Social Media
19.09.2012, 11:29 Uhr
Mehrwert bislang ungenutzt
Schweizer Firmen nutzen Social Media vornehmlich für Marketing und Kundenservice. Das Marktpotenzial der Millionen-Plattform Facebook liegt noch weitgehend brach. So setzen Sie Facebook richtig ein.
Schweizer Firmen sind auf Social-Media-Plattformen vor allem in Sachen Imagepflege unterwegs. Sie transportieren Markenbotschaften, informieren über ihre Produkte und versuchen im Dialog, die Bindung der Kunden an ihr Unternehmen zu stärken. 60 Prozent der von Computerworld befragten IT-Chefs sehen in Social-Media-Kanälen wie Facebook, Twitter oder YouTube in erster Linie ein Marketinginstrument (vgl. Grafik rechts). Dahinter folgen mit jeweils 25 Prozent Online-communitys und der Produktvertrieb. Diese Gewichtung mag zwar auf den ersten Blick einleuchten und ist auch von Erfolg gekrönt. Nicht zu Unrecht rangieren unter den 10 globalen Konzernen, die am häufigsten auf Social-Media-Plattformen diskutiert werden, immerhin fünf Hightech-Unternehmen: AT&T, HP, Samsung, Sony und Verizon (vgl. Burson-Marsteller, Global Social Media Check-Up 2012). Marketinginitiativen sind aber allenfalls der erste Schritt. Sie schöpfen das Potenzial von Social Media bei Weitem nicht aus.
Wie Schweizer Unternehmen Social Media in der Praxis für ihre Zwecke einsetzen, hat Capgemini Consulting untersucht. Die IT-Branchenberater nahmen 60 Schweizer Grossfirmen unter die Lupe, darunter den Versicherungsriesen Swiss Re sowie Credit Suisse, Roche, Novartis, Migros, Coop, ABB, Swisscom, SBB und die Neue Zürcher Zeitung. Grossunternehmen sind dabei durchaus typisch. Denn Social-Media-Initiativen funktionieren nicht wie ein 100-Meter-Sprint, den man mal eben absolviert, um danach wieder die Füsse hochzulegen. Sie ähneln eher einem Langlauf mit gelegentlichen Zwischenspurts, verlangen also Zeit, Geld und Personal über einen mittelfristigen Zeithorizont. Erst dann stellt sich möglicherweise der Erfolg ein. Vielen KMU ist dieser Aufwand schlichtweg zu hoch. Das bestätigt eine Umfrage der Zürcher Kommunikationsagentur Bernet und der ZHAW unter 419 Schweizer Firmen (Vom Hype zum Handwerk: Bernet ZHAW Studie Social Media Schweiz 2012). Das Ergebnis: Fast jedes zweite KMU mit weniger als 250 Mitarbeitern nimmt von Social Media Abstand, weil der hohe Aufwand abschreckt (46%) oder ein klarer Mehrwert nicht erkennbar ist (28%).
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Schweizer Erfolgsbeispiele
Ganz anders die experimentierfreudigeren Grossen mit den dicken Portemonnaies. Vier Schweizer Erfolgsbeispiele zeigen, worauf es ankommt: Swisscom feiert mit seiner Support-Plattform «Swiss Care» Riesenerfolge. Swisscom-Kunden steuern die Plattform an, wenn sie bei technischen Problemen allein nicht mehr zurechtkommen. In 40 Prozent aller Fälle helfen dann Kunden anderen Kunden weiter. «User wollen sich einbringen und verfügen oft über ein bemerkenswertes technisches Know-how», bestätigt Markus Eberhard, Head of Online- & Crosschannel Support bei Swisscom.
Nicht nur Hilfe bei Problemen treibt Kunden auf Social-Media-Plattformen, auch Gewinnspiele, Rabatte und Vergünstigungen. Der Uhrenhersteller Swatch etwa verlost auf seiner Facebook-Seite regelmässig Produkte aus der neusten Kollektion. Der «Hello Family Club» von Coop hat sich auf Familien mit Kindern fokussiert. Vor Kindergeburtstagen verschickt der Discounter beispielsweise Mails an die Eltern und bietet eine 20-prozentige Preisreduktion auf das Spielwarensortiment an. Konkurrent Migros lässt Kunden auf der Fanpage Migipedia über Produktinnovationen abstimmen. Die Geschmacksrichtung Vanilla Coke etwa hat Migros aufgrund von Kunden-Votings ins Sortiment aufgenommen: Kunden wollten Vanilla Coke. «Migipedia hat zurzeit 27000 Mitglieder; in den letzten zwei Jahren gab es 130000 Kunden-Feedbacks», sagt Sergio Mare, Leiter Online Kommunikation & Community Management bei Migros. Die Feedbacks werden ausgewertet und gehen dann als Reports an die verantwortlichen Produktmanager. Fanpages und Onlinecommunitys treten in Dialog mit den Kunden, bieten handfeste Vorteile und festigen dadurch die Kundenbindung. Sie sind allerdings keine Selbstläufer, sondern verlangen beständigen Einsatz und eine gewisse kritische Masse. Wie auf einer Gartenparty amüsieren sich die Gäste köstlich, solange für Wein, Weib und Gesang gesorgt ist und sie nicht alleine auf der Tanzfläche stehen. Geht das Bier dagegen zur Neige, verabschieden sie sich umgehend. Social-Media-Gäste sind anspruchsvoll, lieben das Besondere und bestrafen Langeweile mit Aufmerksamkeitsentzug. Das Spektrum der Aktivitäten und Social-Media-Initiativen ist dabei recht breit gespannt. Im Schweizer Branchenvergleich bescheinigt Capgemini Consulting der Migros eine überdurchschnittlich hohe Nutzung im Kundenservice. Swisscom zeichnet sich «durch ihre sehr hohen Marketing- und Sales-Aktivitäten» aus. ABB, die Allianz Suisse und Unternehmen der Finanzindustrie wie die UBS, Swiss Life, Credit Suisse und die Bâloise Holding nutzen soziale Medien vor allem, um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Facebook dominiert in Unternehmen
Schweizer Facebook: 93 Prozent
Die beliebteste Social-Media-Plattform in der Schweiz, die Plattform mit den meisten eingeschriebenen Mitgliedern, heisst Facebook. Auf Platz zwei folgt Twitter. 93 Prozent aller Schweizer Unternehmen nutzen daher folgerichtig Facebook, und zwar primär fürs Marketing und den Kundenservice. Die bestechende Idee dahinter: Durch «likes» werden Mitglieder zu Markenbotschaftern im Freundeskreis und multiplizieren dadurch den Impact. Erwiesenermassen wird den Empfehlungen von Freunden ein grösseres Vertrauen entgegengebracht als etwa Marketingspezialisten und Vertriebsmitarbeitern, die – so das gängige Urteil – primär ihre eigenen Umsätze im Kopf haben. Facebook ist für Unternehmen jedoch ein zweischneidiges Schwert. Denn die meisten Mitglieder wollen dort gar nicht über Marken diskutieren, sondern vor allem ihren privaten Freundeskreis pflegen. Nur etwa ein knappes Fünftel sei offen für Markenbotschaften, bestätigen Studien. Noch brisanter: Die Brand-Spezialisten von defacto.x haben herausgefunden, dass Imagepflege auf Facebook auch nach hinten losgehen kann oder bestenfalls verpufft. Sie verglichen die Markenwahrnehmung von Facebook-Fans mit der Einschätzung von Teilnehmern eines Loyalitätsprogramms. Beide Gruppen unterschieden sich kaum voneinander. Facebook-Fans attestierten ihrer Marke zwar ein höheres Mass an Modernität, nahmen sie aber auch als «weniger vornehm» und «weniger charmant» wahr (vgl. Facebook: Impact on Brand and Sales).
Haben Schweizer Unternehmen also die Millionen-Plattform Facebook noch nicht richtig verstanden und fahren die falschen Kampagnen? Fest steht, zwei Anwendungsbereiche werden von Schweizer Firmen bislang sträflich vernachlässigt: Brand-Monitoring und Marktforschung. Nur 8 Prozent der von Computerworld befragten IT-Chefs setzen Social Media zum Zwecke der Marktforschung ein. Dabei drängen sich diese Einsatzgebiete geradezu auf. Anurag Tandon, Social-Media-Spezialist bei MicroStrategy, bringt die Sache auf den Punkt: Ihr Customer Relationship Management (CRM) müsse jede Firma selbst pflegen und die Informationen auf dem aktuellen Stand halten. Auf Facebook dagegen pflegen die Mitglieder ihre Daten selbst. Im Durchschnitt, so Tandon, verrate jeder Nutzer auf Facebook 90 Dinge über sich selbst – diese persönlichen Infos seien in keiner CRM-Datenbank zu finden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das Wisdom-Projekt
Das Wisdom-Projekt
Der Business-Intelligence-Spezialist MicroStrategy hat daher sein Facebook-Analyse-Projekt Wisdom Professional gestartet. Computerworld hatte Gelegenheit, am Beta-Test teilzunehmen. Das Research-Werkzeug greift weltweit auf die Facebook-Profile von 12 Millionen Mitgliedern zu (die ihr Einverständnis dazu gegeben haben). Gut 35000 Wisdom-Pro-Mitglieder kommen aus der Schweiz, zu 75 Prozent aus den Ballungsräumen Zürich und Genf, zu 25 Prozent aus ländlichen Gebieten. Zu den Recherchekriterien von Wisdom Professional gehören neben Einkommen, Beziehungsstatus (Single, verheiratet, in Partnerschaft), Alter, Wohnort, Popularität (Anzahl «likes»), Einfluss (Anzahl Freunde), Aktivitätslevel und Ausbildung auch ein sogenanntes psychografisches Profil. Dazu zählen insgesamt 28 Vorlieben und Affinitäten wie: Outdoor-Enthusiast, Do-it-yourself, Techies, Schnäppchenjäger, Autoliebhaber, Musik-, Kino- und Comedy-Fans, soziale Aktivisten, Demokraten und Republikaner. Facebook: Business-Szenarien Wisdom Professional soll Unternehmen helfen, via Facebook einkommensstarke, einflussreiche Zielgruppen zu identifizieren und unternehmerische Entscheidungen so auf eine gesicherte Faktenbasis zu stellen. Laut MicroStrategy sind etwa folgende Anwendungsszenarien denkbar: - Ein Sportartikelhersteller analysiert die Interessenprofile von Männern zwischen 18 und 45 Jahren, die Nike und Adidas mögen. Die Analyse gibt Aufschlüsse darüber, welche Hintergrundmusik in den Sportgeschäften gespielt werden sollte und welche Zusatzservices infrage kommen. - Ein Schweizer Anbieter findet heraus, dass die Facebook-Fans der Konkurrenz zu grossen Teilen aus jungen Schweizerinnen bestehen, die Outdoor-Aktivitäten lieben. Er richtet seine Werbe- und Marketingaktivitäten in Zukunft stärker auf diese Kundschaft aus. - Ein Softdrink-Anbieter hat die Absicht, eine Cross-Promotion-Kampagne mit einem der neuen Kino-Blockbuster zu starten. Eine Inte-ressenanalyse seiner Fangemeinde zeigt, welches Genre und welcher der nächsten Filme dafür am besten geeignet sind. - Ein Hochzeitsbekleidungsanbieter recherchiert via Facebook, welche Clubs und Restaurants in welchen urbanen Grossräumen von Frauen zwischen 22 und 45 Jahren bevorzugt werden, die in einer festen Beziehung leben, aber noch nicht verheiratet sind. Er richtet seine Events daraufhin aus. MicroStrategy will mit Wisdom Professional, nach Abschluss der Beta-Phase, in einigen Wochen an den Markt gehen. Nicht nur die Markt- und Konsumentenforschung in sozialen Netzen, auch Brand Monitoring wird von Schweizer Firmen sehr zaghaft, oft beschränkt auf die eigene Fanpage, betrieben. Die von Salesforce akquirierte Radion6 horcht dagegen netzweit am Puls der sozialen Netze und analysiert, wie über die Produkte, den neuen CEO oder über den eigenen Kundenservice auf Twitter, in Blogs oder auf Facebook kommuniziert wird. Dabei kommen text- und bildanalytische Verfahren zum Einsatz. Einer der Ecksteine ist die sogenannte Sentiment-Analyse, also die Identifikation von Positiv- und Negativ-Botschaften, bis auf den einzelnen Blog- oder Twitter-Eintrag hinab. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Brand-Monitoring: Beispiel Honda
Brand-Monitoring: Beispiel Honda
Die Europazentrale des Automobilherstellers Honda etwa hat das Brand-Monitoring-Werkzeug Radion6 im Einsatz. Die Investition zahlt sich aus, denn Honda gehört neben HP, Sony, Samsung und Walmart zu den zehn Global Playern, über die in sozialen Median am häufigsten diskutiert wird. Die Geschäftseinheiten Marketing und Vertrieb analysieren damit den Erfolg ihrer PR-Kampagnen per Feedback in sozialen Netzen und bekommen ein besseres Gefühl dafür, wie sie im Kräftevergleich mit der Konkurrenz dastehen. Honda hat mit Radion6 auch die Antwortzeiten auf Serviceanfragen reduziert. Der Automobilkonzern plant langfristig, seine Verkaufs- und Servicepartner an die Plattform anzubinden.