24.11.2017, 11:18 Uhr
Die Zukunft gehört den autonomen digitalen Objekten
An der 20. Berner Tagung der ISSS und des ISB hat ETH-Professor und Kryptologie-Koryphäe Ueli Maurer Zukunftsszenarien entwickelt, in der eines gilt: der Verschlüsselung wird eine zentrale Rolle zukommen.
Sieht in der Zukunft autonome digitale Objekte, die über den Tod hinaus agieren werden: ETH-Informatikprofessor Ueli Maurer
Bereits zum 20. Mal trafen sich IT-Security-Spezialisten zur jährlich stattfindenden Berner Tagung für Informationssicherheit, die von der Information Security Society Switzerland (ISSS) und dem Informatiksteuerorgan des Bundes (ISB) veranstaltet wird. Ein guter Zeitpunkt, um einerseits die Errungenschaften und fortdauernden Probleme der IT-Sicherheit zu beleuchten, andererseits um Zukunftszenarien zu entwickeln. Unter dem Motto «Zurück in die Zukunft» schlitterten denn auch die Vortragenden auf der Zeitachse mal mehr in die eine oder andere Richtung.
Zukunftszenarien in Sachen IT-Security zeigte unter anderem Hauptredner Ueli Maurer auf, seines Zeichen Informatikprofessor an der ETH Zürich und nicht zu verwechseln mit dem Namensvetter, der im Bundesrat sitzt. Maurer kann mit Fug und Recht als Schweizer Kryptologie-Legende gelten. So half er bereits in den 1990er Jahren mit, die Exportbeschränkungen der USA in Sachen PGP-Verschlüsselung zu umgehen, indem kurzerhand der gedruckte Quelltext legal in Buchform exportiert und hierzulande eingescannt wurde. Der IT-Security-Veteran räumte denn auch zu Beginn ein, dass der Blick in die Zukunft ein schwieriges Unterfangen sei. Dies sei vor allem deshalb der Fall, «weil wir uns mitten in einer digitalen Explosion befinden und es unklar ist, wohin es uns schleudern wird», wie er zu Bedenken gab.
Digitale Objekte werden autonom
Generell mahnte Maurer an, die IT-Sicherheit nicht so sehr als Problem anzusehen, sondern vielmehr als «Enabler» wahrzunehmen. Gerade seine Disziplin, die Kryptografie, könne die Basis und eine Schlüsseltechnologie vieler zukünftiger Entwicklungen werden. Diese Zukunft sei – wie zu einem gewissen Teil schon die Gegenwart – von einem Paradigmenwechsel beherrscht, bei dem immer mehr physikalische Objekte durch digitale Objekte ersetzt werden. Letztere werden künftig autonomer agieren können, lautet eine der Zukunftsszenarien, die Maurer ausdrücklich als «Möglichkeit» aufzeigte. Als Beispiel führte er sogenannte «Smart Contracts» ins Feld, welche etwa eine Zahlung selbsttätig ausführen, wenn bestimmte zuvor definierte Kriterien erfüllt sind. «Steigt beispielsweise der Dollar auf einen bestimmten Kurswert, könnte ein solcher Smart Contract automatisch die Währung tauschen, und zwar selbst dann, wenn ich schlafe», führte Maurer aus. Solche Software-Agenten könnten dann so programmiert werden, dass sie ganz im Sinne des Users handeln. Die Auswirkungen solcher Programme könnten sogar über die Lebenszeit des Einzelnen hinausgehen. «Ich könnte also soweit gehen und Dinge programmieren, die nach meinem Tod geschehen sollen», stellt Maurer sich vor und bringt als Beispiel eine Testamentvollstreckung: «Ich könnte etwa bestimmen, dass mein Nachfahre das Erbe nicht auf einmal ausgezahlt bekommt, sondern als Rente erhält und die entsprechenden Zahlungsaufträge im Vorfeld definieren». Nächste Seite: Neue Rollen für Religion und Staat
Religiöse Vorstellungen werden tangiert
Diese «Programmierung über den Tod hinaus» könne sogar dazu führen, dass religiöse Vorstellungen tangiert würden. Menschen müssten die Seinfrage neu stellen. «Wir werden uns als Lebewesen definieren müssen, die zumindest digital über den Tod hinaus existieren», schlägt Maurer vor. Dies werfe einerseits traditionelle Vorstellungen und Konzepte vom Jenseits und Diesseits über den Haufen, führe andererseits zu einer ganz neuen Verantwortung und zu neuem Druck. «Ich muss über den Tod hinaus die Dinge richtig aufgesetzt haben, dass sie dann noch funktionieren», präzisiert er. Für Maurer ist zudem klar, dass das skizzierte Szenario der autonomen digitalen Objekte zu Gegenbewegungen führen wird. Wer ist für deren Agieren verantwortlich, wer wird bei Fehlverhalten bestraft, seien wichtige Fragen, die in Zukunft geklärt werden müssten. «Wir werden wahrscheinlich ganz zwangsläufig neue Arten von juristischen Personen sehen», folgert Maurer. Daneben würden ganz neue, flexible Methoden der Bezahlung entstehen, so der ETH-Professor weiter, wobei er heutige Kryptowährungen à la Bitcoin als Holzweg sieht, da deren Anonymität zu viel Missbrauch zulasse. Wohl eher würden sich Zahlungssysteme durchsetzten, die auf Konzepten basieren, wie er sie bereits mit den Smart Contracts präsentiert habe. In dieser Welt werde der Kryptographie, die Maurer als nach wie vor in den Kinderschuhen steckend bezeichnet, eine besonders wichtige Rolle zukommen müssen. Verschlüsselungsverfahren würden sogar in Anbetracht von Quantencomputern Bestand haben. «Wir werden in Zukunft Methoden etabliert haben, die auch von Quantencomputern nicht mehr brechbar sein werden», ist er überzeugt.
Wird es noch Staaten wie die Schweiz geben?
Schliesslich stellte sich Maurer die Frage, ob es in der Welt der digitalen Objekte noch Staaten wie die Schweiz geben werde. «Vielleicht sind dann Länder wie die Schweiz nicht mehr wichtig, sondern jene Entitäten, die die digitale Welt kontrollieren», so Maurer. Dies könnten etwa multinationale Konzerne sein. Jedenfalls werde es einen Kampf geben darüber, ob wir in dieser Welt die digitalen Objekte kontrollieren sollen und wer dies schlussendlich tun müsste. «Meine Befürchtung ist dabei, dass es diesen globalen Player gar nicht geben wird», so Maurer. Abschliessend meinte er, dass die digitale Explosion, in der wir uns befänden, zu Spannungen und Verwerfungen führen könnten, deren Ausmass er aber nicht vorherzusagen wage. «Ich würde mich in Aussagen verrennen, die dann an dieser Tagung in 20 Jahren zitiert würden, die aber so nicht eingetroffen sein werden», meinte er schmunzelnd.