11.02.2014, 16:43 Uhr
«Der Schweiz fehlen nur 500 Informatiker»
Die Annahme der Einwanderungsinitiative kann für die Schweizer ICT schlimme Folgen haben. Falls die von ICTswitzerland seit Jahren kommunizierten Zahlen zum Fachkräftemangel stimmen. Ein IT-Headhunter zweifelt genau dies jedoch an.
Die Einwanderungsinitiative spaltet die Schweiz, ein anderer Röstigraben entsteht. Welche Auswirkungen hat die Annahme für die ICT-Branche?
Das Schweizer Stimmvolk hat entschieden, die Zuwanderung zu beschränken. Das kann besonders für die Schweizer ICT-Branche verheerende Folgen haben. Denn gemäss einer von ICTswitzerland in Auftrag gegebenen Studie beträgt die Zuwanderungsquote im Berufsfeld ICT 12,1 Prozent, der Schweizerische Durchschnitt liegt bei 7,4 Prozent. Die gleiche Studie sagt, dass in der Schweiz bis im Jahr 2020 25 000 ICT-Fachkräfte fehlen. Logisch daher die Reaktion von ICTswitzerland, die im Vorfeld der Abstimmung davor warnte, dass eine Annahme den Fachkräftemangel «dramatisch verschärfen» würde. Was aber, wenn die Zahlen nicht stimmen?
Gefährliche Panikmache?
«Der Schweiz fehlen maximal 500 Informatiker», sagt Hans Riesenmann vom Vermittlungsbüro Europartner Consulting. «Wären es tatsächlich 25 000 oder noch mehr, würden uns die Kandidaten aus den Händen gerissen». Dem sei aber überhaupt nicht so, sagt Riesenmann, der sich als einer der letzten richtigen IT-Headhunter bezeichnet: «Unternehmen werden bei der Anstellung von Informatikern immer anspruchsvoller.» Zwar würden alle Unternehmen Stellen ausschreiben, aber nur wenige Personen anschliessend auch effektiv einstellen. Den Grund dafür will Riesenmann kennen: «Die
Spezialisten, die gesucht werden, gibt es ja gar nicht.» Java-Entwickler beispielsweise wären zwar zu haben, doch das genüge nicht. Die Firmen wollten, dass dieser gleichzeitig noch Architekt sei, idealerweise auf Senior-Stufe. Dazu solle er fliessend Französisch sprechen und natürlich bezahlbar sein. Erfülle ein Bewerber die Bedingungen nicht, werde weitergesucht. «Firmen sind oft nicht bereit, Chancen zu geben», sagt Riesenmann. Dies sei früher anders gewesen. Riesenmann, der gleichzeitig Chefexperte Informatiker Lehrabschlüsse Basel-Land und Basel-Stadt ist, befürchtet, dass durch die seiner Meinung nach falschen Zahlen viele Jugendliche in die Arbeitslosigkeit gelockt werden. «Der Verband will Leute gewinnen, die Informatik lehren und eine höhere Ausbildung machen. Der oberste Richter ist aber der Markt, niemand anders. Man kann nur die Stellen vermitteln, die es hat.» Auf die Frage, wie der Verband seiner Meinung nach auf die Zahlen kommt, antwortet Riesenmann: «Verbände und Ämter zählen einfach täglich alle Informatikerjobs aus dem Internet zusammen.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Studienersteller wehrt sich
Nicht auf sich sitzen lassen will die Kritik Nils Braun von Econlab, der für ICTswitzerland die Studie erstellt hat. Bei seiner Studie würden nicht Internetstellen zusammengezählt, die Methode sei wesentlich profunder: «die Daten stützten sich primär auf öffentliche Statistiken wie die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung.» Er ist darum überzeugt, dass seine Daten stimmen. Trotzdem warnt er davor, sie zu wörtlich zu nehmen. «Die Kritiker werden im Jahr 2020 viele offene IT-Stellen finden, jedoch nicht deren 25 000. Der Markt ist nicht statisch, sondern passt sich an.»
Generalisten braucht es nach wie vor
Kritiker monieren jedoch genau das und sagen, dass die Wirtschaft eben nicht linear verlaufen wird. Sondern durch die Industrialisierung der Branche in der IT immer weniger Jobs gebraucht werden. Die Prognosen seien darum falsch. Braun versteht dies, kontert aber: «Es gibt einen Mengen- und einen Qualitätseffekt. Google beispielsweise hat kaum Angestellte mit einer Berufsbildung als höchstem Abschluss. Aber Google ist nur ein ganz kleiner Teil der Schweiz.» Stattdessen würde viele Firmen ausserhalb der Kernbranche IT, auch ausserhalb von Banken- und Dienstleistungsunternehmen, Informatiker brauchen. Dort würden teilweise Generalisten ausreichen, die werden beispielsweise zur IT-Beschaffung gebraucht. Braun glaubt darum nicht, dass in Zukunft hauptsächlich nur noch Spezialisten gesucht werden. Behält Braun recht, wird die Annahme der Initiative grössere Auswirkungen auf die Branche haben. Behält Riesenmann recht, ist die Initiative praktisch irrelevant. Wessen Voraussagen eintreffen, darüber darf gestritten werden.