Kommentar
25.10.2016, 13:20 Uhr
AT&T-Deal kann den Konzern die Existenz kosten
120 Milliarden Dollar Schulden hat AT&T bereits. Nun will man Time Warner kaufen, um gegen Amazon, Netflix + Co zu bestehen. Eine Rechnung, die bisher für keinen Infrastrukturanbieter aufging.
AT&T kauft Time Warner fr 108,7 Milliarden Dollar. Es ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die aus klassischen Infrastrukturanbietern zuerst Löwen, danach Hyänen machte: Einst bauten Telekomunternehmen Datennetze, viele mit staatlichen Subventionen. Davon profitierten die Telkos während Jahrzehnten, zwackten den Inhalt-Anbietern Transaktionsgebühren und den Konsumenten Geld für den Empfang der Programme ab. Sie waren die uneingeschränkten Herrscher der Prärie. Das Spiel funktionierte, weil niemand die Strukturen in Frage stellte. Vor wenigen Jahren aber taten sich neue Absatzmärkte auf. Firmen wie Amazon oder Netflix realisierten, dass sie Inhalte übers Internet (Streaming) an den Konsumenten senden können. Der Löwe fühlte sich erstmals bedroht, hatte aber nach wie vor genügend zu fressen und zu trinken, um ernsthaft zu jagen. Während dieser sich nach dem ersten Schreck deshalb wieder hinlegte, gewannen Netflix und Amazon nicht nur Massen an Kunden hinzu, sondern begannen auch, eigene Inhalte zu produzieren. Auch dies überaus erfolgreich, diverse Serien und Filme von ihnen sind preisgekrönte Publikumsrenner. Mittlerweile besitzen die beiden Firmen eine Marktmacht, die es ihnen ermöglicht, mit den Telkos auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie sind nicht mehr die demütigen Inhalte-Anbieter, die betteln müssen, um beim Konsumenten anzukommen. Sondern die Telkos müssen die Infrastruktur bereitstellen, weil der Konsument ansonsten zu dem Unternehmen wechselt, das Netflix und/oder Amazon im Angebot hat. Diese Entwicklung gefällt weder den Infrastrukturanbietern noch den klassischen Medienunternehmen. Das ist der Hintergrund, der zum Mega-Deal zwischen AT&T und Time Warner führen wird, falls ihn Wettbewerbsbehörden nicht noch verhindern. Medien- und Infrastrukturanbieter sind zu Hyänen geworden. Sie müssen gemeinsam Jagd auf die Emporkömmlinge machen, die sehr schnell sehr viel Einfluss gewannen. Heute schauen die Jugendlichen bereits mehr Fernsehen via Stream als über klassische Medien, weils günstiger, flexibler verfügbar und meist aktueller ist. So sagte AT&T-Chef Randall Stephenson hinsichtlich der Übernahme, dass es ein grosses Ärgernis für Kunden sei, einmal für Inhalte zu zahlen, sie aber nicht auf jedem Gerät verfügbar zu haben. Ein Problem, das vielleicht seine, aber Amazon- und Netflix-Kunden längst nicht mehr haben.
Keine Erfolgsbeispiele
Durch die Übernahme wäre AT&T, so etwas wie die amerikanische Swisscom, nicht mehr nur Infrastrukturanbieter, sondern auch für die Inhalte verantwortlich. Time Warner besitzt Fernsehsender wie CNN und HBO («Game of Thrones»), das zugehörige Hollywood-Studio Warner Bros. besitzt die Rechte an Kinofilmen wie «Batman» oder «Harry Potter». All diesen Inhalt exlusiv bei AT&T zu sehen - der Traum von Randall Stephenson. Allerdings: Ähnliche Versuche wurden in der Vergangenheit bereits von anderen Firmen unternommen. Comcast kaufte vor einigen Jahren den Medienkonzern NBC Universal. Verizon bernahm im vergangenen Jahr AOL und hat vor einigen Monaten den Kauf von dessen Wettbewerber Yahoo vereinbart. Bisher brachten sämtliche dieser Deals nicht den gewünschten Erfolg, auch wenn sie nicht an das grosse Debakel heranreichen, bei dem Time Warner 2001 im Zentrum stand: Der wesentlich kleinere Internetkonzern AOL hatte die Idee, zwecks Konvergenz Time Warner zu kaufen. Irrsinnige 165 Milliarden Dollar wurden bezahlt, die Dotcom-Blase wurde praktisch angebettelt, zu platzen. Über die Jahre vernichtete die Fusion über 300 Milliarden Dollar Aktionärskapital, was in etwa dem heutigen Wert von Microsoft oder PetroChina entspricht. Time Warner kam deshalb wieder vom Konvergenz-Gedanken ab, veräusserte AOL, den Kabelanbieter Time Warner Cable und den Zeitschriftenverlag Time Inc., um sich aufs traditionelle Mediengeschäft zu konzentrieren. Bis AT&T anklopfte. Ob diese Fusion erfolgreicher ist? Man muss skeptisch sein, nicht nur aufgrund der bisher missglückten Versuche. Entsprechend verunsichert reagierten die Anleger, die Aktien beider Firmen verloren an Wert. Auch die Politik ist keineswegs begeistert, in den USA findet die Idee weder bei Demokraten noch Republikanern Zustimmung. Die Skepsis rührt unter anderem daher, dass die letzte grossen Übernahme in diesem Bereich zu einer Quasi-Monopolstellung führte: 2001 kaufte Comcast das Netz von AT&T für 72 Milliarden Dollar und bestimmt seither das Preisgefüge in den USA. Als AT&T vor rund zehn Jahren T-Mobile kaufen wollte, legten zudem die Aufsichtsbehörden ihr Veto ein. Doch auch wenn die Politik gewonnen werden und die Aktionäre vorläufig beruhigt werden können: Es ist durchaus möglich, dass solche Partnerschaften grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. Die beiden Geschäftsfelder Infrastruktur und Inhalte sind einfach zu verschieden, um eine Integration sauber durchführen zu können. Zudem haben die Firmen jahrzehntealte Strukturen, die nur sehr schwer auf die nötige Agilität getrimmt werden können. Für AT&T ist es auf alle Fälle ein Deal, bei dem die Existenz des Konzerns auf dem Spiel steht. Bereits heute ist man mit 120 Milliarden Dollar verschuldet. Zwar hat man nach wie vor genug Infrastruktureinnahmen, um nicht ein zweites AOL zu werden. Doch der Fixnetmarkt wird irgendwann verschwinden, im Mobilfunk ist der Peak auch erreicht. Die Reserven von AT&T sind aufgebraucht. Natürlich sind die Telkos gezwungen, etwas gegen Netflix + Co zu unternehmen. Man will schliesslich wieder König der Prärie werden. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die meisten Löwen getötet werden, wenn sie ausserhalb ihres Gebietes wildern.