Leiter IT & Operations Credit Suisse Schweiz 08.07.2019, 13:30 Uhr

«Komplexität ist der Feind»

Mario Crameri leitet bei Credit Suisse Schweiz IT und Operations. In beiden will er Komplexität reduzieren.
(Quelle: Samuel Trümpy)
Die IT der Credit Suisse Schweiz betreibt zentrale Informatiksysteme der Grossbank. Neben den Schweizer Finanzdienstleistungen werden auch globale Prozesse über die IT gebucht. Der Head IT & Operations der Schweizer Universalbank, Mario Crameri, verantwortet dabei sowohl den Betrieb als auch einen Teil des Business. Das Zusammenspiel beschäftigt ihn schon Jahrzehnte: Vor einer Dekade schrieb Crameri ein Buch über die Abstimmung zwischen IT und Business. Im Interview blickt er zurück und erklärt, wie er sein Konzept bei Credit Suisse Schweiz umgesetzt hat.
Computerworld: Vor fast zehn Jahren haben wir uns schon einmal über das Verhältnis zwischen Business und IT unterhalten. Was hat sich seitdem geändert?
Mario Crameri: Vor allem die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Ich will es an zwei Faktoren festmachen: erstens die agile Organisation. Wird das Konzept richtig umgesetzt, dann verschmelzen IT und Business. Wir haben in den vergangenen drei Jahren massiv an der Realisierung der agilen Projektorganisation gearbeitet. Mittlerweile sind wir sehr weit fortgeschritten, womit sich auch die Zu­sammenarbeit zwischen dem Business und der IT fundamental verbessert hat.
CW: Und der zweite Faktor?
Crameri: Im Zuge der Digitalisierung hat sich die Bedeutung der IT und ihre Wahrnehmung in der Bank auf allen Ebenen nochmal merklich verstärkt. Dadurch hat sich die Kooperation zwischen IT und Business intensiviert. Wir können es sogar an meiner Person festmachen: Ich darf seit drei Jahren neben der IT auch Operations leiten. In diesem Zeitraum haben wir ein Grossprojekt erfolgreich abgeschlossen: die Digitalisierung von Operations. Wir haben rund 200 bisher manuelle Prozesse komplett digi­talisiert. Die Abläufe kommen neu grösstenteils ohne Medienbrüche und Papier aus. Ein Beispiel ist die dritte Säule. Bis anhin mussten für das Eröffnen eines 3.-Säule-Vorsorgekontos viele Formulare ausgefüllt werden. Heute haben Kunden die Möglichkeit, einen Antrag direkt im Online-Banking auszufüllen – die Eröffnung erfolgt innerhalb weniger Minuten, vollautomatisiert und papierlos. Der grosse Unterschied zwischen den Digitalstrategien des Markts und der Credit Suisse ist die Durchgängigkeit. Wir halten nichts von der Strategie «Lipstick on a pig», die natürlich kurzfristig günstiger ist und viel schneller Ergebnisse liefert. Unsere Digitalisierungsprojekte werden wenn immer möglich Front-to-Back umgesetzt, sprich vom Kundenkontakt bis ins Verbuchungssystem. Eine Ausnahme ist, wenn die «letzte Meile» unverhältnismässig teuer werden würde. Dann helfen wir uns anderweitig.
CW: Sie waren vor zehn Jahren gerade wieder bei der Credit Suisse gestartet. Heute leiten Sie die IT der Swiss Universal Bank. Wie hat sich der Bereich verändert?
Crameri: Vor zehn Jahren war die IT der Credit Suisse eine globale Organisation. Alle Abteilungen haben an den globalen CIO rapportiert. Das hat sich mit dem Wechsel zum heutigen CEO geändert. Heute gibt es eine Organisation nach Divisionen, die alle eine eigene IT besitzen. Weiterhin global aufgestellt sind die IT-Infrastruktur und «Corporate Functions» wie zum Beispiel Risk, Finance und HR, die ihre Services einheitlich an die gesamte Gruppe liefern. Um sicherzustellen, dass der interne Austausch in der IT optimal funktioniert, rapportieren die divisionalen CIOs sowohl zum Business als auch an den Group CIO.
CW: Wie viele Mitarbeiter zählt Ihr Bereich?
Crameri: In der IT der Credit Suisse sind um die 18'000 Personen beschäftigt, die externen Mitarbeitenden mitgezählt.
CW: Sie haben das agile Vorgehen bei Projekten an­gesprochen. Setzen Sie nur noch auf agile Methoden?
Crameri: Nein, keinesfalls. Beim Projektstart prüfen wir die Methoden und wählen das jeweils adäquate Vorgehen aus. Denn: Nur weil Agilität aktuell in aller Munde ist, ist es ja nicht zwingend immer optimal. Unserer Erfahrung nach passen in 80 Prozent der Fälle die agilen Methoden. Aber zum Beispiel beim Umsetzen regulatorischer Anforderungen, bei denen feststeht, was bis wann erreicht werden muss, arbeiten wir im Wasserfall-Modell. Wer hingegen eine neue Bedienoberfläche programmieren will, bei der sich die Kundenanforderungen andauernd ändern, ist mit einem agilen Vorgehen besser beraten. Aktuell arbeiten wir in 75 Prozent der Projekte agil. Unser Ziel sind aktuell 80 Prozent.
CW: Gilt diese Vorgabe für die Schweizer IT oder die gesamte Informatik der Credit Suisse?
Crameri: Jede IT-Einheit in der Gruppe hat einen Fokus auf agile Projekte und eigene Ziele definiert. Wir arbeiten viel an den Frontends, die wie erwähnt prädestiniert sind für das agile Vorgehen. Auch haben wir früher mit den modernen Methoden begonnen, sodass der Prozentsatz in der Group-IT tiefer ist. Die Schweizer Organisation nimmt hier eine Vorreiterrolle ein.

Fachkräftemangel und andere Herausforderungen

CW: Wie alle anderen Unternehmen in der Schweiz sucht auch die Credit Suisse vermutlich Fachkräfte. Wie re­krutieren Sie neue IT-Mitarbeiter?
Crameri: Ja, leider sind wir in der gleichen Position wie alle anderen Schweizer Firmen. Es mangelt an Fachkräften. Zwar finden wir weiterhin gutes Personal, was mit unserem guten Ruf als Arbeitgeberin zu tun hat. Aber: Für die IT benötigen wir auch eine ganze Menge Leute. Der Fakt, dass die Konkurrenz auf dem einheimischen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren noch zugenommen hat, macht die Suche nicht einfacher. Allerdings verfolgen wir seit Jahren eine globale Workforce-Strategie – mit Betonung auf global. Wenn wir das Personal im Inland nicht bekommen, dann rekrutieren wir Fachleute auch ausserhalb der Schweiz. Zur Frage nach den Methoden will ich einerseits die Ausbildung anführen. Wir engagieren uns in den Schulen, um die Kinder oder Jugendlichen möglichst früh für die IT zu begeistern. An den Hochschulen und Universitäten sind wir natürlich ebenfalls präsent. Daneben spielen wir das gesamte Repertoire an Rekrutierungsmöglichkeiten: von der klassischen Anzeige über die Mitarbeiterempfehlung bis hin zum Personalberater.
CW: Wie hoch ist das IT-Budget der Credit Suisse? Wie verteilt sich das Geld auf den Betrieb und die Projekte?
Crameri: Das globale IT-Budget betrug im vergangenen Jahr ca. 2,8 Milliarden Franken. Das Verhältnis von «run the bank» und «change the bank» ist ausgeglichen. Bei beiden hat die Swiss Universal Bank einen stattlichen Anteil. In meiner Rolle als Head IT der Credit Suisse Schweiz verantworte ich auch den Betrieb der Swiss Banking IT Platform. Hier bucht die Schweizer Universalbank 100 Prozent des Geschäfts, das International Wealth Management sub­stanziell und auch Asien teilweise. Mein Bereich ist interner Dienstleister, der auch Plattformen für andere Divisionen betreibt – mehr als «nur» das Schweizer Geschäft.
CW: Würden Sie Ihre Abteilung eher als IT-Dienstleister oder eher als Business-Treiber positionieren?
Crameri: Beides. Jüngst haben wir für den COO-Bereich ein neues Vision Statement kreiert, das unsere Tätigkeiten gut zusammenfasst: «We run our bank and shape its future.» Hier spiegelt sich auch mein Rollenverständnis wider: Ich sehe meinen Bereich einerseits als Utility Provider, was ungefähr der Versorgung einer Stadt mit Gas, Strom oder Wasser entsprechen würde. Die grundlegenden Dienste müssen «einfach» funktionieren. Darauf aufbauend sind wir ein Business Shaper, der die Zukunft der Bank sichert.
CW: Wie viel Zeit an einem typischen Arbeitstag verbringen Sie mit Projekten? Und: Wie viel nimmt der Betrieb in Anspruch?
Crameri: Mein Arbeitstag ist dreigeteilt. Das erste Drittel sind Kunden-Meetings und die Teilnahme an Steering Komitees. Das zweite Drittel sind Gespräche und Interaktionen mit meinen Mitarbeitenden. Das letzte Drittel sind Strategie und Kommunikation mit diversen Stakeholdern. Um zu Ihrer Frage zu kommen: Der Run-Anteil ist relativ bescheiden. Ich fokussiere mich mehr auf den Change. Das Verhältnis würde ich mit 20 zu 80 beziffern.
CW: Wo sehen Sie aktuell die grösste Herausforderung für die IT der Credit Suisse Schweiz?
Crameri: Wir leben in einer sehr spannenden Zeit. Früher hatten wir jahrelange Projekte und haben zusätzlich die IT betrieben. Die Anforderungen an uns IT-Manager haben sich in den letzten zehn Jahren fundamental geändert: einerseits, wie wir Software entwickeln, andererseits, wie wir IT betreiben. Hier muss ich drei Schlagwörter nutzen: Agile, DevOps und Cloud. Diese drei Themen haben die Art und Weise, wie wir mit IT umgehen, grundlegend verändert. Aus den Komponenten ergibt sich für die IT eine mehrdimensionale Herausforderung: Erstens die Technologie, die heute handhabbar ist. Dann die Cloud, die entweder selbst aufgebaut oder von extern bezogen wird. Wenn dieser Entscheid gefallen ist, ist auch die Cloud machbar. Dann folgt allerdings die grösste Herausforderung: Die Mitarbeitenden mitnehmen auf die Reise in die neue Realität und sie befähigen, dass sie sich darin zurechtfinden.
“Die Anforderungen an IT-Manager waren vor 10 Jahren fundamental anders„
Mario Crameri
CW: Sind Sie persönlich betroffen von der Transformation oder treiben Sie die Veränderung aktiv?
Crameri: Ich treibe die Veränderung selbst und bin der interne «Sponsor». Wie eben erwähnt, haben wir während der vergangenen Jahre den Mitarbeitenden die agilen Methoden vermittelt, ihre Vorteile und auch ihre Nachteile. Hier haben wir schon einen sehr hohen Reifegrad erreicht. Während der letzten drei Jahre ist noch DevOps hinzugekommen, was ich verkürzt als die Automatisierung des Entwicklungsprozesses beschreiben würde. Seit dem vergangenen Jahr sind wir mit der Public Cloud beschäftigt, als letzten Schritt im Programm «IT Transformation».
Zur Person
Mario Crameri
ist seit 2011 Head IT der Credit Suisse in der Schweiz. Seit drei Jahren leitet er zusätzlich die Operations. Zwischen 2006 und 2010 war er für die Bank Julius Bär tätig, zuletzt als globaler Leiter IT. Davor war er schon einmal für Credit Suisse tätig, unter anderem in verschiedenen Führungspositionen im Bereich E-Business und in der IT-Division. Er stiess 1997 zur Bank. Der promovierte Informatiker führt einen Abschluss in Wirtschaftsinformatik von der Universität Zürich.

Credit Suisse und die Cloud

CW: Wie nehmen Sie Ihren Kollegen die Angst vor dem Job-Verlust durch die Cloud?
Crameri: Das ist nicht erforderlich, denn unser Cloud- App­roach betrifft in erster Linie die Art und Weise, wie wir Software entwickeln. Wir haben uns verabschiedet vom früheren Grundsatz, dass eine Grossbank alles intern programmieren muss. Bei neuen Anforderungen prüfen wir zunächst, was der Markt anbietet – seien es Tools, die wir integrieren können, oder Software as a Service.
CW: Ist die Public Cloud als Betriebsmodell denn überhaupt interessant für Credit Suisse?
Crameri: Prinzipiell natürlich schon. Die Public Cloud bietet dann Vorteile, wenn Ressourcen erforderlich sind, die sich inhouse nur mühsam aufbauen oder teuer unterhalten lassen. Beste Beispiele sind Analytics und Machine Lear­ning: Es ist nicht sinnvoll, dass jedes Unternehmen selbst Systeme für diese Anwendungen installiert. Dafür eignen sich Services aus der Public Cloud hervorragend. Entsprechend ist die Public Cloud auch ein Bestandteil der IT-Strategie von Credit Suisse. Dabei geht es weniger um das Einsparen von Hosting-Kosten als vielmehr das Nutzen neuer Services – für Business und wie erwähnt Entwicklung.
CW: Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit der Public Cloud der Datenstandort Schweiz für Credit Suisse?
Crameri: Das ist ein zentrales Kriterium! Deshalb arbeiten wir in diesem Bereich mit Microsoft, die ihre Cloud-Infrastruktur in die Schweiz bringen.
CW: Trotz der globalen Aktivitäten der Credit Suisse war der Datenstandort Schweiz entscheidend?
Crameri: Genau. Wir haben für die Schweizer Einheit einen Anbieter ausgewählt, der sowohl ein globales Offering hat als auch in der Schweiz zugegen ist – auch mit den Fail­­- over-Systemen. Andere Anbieter sind trotz einer starken globalen Präsenz schon in der ersten Runde ausgeschieden, weil ihnen die lokalen Ressourcen in der Schweiz fehlten.
Mario Crameri führt über 1000 Mitarbeitende
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Wie ist die IT-Organisation der Credit Suisse in der Schweiz aufgestellt?
Crameri: Die Abteilung ist auf dem obersten Level derzeit konventionell entlang der Business-Domänen aufgestellt: Eine Einheit kümmert sich um Channels, eine zweite um Back-Office-Applikationen, eine dritte um Produkte, eine vierte um Daten und so weiter. Daneben gibt es eine Architektureinheit sowie einen COO-Bereich. Unterhalb der höchsten Führungsebene wird aber schon in Squads agil gearbeitet. Entsprechend ist auch die Organisation nicht starr getrennt, sondern besteht aus gemischten Teams aus IT und Business.
CW: Wie führen Sie persönlich Ihre Leute? Bei Tausenden Personen dürfte es eine Herausforderung sein …
Crameri: Auch wenn mein Team in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen ist, weil ich die Verantwortung für zusätzliche Bereiche übernommen habe, war es stets mein Anliegen, so nahe wie möglich bei den Leuten zu sein. Dabei geht es mir vor allem darum zu signalisieren, dass ich ein offenes Ohr habe für alle Mitarbeitenden. Gleich­zeitig ermutige ich sie auch, Aufgaben selbstständig zu erledigen, was viel mit Vertrauen zu tun hat. Entsprechend kenne ich den Grossteil der Mitarbeitenden persönlich. Wie erwähnt verbringe ich ein Drittel meiner Arbeitszeit mit den Angestellten – sei es in Projekt- Meetings, sei es in Breakfast Sessions oder in Townhalls. Bei einigen Mitarbeitenden bin ich selbst als Coach aktiv, was eine spannende Aufgabe ist. Für mich ist es einerseits wichtig, dass ich meine Mit­arbeitenden kenne, sie mich andererseits aber auch einschätzen können: Wie ticke ich, was ist meine Strategie, stehe ich zu meinen Aussagen.

Digitale Transformation als Modebegriff

CW: Was bedeutet für Sie die digitale Transformation?
Crameri: Ich will gerne eine Bemerkung vorausschicken. Die digitale Transformation ist zu einem regelrechten Modebegriff verkommen. Alle Welt spricht darüber, aber keiner weiss genau, was tatsächlich damit gemeint ist. Nach meinem Verständnis ist die digitale Transformation eine vollkommene Neuausrichtung aller Services eines Unternehmens auf die Kundenbedürfnisse. Neu fokussiert sich die Bank auf die gesamte Customer Journey. Und diese wird dann dank digitaler Transformation optimal abgebildet. Für die Banken sehe ich ausserdem die Chance, ihre Produktportfolios und Prozesse zu entschlacken. Diese Entschlackung findet vor einer Digitalisierung statt. Produkte und Services werden dabei kritisch unter die Lupe genommen. Der «Lipstick on a pig» – quasi das Aufhübschen von Ladenhütern mit einer modernen Oberfläche – zählt für mich nicht zur digitalen Transformation.
CW: Adressieren Sie mit Ihren Ideen auch das Business?
Crameri: Wir haben uns eigens für die Digitalisierung intern neu aufgestellt: Das digitale Produktmanagement, die Kollegen aus dem Front Office und die IT sitzen regelmäs­sig zusammen, um über neue Produkte zu sprechen. Während die beiden Business-Einheiten vielmals Anwendungen vorschlagen, zeigen wir von der IT auf, wie wir diese bauen könnten. Manchmal kommen wir dann auf neue Möglichkeiten, wie man Anwendungen alternativ noch bauen könnte – oder welche anderen Anwendungen möglich wären. In diesem Kreis treiben wir uns gegenseitig an. Bei den Banking-Anwendungen beispielsweise für Analytics und Machine Learning kamen die Anregungen hauptsächlich aus der IT. Unserer Meinung nach schlummert hier noch ein riesiges Potenzial, bei dem die IT die Rolle übernehmen muss, die Technologie in entsprechende Business Cases zu übersetzen. Mittlerweile haben wir verschiedene Proof of Concepts schon umgesetzt.
CW: Welchen Anwendungsfall haben Sie umgesetzt?
Crameri: Da ich in der komfortablen Lage bin, sowohl die IT als auch eine Business-Einheit zu leiten, habe ich Machine Learning für eine Mid-Office-Funktion umgesetzt. Der Anwendungsfall sind Anfragen sowie auch Aufträge von Kundenberatern an das Back Office. Die internen Statistiken zeigen, dass über 50 Prozent lediglich Standardanfragen sind. Sie können mit Machine Learning problemlos automatisiert, effektiver und schneller beantwortet werden.
CW: Ist Ihr Team so etwas wie eine «Sandbox»?
Crameri: Diese Anwendung von Machine Learning ist mittlerweile schon mehr als eine Sandbox. Sie ist schon produktiv im Einsatz. Aber nach diesem Muster könnte es in Zukunft mehr Anwendungen geben, die zuerst von IT und Operations getestet und im Erfolgsfall unternehmensweit ausgerollt werden.
CW: Spricht schon der Computer von Credit Suisse mit dem Endkunden?
Crameri: Nein, auf die direkte Kunden­ansprache durch den Computer verzichten wir vorerst bewusst. Die Technologie kommt zurzeit noch ausschliesslich zur Unterstützung der Front-Mitarbeitenden zum Einsatz. Allerdings haben wir einen Chatbot, der die Kunden auf der Webseite begrüsst und ihnen Hilfe anbietet.
CW: Ist der Chatbot eine Eigenentwicklung von Credit Suisse?
Crameri: Nein. Das ist Standardtechnik.Hier folgen wir unserer Strategie: Wenn wir ein neues Projekt lancieren, prüfen wir zuerst, ob wir eine passende Lösung kaufen können. Wenn das nicht der Fall ist, sehen wir uns nach Partnern um oder evaluieren, ob ein passender Service verfügbar ist. Weiter achten wir auf offene Plattformen, um bei einem technologischen Wandel nicht an einen Anbieter gebunden zu sein. Unsere «Cognitive Intelligence Platform» ist beispielsweise Open Source, damit wir möglichst viel Flexibilität haben. Nur schon beim Natural Language Processing entwickelt sich die Technologie zurzeit so rasant weiter, dass wir nicht in einem System gefangen sein wollen. Wenn es eine bessere Lösung gibt, können wir das Modul einfach austauschen.
Mario Crameri hat ein Buch geschrieben über die Abstimmung zwischen IT und Business
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Credit Suisse war mit «DirectNet» ein Vorreiter im E-Banking. Sehen Sie die Bank noch immer vorn?
Crameri: An DirectNet erinnere ich mich sehr gut. Bei der Lancierung 1997 war ich allerdings noch nicht in der IT, sondern im Business. Beim DirectNet war die Credit Suisse die Vorreiterin in der Schweiz. Es war aber nicht das erste Mal. Auch das Telefon- oder das Auto-Banking hat zuerst die Credit Suisse lanciert. Die Services entsprachen den damaligen Kundenbedürfnissen und kamen gut an. Aber zurück zur Frage: Ich sehe die Credit Suisse auch heute noch in einer Spitzenposition bezüglich Innovation im Banking. Andere Banken haben – um es positiv zu sagen – mittlerweile massiv aufgeholt. Das will ich nicht verkennen. Weiterhin eine Führungsposition inne hat die Credit Suisse im Firmenkundengeschäft. Hier haben wir in den vergangenen zwei Jahren sehr viele neue Produkte lanciert, zum Beispiel das digitale Kunden-Onboarding für Firmenkunden, Online-Leasing oder Multibank Cash Management. Stark ist ebenfalls unser Angebot im Private Banking. Beim Retail Banking hatten wir einen gewissen Nachholbedarf. Unterdessen sind wir wieder ganz vorn mit dabei und werden unsere führende Stellung noch weiter stärken.
CW: Mit welchem Angebot sticht die Credit Suisse Ihrer Meinung nach besonders heraus?
Crameri: Aus der Vergangenheit besassen wir bereits ein sehr mächtiges Online-Banking. Über die letzten Jahre haben wir es geschafft, eine moderne, bedienerfreundliche und einfache Oberfläche zu entwickeln. Mittlerweile ist die grosse Mehrheit der Kunden sehr zufrieden, was heisst, dass wir einen guten Job gemacht haben.

Änderungswünsche, Legacy und Modernisierungsprojekte

CW: Was würden Sie gerne ändern am heutigen System?
Crameri: Ich bin sicher nicht der Einzige, der in dem Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit steckt. Dies ist wohl eher ein Problem der modernen Technik – und damit unserer heutigen Zeit. Ein gutes Beispiel ist der Anmeldeprozess beim Online-Banking. Die Kunden müssen sich heute lange Zeichen­folgen merken, Spezial-Hardware verwenden oder QR-Codes mit dem Handy scannen. Dabei war uns schon vor Jahrzehnten versprochen worden, dass Biometrie demnächst marktreif ist. Sie ist es heute immer noch nicht – und wird es auch in den nächsten zwei, drei Jahren nicht sein. Den grössten Fortschritt habe ich bei der Stimmerkennung beobachtet. Sie funktioniert gut, allerdings auch nur im stillen Kämmerlein. Wer sich im Tram beim Online-Banking anmelden will und dabei von einer Durchsage gestört wird, dem wird vermutlich der Zugang verwehrt. Eben: das Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit.
Seit 2011 ist Mario Crameri Head IT der Credit Suisse in der Schweiz
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Wie geht die Credit Suisse mit der Legacy um? Welche Altsysteme laufen, welche sollen weiterbetrieben werden, welche migriert?
Crameri: Hier will ich gern die Gegenfrage stellen. Was ist Legacy? Jede Firma mit einer gewissen Grösse besitzt eine über Jahre gewachsene IT-Plattform. An irgendeiner Ecke muss diese Plattform immer erneuert werden. Selbst wenn ein Unternehmen die ganze Plattform austauscht, wird auch das neue System bald wieder zur Legacy. Die IT-Systeme einer Bank lassen sich gut mit einer Stadt vergleichen: Es gibt Bezirke wie die Altstadt mit einigen renovierungsbedürftigen Häusern und die hochmodernen Neubausiedlungen. In diesem Szenario lautet unsere Strategie: Managed Evolution. Gemeinsam mit dem Business evaluieren wir konti­nuierlich, welche Systeme erneuert oder angepasst, welche ausgebaut oder heruntergefahren werden können. Zusätzlich prüfen wir einmal jährlich, welche Bestandteile der Plattform renovationsbedürftig sind. Dabei erweisen sich die Applikationen als bemerkenswert robust, denn ein Modernisierungsbedarf hält sich in Grenzen.
“IT-Systeme einer Bank sind wie eine Stadt: Es gibt Alt- und Neubauten„
Mario Crameri
CW: Welches war Ihr letztes Modernisierungsprojekt?
Crameri: Unsere letzte grosse Renovation war das historisch gewachsene Payment-System. Hier gab es Applika­tionen, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden und das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hatten. Über die letzten vier Jahre haben wir die Legacy-Systeme abgelöst und arbeiten nun seit Ende des vergangenen Jahres auf einer hochmodernen Plattform, die aus meiner bescheidenen Sicht das beste Payment-System auf dem Schweizer Markt ist. Hier haben wir nun zehn bis 15 Jahre Ruhe, dann ist aber auch dieses System wieder Legacy. Bemerkenswerterweise interessieren sich mittlerweile auch Investoren und Kunden für die IT-Strategie. Die «Managed Evolution»-Strategie hat sich als der richtige Ansatz für die Credit Suisse erwiesen. Denn es gibt für unsere Struktur mit einer Universalbank über alle Kunden­segmente hinweg keine Gesamtlösung von der Stange.
CW: Was würden Sie am liebsten sofort abschalten oder ändern am aktuellen System?
Crameri: Mein grösster Feind ist die Komplexität. Damit meine ich nicht explizit die IT, sondern auch das Business. Aber: Die Komplexität ist keine Spezialität von Credit Suisse. Jedes Unternehmen mit einer gewissen Grösse und Geschäftshistorie hat gewachsene Prozesse und Strukturen, welche die Organisation auch träge machen. In den letzten Jahren haben wir in der IT aufgeräumt, zum Beispiel redundante Applikationen zurückgebaut. Dadurch konnten wir auch einiges an Kosten einsparen. Nun wollen wir gemeinsam mit dem Business das Portfolio entschlacken. Das Ziel sind weniger Produkte und schlankere Prozesse ohne viel Variation. Hier ist die IT der Initiator. Das Business muss aber letztendlich entscheiden, welche Erfordernisse das jeweilige Geschäft wirklich noch hat.
Zur Firma
Credit Suisse
wurde 1856 als Schwei­­ze­rische Kreditanstalt gegründet. Seit 1997 firmiert die Grossbank als Credit Suisse. Sie verfügt heute über Geschäftsaktivitäten in ca. 50 Ländern und über etwa 46'200 Mitarbeiter aus über 150 verschiedenen Nationen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich betreut Kunden in drei regionalen Divisionen (Swiss Universal Bank, International Wealth Management, Asia Pacific) sowie zwei auf Investment Banking spezialisierte Di­visionen (Global Markets und Investment Banking & Capital Markets).



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