Stefano Camuso im Interview 15.05.2019, 10:37 Uhr

«Digitalisierung löst viel blinden Aktionismus aus»

Der Dienstleister T-Systems Schweiz schafft für Kunden zum Beispiel durch Outsourcing Freiräume für die digitale Transformation. Dafür hat Stefano Camuso zuerst intern aufgeräumt, wie er im Interview sagt.
Stefano Camuso hat bei T-Systems Schweiz eine neue Unternehmenskultur etabliert
(Quelle: T-Systems Schweiz)
Einem IT-Unternehmen geht es wie jedem Anwenderkonzern: Die digitale Transformation verändert vieles, wenn nicht sogar alles. Das hat T-Systems ebenfalls erfahren (müssen). Über Jahre gewachsene Prozesse und Strukturen waren Bremsklötze im Geschäft. Mittlerweile hat sich die Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom auch in der Schweiz neu aufgestellt, sagt Managing Director Stefano Camuso. Im Interview spricht er ausserdem davon, was unabdingbare Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wandel sind – und was Schweizer Unternehmen unbedingt vermeiden müssen.
Computerworld: Welche zwingenden Voraussetzungen sehen Sie für Digitalisierungsprojekte bei Kunden?
Stefano Camuso: Die wichtigste Voraussetzung sind klare Ziele. Denn das Thema Digitalisierung ist heute so omnipräsent, dass viele in blinden Aktionismus verfallen, nur, um irgendetwas zu tun. Dabei wird dann selten die Frage gestellt, welches Ziel mit einem Projekt tatsächlich verfolgt wird. Bei den Zielen geht es vornehmlich darum, ob das Unternehmen sein bestehendes Geschäftsmodell verändern, ein neues Geschäftsfeld erschliessen oder neue Zielgruppen gewinnen will. Im letzteren Fall wäre eine App zu einem Haushaltsgerät allenfalls ein passendes Ziel, denn die jüngeren Konsumenten würden einen Backofen womöglich nur noch dann kaufen, wenn sie ihn mit dem Smartphone fernsteuern können.
CW: Genügt eine App für die Digitalisierung?
Camuso: Eine App kann genügen, sie wird es aber in den wenigsten Fällen tun. Deshalb warne ich vor Scheuklappen bei der Zielfindung: Jedes Unternehmen muss bereit sein, sein heutiges Geschäft hypothetisch zur «Schlachtbank» zu führen. In dieser Bereitschaft sehe ich momentan die grösste Herausforderung in Digitalisierungsprojekten. Fehlt sie, denkt man nicht kontrovers genug, und so werden sowohl die Konkurrenten mit einer reinen Digitalstrategie als auch die digital gestarteten Wettbewerber immer im Vorteil sein. Natürlich erschliesst sich mir die Logik derjenigen Unternehmen, die sich der digitalen Transformation ihres Geschäftsmodells noch verweigern. Viele verdienen mit den traditionellen (manuellen) Prozessen noch sehr gutes Geld. Sie müssen nun ihre Cash Cow um der Digitalisierung Willen beschneiden. Denn: Wer zu lange zögert, kann den entscheidenden Zeitpunkt verpassen. Dann sinken die Einnahmen im bisherigen Geschäft, während die Konkurrenz mit den digitalen Angeboten die Zukunft für sich gewinnt.
CW: Können Sie ein Beispiel geben?
Camuso: Nehmen wir den Fotohandel. Früher haben die Geschäfte an Kameras, Objektiven, Filmen, der Entwicklung und dem Zubehör verdient. Mittlerweile gibt es für alle ehemaligen Monopolangebote eine (günstigere und komfortablere) Alternative. Kameras und Objektive kaufen wir online, Filme kaufen wir gar nicht mehr, statt der Film­entwicklung werden Fotos heute ausgedruckt. Die Foto­branche hat so gut wie alle Entwicklungen verschlafen. Nun steht sie vor dem Bankrott. Deshalb kann es über die Notwendigkeit der Digitalisierung keine Zweifel geben. Dafür muss auch das jahrzehntelang bewährte Business hinterfragt und allenfalls durch eine digitale Lösung ergänzt werden – sei es in einem Start-up oder einer Ausgründung. Wenn dann mit dem traditionellen Geschäft 100 Millionen verdient wird, mit dem neuen aber nur 50'000 Franken, benötigen beide Bereiche trotzdem Aufmerksamkeit. Oder es müssen Strukturen geschaffen werden, in denen sich auch das neue Geschäft entwickeln kann. Womöglich steckt im noch kleinen Business der Schlüssel, mit dem auch das bisherige Geschäft transformiert werden kann. Oder es wandelt sich zumindest zu einem lukrativen zweiten Standbein.
“Die Unternehmenskultur ist entscheidend bei der Digitalisierung„
Stefano Camuso
CW: Welche Hindernisse sehen Sie für die Digitalisierung: die Unternehmenskultur, die Mitarbeiter, die Kunden?
Camuso: Für eine Immobilienfirma ist die Lage für den Wert einer Liegenschaft entscheidend, bei der Digitalisierung ist es die Unternehmenskultur. Jede Firma ist geprägt von einer Kultur und ihren Mitarbeitern. Die Kultur prägt das Mindset und um die Firma in das «digitale Zeitalter» zu führen, muss sich das Mindset der Mitarbeiter ver­ändern. Je länger der Mitarbeiter im Unternehmen ist, desto ausgeprägter ist das «alte» Mindset und deshalb muss man als Unternehmung hier Zeit und Ressourcen investieren, um die Mitarbeiter mit auf den Weg zu nehmen. Denn nur wenn die Mitarbeiter den «digitalisierten Weg» mitgehen, kann es ein nachhaltiger Erfolg werden.
CW: Welche Verhaltensweisen der Angestellten haben Sie bei Kunden beobachtet?
Camuso: Eine Reaktion ist, dass sich die Mitarbeiter an bisherigen Prozessen und Systemen festhalten. Sie müssten aber lernen loszulassen und ihre Kenntnisse in die neuen Themen einzubringen. Denn nur so können sie einen Mehrwert generieren. Damit sie diese Chance sehen, müssen ihre Vorgesetzten ihnen das Vertrauen geben und sie ermutigen, sich aus der bisherigen Komfortzone he­rauszuwagen. Ohne dabei Befehle zu erteilen, denn das Festhalten an Hierarchien steht für vergangene Praktiken. Sie werden in der digitalen Welt nicht mehr funktionieren. Bei den Unternehmen ist ein ähnliches Umdenken erforderlich. Wenn einem IT-Mitarbeiter diktiert wird, dass er ab dem nächsten Monat nicht mehr für SAP zuständig ist, sondern beispielsweise für IoT, dann wird das zu Verunsicherung führen. Denn der Erfolg des Neuen ist noch ungewiss (zumindest im Gegensatz zum bisher Bekannten). Daher muss man die Mitarbeiter für das Neue gewinnen. Einige Unternehmen gewinnen gute Mitarbeiter für sich, weil sie eine weltbekannte Marke sind und auch den Mit­arbeitern zum Teil überdurchschnittliche Leistungen bieten können. Mittelständische Firmen haben das Problem, dass sie weder den Ruf eines Grosskonzerns haben noch bei den Benefits mithalten können. Deshalb muss ein solches Unternehmen mit einer anderen Arbeitsumgebung sowie Kultur glänzen und einen starken Fokus auf die Weiterentwicklung der bestehenden Mitarbeiter legen. Das zahlt dann auch in die Kultur der Unternehmung ein.
Zur Person
Stefano Camuso
leitet seit dem 1. Mai 2017 T-Systems Schweiz als Managing Director. Zuvor arbeitete er bei Avaya als Regional Sales Leader. Ab 2012 zeichnete Camuso für die Geschäfte von EMC in der Schweiz verantwortlich. Seine Laufbahn begann er vor über 20 Jahren als IT-Projektmanager unter anderem bei Digital Equipment und Softlab. Camuso studierte Business Administration in Bern und erlangte den EMBA an der Universität Fribourg.



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