstaatliche Ebene verlassen.
Sie sprechen davon, dass die Überwachung nicht ohne Anfangsverdacht geschehen soll. Aber wie soll der Anfangsverdacht überhaupt entstehen, wenn nicht überwacht wird?
Der kann von vielen Seiten kommen. Das können Hinweise von Privaten sein, etwas, das man im Web liest, oder andere Quellen. Dazu ist es aber nicht nötig, flächendeckendes Online-Monitoring zu machen. Natürlich, das wäre aus Sicht der Behörden kostengünstiger als klassische Polizeiarbeit. Aber der gesellschaftliche Preis dafür ist zu hoch.
Apropos Hinweise: Es gibt nur eine Quelle - Edward Snowden. Aus diesem Grund wollte beispielsweise die Schweizer Bundesanwaltschaft die NSA-Aktivitäten nicht untersuchen, weil sie sich nicht auf nur eine Quelle verlassen konnte.
Das ist sicher ein kritischer Punkt. Er zeigt aber gerade auch das Dilemma. Geheimdienste arbeiten weitgehend ausserhalb direkter und wirksamer Kontrolle. Mir ist auch kein Fall bekannt, wo die Geheimdienste den Berichten widersprochen hätten. Es wird wohl relativiert und behauptet, dass alles im rechtlichen Rahmen geschehen würden. Dass sie aber daraus aus sind, sämtliche unsere digitalen Spuren zu verfolgen, scheint offensichtlich.
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In Ihrem Bericht kritisieren Sie auch den Schweizer Geheimdienst. Braucht die Schweiz den NDB überhaupt?
In der jetzigen Form ist er in den Aufgaben zu vermischt. Inland- und Auslandgeheimdienst wurden vor einigen Jahren zu einer Organisation zusammengeführt. Zusätzlich wird im NDB Spionage und Espionage betrieben und gleichzeitig mit ausländischen Geheimdiensten zusammengearbeitet, also laufen gegensätzliche Interessen am gleichen Ort zusammen. Das muss entflechtet werden. Ich gehe noch weiter und sage, die Aufgaben des zivilen Nachrichtendienstes soll durch die Bundesanwaltschaft wahrgenommen werden.
Aktuell wird im Parlament das BÜPF behandelt, bald auch das neue Nachrichtendienstgesetz. Die Politik scheint Ihre Meinung von klaren Gesetzesgrundlagen zu teilen.
Das Problem scheint, dass im National- und Ständerat grösstenteils das Verständnis für diese ? meist sehr technischen - Fragen fehlt. Die Politiker haben sehr viele Geschäfte auf dem Tisch und können sich in derart komplexe Thematiken kaum genügend einarbeiten.
Gerade Politiker könnten sich doch profilieren, wenn sie dieses Thema zum Wahlkampfprogramm machen. Eben weil es fast niemand tut.
Dass dies in der Tat nur wenige tun, hat aber einen weiteren Grund. Wenn man über die Datenhoheit spricht, muss man sich immer auch der Diskussion Freiheit gegen Sicherheit stellen. Und es ist schwer, Freiheit zu verkaufen beziehungsweise die Errungenschaften unserer westlichen Demokratie aufzuzeigen.
Wäre es nicht Ihre Aufgabe, den Parlamentariern beratend zur Seite zu stehen?
Das sehen wir schon auch als unsere Aufgabe an. Als rein ehrenamtliche Organisation sind wir personell jedoch nur beschränkt dazu in der in der Lage.
Und was ist mit den Unternehmen? Die müssten auch ein Interesse daran haben, dass sich der Staat die Daten ihrer Kunden nicht genauer anschaut.
Es gibt durchaus Unternehmen und Verbände, die Interesse haben und sich beteiligen. Gerade die grossen Provider möchten sich an der politische Debatte jedoch nur bedingt öffentlich beteiligen. Hier geht es oft auch darum, dass sie selbst durch Überwachungsmassnahmen keine finanziellen Schäden davontragen.
Unternehmen und Politiker könnten durch den Druck der Öffentlichkeit überzeugt werden. Darum wiederhole ich eine Frage vom Beginn: Bisher gelang die gesellschaftliche Debatte trotz aller Berichte nicht. Warum sollte er Ihnen gelingen?
Das schaffen wir sicher nicht alleine. Unser Bericht war auch für uns eine Aufarbeitung. Aber wir sehen auf nationalstaatlicher Ebene Bemühungen, die Sicherheit zu verstärken. UNO und Europarat schauen sich dazu die Grundrechte an und diskutieren, welche Art von Überwachung nötig und welche unverhältnismässig ist. Beispielsweise: Ist es zulässig, bei der Überwachung zwischen inländischer und ausländischer Kommunikationzu unterscheiden.
Wie lange wird es dauern, bis sich auch die Stammtische mit solchen Fragen beschäftigen und der gesellschaftliche Diskurs stattfindet?
Vielleicht 5, vielleicht 10 Jahre? Sicher nicht von heute auf morgen.