«Mein Tipp 10.04.2012, 09:55 Uhr

Plant eure Karriere nicht und bleibt offen für Neues»

Computerworld spricht mit Patrick Naef, dem Schweizer CIO der in Dubai beheimateten Airline Emirates, über Führungskompetenzen, Karriere und die schwierige Kunst zu loben.
Emirates-CIO Patrick Neaf.
Computerworld: Sie veranstalten hier im Hotel Hilton in Zürich einen Recruiting-Event für die IT-Abteilung der Emirates. Warum suchen Sie ausgerechnet in der Schweiz nach IT-Professionals?
Patrick Naef: Das Erstaunen kann ich verstehen. Auch mir kommt zuerst Indien in den Sinn, wenn ich von IT-Ressourcen rede. Mehr als 80 Prozent unserer Mitarbeiter kommen vom indischen Subkontinent. Wir haben natürlich schon unsere Gründe, warum wir eine Location in Sichtweite zum Flughafen gewählt haben. Wir suchen hier Fachspezialisten, die das Airline-Business kennen und sich nach einem attrak­tiven Arbeitgeber umsehen. Es gibt hier viele solche Leute in unmittelbarer Nachbarschaft.
CW: Welche Skills muss etwa ein Projektleiter mitbringen, damit er bei Emirates eine Stelle kriegt? Zählt vor allem die fachliche Qualifikation oder ist auch der Charakter wichtig?
Naef: Das ist ein wichtiger Punkt, der für hiesige Mitarbeiter spricht: Schweizer haben multikulturelle Fähigkeiten, die wir schon rein dank unserer vier Landessprachen mitbringen. Jemand aus Deutschland ist da schon viel eingeschränkter. In unserer Organisation arbeiten 70 Nationalitäten, darunter auch eine Handvoll Schweizer. Denen fällt es deutlich einfacher, sich im multikulturellen Umfeld zurechtzu­finden. Wenn man bei uns arbeiten will, muss man offen sein für andere Kulturen, darf keine vorgefassten Meinungen haben, was zum Beispiel Wertmassstäbe betrifft.
CW: Was gewichten Sie höher: IT-Skills oder multikulturelle Anpassungsfähigkeit?
Naef: Skills sind wichtig, Mindsets sind wich­tiger. Wenn jemand die Fähigkeit nicht hat, in einem multikulturellen Umfeld zu bestehen, dann wird er es sehr schwer haben, auch wenn er technisch noch so brillant ist. Andersherum ist es eher möglich, da vieles Fachliche lernbar ist.
CW: Unterstützen Sie Leute, die entsprechende Anlagen mitbringen, mit Weiterbildungen?
Naef: Ja, selbstverständlich. Wir bieten aber neben technischen Ausbildungen auch multikulturelle Trainings. Das ist in einer global aufgestellten Firma wie der unseren sehr wichtig. Wir fördern ausserdem den lokalen Nachwuchs in Dubai mit einem vierjährigen Lehrgang, den die jungen Einheimischen nach der Highschool besuchen können.
CW: Wo lauern Ihrer Erfahrung nach die grössten Stolpersteine bei der Führung multikultureller Teams?
Naef: Festgefügte Wertmassstäbe können zu einem grossen Problem werden. Man kann von etwas komplett überzeugt sein – und das ist im heimischen Kulturkreis vielleicht sogar richtig. Aber woanders gelten diese Wertmassstäbe nicht. Dadurch sieht die Wahrheit plötzlich ganz anders aus. Man sollte immer versuchen, einen anderen Standpunkt einzunehmen, bevor man eine Entscheidung fällt.
CW: Häufig wird aus westeuropäischer Optik etwas von oben herab argumentiert: «Die sind halt so.» Müsste man nicht eher die Vorteile der anderen Mentalität suchen?
Naef: Das sehe ich auch so. Ich mache Ihnen ein Beispiel: Wir im Westen denken sehr rational. In Indien pflegt man eher den ganzheitlichen Ansatz, da ist die Person oder auch die Familie sehr wichtig. Geht mal was schief, zeigt sich der Vorteil dieses Ansatzes: Alle helfen einander. Sätze wie «Das ist nicht mein Job», fallen nicht. Aber es ist klar: Es gibt Dinge, mit denen ich selber noch immer grosse Mühe habe.
Auf der nächsten Seite: Wie man Indern ein Feedback gibt sowie ein Karrieretipp.
CW: Und das wäre?
Naef: Mir fällt es sehr schwer, dauernd Leute zu loben. In unserer Kultur muss man öffentlich kritisieren und privat loben. In Indien ist es genau umgekehrt, da darf man keinesfalls öffentlich jemanden kritisieren, nur loben.
CW: Mussten Sie das ebenfalls auf die schmerzliche Tour lernen?
Naef: Ja, leider. Ein Beispiel ist mir sehr gut in Erinnerung. Ich wurde von einem indischen Kollegen mal um Feedback gebeten. Das heisst für mich automatisch: Ich sage ihm, wo er nicht gut ist, damit er sich verbessern kann – was ich dann auch tat. Er war verzweifelt, fragte, ob es noch irgendetwas gäbe, was er gut mache. Da erst realisierte ich, dass Feedback für ihn etwas total anderes bedeutet als für mich. Das nahm ich mir zu Herzen. Heute ist ein Feedback von mir immer zuerst etwas Gutes, dann die verbesserungs­würdigen Sachen und am Schluss nochmals Lob.
CW: Bekamen Sie dafür auch mal Nachhilfeunterricht von Ihren Vorgesetzten?
Naef: Nein. Auf meiner Stufe wird das voraus­gesetzt. Mein Chef lobt übrigens auch nicht (lacht). Er ist wohl eher wie ich, das geht für mich aber total in Ordnung. Abgesehen davon macht es mir viel mehr Freude, wenn mich ein Mitarbeiter lobt, als wenn mein Chef das tut.
CW: Sie sind ein mehrfach ausgezeichneter Manager, u.a. wurden Sie kürzlich von der deutschen Fachpublikation CIO zum CIO des Jahrzehnts ernannt. Welche persönlichen Fähigkeiten brauchten Sie für Ihre Karriere?
Naef: Das ist eine schwierige Frage. Ich werde öfter von jüngeren Kollegen um ein Karriere-Coaching gebeten. Vor allem von Mitarbeitern aus Indien, die sehr karrieregetrieben sind. Ein indischer IT-Mitarbeiter hat klare Vorstellungen, wie seine Karriere aussehen muss.
CW: Und was empfehlen Sie diesen Leuten?
Naef: Ich gebe weniger praktische Tipps, sondern erzähle viel mehr von meiner persönlichen Philosophie.
CW: Also keine 10 Schritte zur perfekten Karriere?
Naef: Nein, ganz im Gegenteil. Schon die Planung einer Karriere ist meines Erachtens ein Fehler. Das tat ich nie – und es hat funktioniert. Mit einem Karriereplan trifft man seine Entscheidungen im Hinblick auf das persönliche Karriereziel und nicht, was das Beste für das Unternehmen ist. Das ist ein fundamentaler Fehler. Es ist im Voraus nicht klar, ob ein Ereignis für die eigene Karriere negativ ist. So war das Swissair-Grounding auf den ersten Blick für mich ein Unglück, weil ich meinen Job verloren habe (Patrick Naef war 1998 bis 2001 CIO der Swissair, Anm. d. Red.). Ohne das wäre ich aber heute nicht CIO der Emirates. Wer sich nicht auf einen Plan versteift, ist viel offener für die Möglichkeiten, die das Leben bietet. Das ist mein Tipp an alle, die Karriere machen wollen: Plant eure Karriere nicht und bleibt offen für Neues.
CW: Wenn Sie jetzt etwas zurückschauen: Was hat sich verändert in Ihrer Arbeit. War vor einigen Jahren beispielsweise der Kontakt zum Business noch weniger wichtig?
Naef: Er war nicht weniger wichtig, aber man hat ihn weniger wichtig genommen. Ich habe mich mal in einem Job völlig auf die IT konzent-riert und es verschlafen, mit dem Business zu kommunizieren. Im Endeffekt hatte ich das Business nicht hinter mir und bin gescheitert mit meinen Projekten.
CW: Wieder eine schmerzhafte Lektion?
Naef: Ja, sehr schmerzhaft. Ich pflege heute einen extrem guten Kontakt zu unseren Business-Units.
CW: Den brauchen Sie auch. Immerhin hat die IT-Abteilung der Emirates 152 weitere Fluggesellschaften als Kunden. Da gibt es sicherlich auch mal Diskussionen mit den Business-Units, warum die Konkurrenz ein bestimmtes System bekommt.
Naef: Das ist immer wieder ein Thema. Es gibt einerseits Bereiche, die nicht strategisch und damit unproblematisch sind. Beispielsweise das Revenue Accounting, wo wir mehr als 50 Kunden haben. Viele Airlines lagern diesen Bereich komplett an uns aus. Emirates will andererseits gewisse neue Systeme gar nicht zugänglich machen, weil sie einen Konkurrenzvorteil darstellen. Oft nutzen wir einen Wettbewerbsvorteil durch eine Neuentwicklung einige Zeit aus, danach kann ich mit dem System auf den Markt gehen.
CW: Entwickeln Sie auch im Auftrag anderer Airlines?
Naef: Nein, in der Regel nicht. Das Vorgehen ist eher opportunistisch: Wir entwickeln für Emi­rates und schauen dann, wo Potenzial im Markt besteht.
Zur Person Patrick Naef
Der gebürtige Schweizer ist CIO und Divi­sional Senior Vice President IT der Emirates Group sowie Geschäftsführer von Mercator, der IT-Tochter von Emirates. Naef ist Chef von rund 2500 IT-Mitarbeitern und verantwortet ein Budget von rund 220 Millionen Euro, plus 40 Millionen Euro für Investitionen. Sein Team betreut über 40 000 User direkt, hinzu kommen rund 18 000 Mitarbeiter in kürzlich akquirierten Firmen, die ihre IT teilweise noch selbst betreiben.



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