«Komplexität ist der Feind»

Änderungswünsche, Legacy und Modernisierungsprojekte

CW: Was würden Sie gerne ändern am heutigen System?
Crameri: Ich bin sicher nicht der Einzige, der in dem Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit steckt. Dies ist wohl eher ein Problem der modernen Technik – und damit unserer heutigen Zeit. Ein gutes Beispiel ist der Anmeldeprozess beim Online-Banking. Die Kunden müssen sich heute lange Zeichen­folgen merken, Spezial-Hardware verwenden oder QR-Codes mit dem Handy scannen. Dabei war uns schon vor Jahrzehnten versprochen worden, dass Biometrie demnächst marktreif ist. Sie ist es heute immer noch nicht – und wird es auch in den nächsten zwei, drei Jahren nicht sein. Den grössten Fortschritt habe ich bei der Stimmerkennung beobachtet. Sie funktioniert gut, allerdings auch nur im stillen Kämmerlein. Wer sich im Tram beim Online-Banking anmelden will und dabei von einer Durchsage gestört wird, dem wird vermutlich der Zugang verwehrt. Eben: das Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit.
Seit 2011 ist Mario Crameri Head IT der Credit Suisse in der Schweiz
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Wie geht die Credit Suisse mit der Legacy um? Welche Altsysteme laufen, welche sollen weiterbetrieben werden, welche migriert?
Crameri: Hier will ich gern die Gegenfrage stellen. Was ist Legacy? Jede Firma mit einer gewissen Grösse besitzt eine über Jahre gewachsene IT-Plattform. An irgendeiner Ecke muss diese Plattform immer erneuert werden. Selbst wenn ein Unternehmen die ganze Plattform austauscht, wird auch das neue System bald wieder zur Legacy. Die IT-Systeme einer Bank lassen sich gut mit einer Stadt vergleichen: Es gibt Bezirke wie die Altstadt mit einigen renovierungsbedürftigen Häusern und die hochmodernen Neubausiedlungen. In diesem Szenario lautet unsere Strategie: Managed Evolution. Gemeinsam mit dem Business evaluieren wir konti­nuierlich, welche Systeme erneuert oder angepasst, welche ausgebaut oder heruntergefahren werden können. Zusätzlich prüfen wir einmal jährlich, welche Bestandteile der Plattform renovationsbedürftig sind. Dabei erweisen sich die Applikationen als bemerkenswert robust, denn ein Modernisierungsbedarf hält sich in Grenzen.
“IT-Systeme einer Bank sind wie eine Stadt: Es gibt Alt- und Neubauten„
Mario Crameri
CW: Welches war Ihr letztes Modernisierungsprojekt?
Crameri: Unsere letzte grosse Renovation war das historisch gewachsene Payment-System. Hier gab es Applika­tionen, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden und das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hatten. Über die letzten vier Jahre haben wir die Legacy-Systeme abgelöst und arbeiten nun seit Ende des vergangenen Jahres auf einer hochmodernen Plattform, die aus meiner bescheidenen Sicht das beste Payment-System auf dem Schweizer Markt ist. Hier haben wir nun zehn bis 15 Jahre Ruhe, dann ist aber auch dieses System wieder Legacy. Bemerkenswerterweise interessieren sich mittlerweile auch Investoren und Kunden für die IT-Strategie. Die «Managed Evolution»-Strategie hat sich als der richtige Ansatz für die Credit Suisse erwiesen. Denn es gibt für unsere Struktur mit einer Universalbank über alle Kunden­segmente hinweg keine Gesamtlösung von der Stange.
CW: Was würden Sie am liebsten sofort abschalten oder ändern am aktuellen System?
Crameri: Mein grösster Feind ist die Komplexität. Damit meine ich nicht explizit die IT, sondern auch das Business. Aber: Die Komplexität ist keine Spezialität von Credit Suisse. Jedes Unternehmen mit einer gewissen Grösse und Geschäftshistorie hat gewachsene Prozesse und Strukturen, welche die Organisation auch träge machen. In den letzten Jahren haben wir in der IT aufgeräumt, zum Beispiel redundante Applikationen zurückgebaut. Dadurch konnten wir auch einiges an Kosten einsparen. Nun wollen wir gemeinsam mit dem Business das Portfolio entschlacken. Das Ziel sind weniger Produkte und schlankere Prozesse ohne viel Variation. Hier ist die IT der Initiator. Das Business muss aber letztendlich entscheiden, welche Erfordernisse das jeweilige Geschäft wirklich noch hat.
Zur Firma
Credit Suisse
wurde 1856 als Schwei­­ze­rische Kreditanstalt gegründet. Seit 1997 firmiert die Grossbank als Credit Suisse. Sie verfügt heute über Geschäftsaktivitäten in ca. 50 Ländern und über etwa 46'200 Mitarbeiter aus über 150 verschiedenen Nationen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich betreut Kunden in drei regionalen Divisionen (Swiss Universal Bank, International Wealth Management, Asia Pacific) sowie zwei auf Investment Banking spezialisierte Di­visionen (Global Markets und Investment Banking & Capital Markets).



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