24.05.2016, 11:30 Uhr
Steuerknatsch im Zürcher Start-up-Paradies
Start-ups im Kanton Zürich werden anders besteuert als etablierte Firmen. Unternehmen und Investoren drohen mit dem Wegzug. Die Finanzdirektion relativiert.
! KASTEN ! Per 1. Mrz 2016 hat die Finanzdirektion des Kantons entschieden, Start-ups anders zu besteuern als gestandene Unternehmen. Während bis anhin überall die Praktikermethode angewandt wurde, werden bei Start-ups ab dem sechsten Jahr Kapitalerhöhungen - zuvor ist es ein Mix aus Substanzwert und Investorenpreis - als Bewertungsgrundlage genommen. Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) wollte damit eigentlich erreichen, dass die Besteuerungen transparenter werden und Firmen und ihre Gründer in Zürich bleiben. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Diverse Start-up-Unternehmer liessen in den vergangenen Wochen verlauten, unter den neuen Bedingungen nur schwerlich in Zürich bleiben zu können. Mathias Haussmann, Gründer und CEOs des App-Entwicklers Uepaa: «Wir haben die Mitarbeiterbeteiligung gestoppt und prüfen, den Firmensitz zu verlegen.» Laurent Decrue, CEO der Umzugsplattform Movu äusserte in einem Interview mit «startwerk.ch» kürzlich denselben Gedanken: «Movu konnte letztes Jahr mit 300 Prozent wachsen. Wir wollen weiter stark wachsen und prüfen deshalb, den Firmensitz zu verlegen.» Über 80 Unternehmer und Investoren haben sich in einem Aufruf an Ernst Stocker gewandt mit der Bitte, die Änderung noch einmal zu überdenken. Sie monieren, dass ansonsten die anfallenden Vermögenssteuern in keinem Verhältnis zum realen Verdienst mehr stehen würden. Investition in die Zukunft Seit 2012 sehen Steuerbehörden dank der Unternehmenssteuerreform II, zu welchem Preis Investoren in Aktien eines Unternehmens investierten. Dies sei demnach, so argumentiert die Zürcher Steuerbehörde, auch der Verkehrswert, nach dem besteuert werden soll. Wenn aber investiert wird, geschieht das immer mit Blick in die Zukunft. Die Investoren glauben, dass ein Unternehmen irgendwann fünf, zehn Millionen Franken wert sein wird und investieren entsprechend schon heute, wo das Unternehmen vielleicht 20 000 Franken umsetzt. Erfüllen sich die Prognosen, erzielen sie Profit. Liegen sie falsch, erleiden sie Verluste. So funktioniert das System, Wetten werden stets auf die Zukunft und nicht die Gegenwart abgeschlossen. Das ist auch bei den Start-up-Gründern so. Die lassen sich in der Regel relativ geringe Löhne auszahlen und halten Aktienpakete, die meist erst bei einem Exit oder dem Börsengang eingelöst werden können. Potenziellen Investoren bietet das die Gewissheit für «langfristiges» Engagement und für die Jungunternehmer ist es ein Ansporn, täglich hart zu arbeiten. Auch die Mitarbeiter werden auf diese Weise geködert: eher tiefe Löhne mit der Möglichkeit auf einen riesigen Zahltag später. Bloss: vier von fünf Start-ups existieren einige Jahre nach der Gründung nicht mehr und von denen, die bleiben, werden auch nur die wenigsten wirklich gross. Den Gründern ist dieses Risiko bewusst, den Investoren auch. Nach dem Motto «steter Tropfen höhlt den Stein» hoffen sie, das nächste Uber, AirBnB oder Leonteq zu werden. Wenn sie nun in der Startphase aber bereits gebremst werden, sinkt dieser Enthusiasmus. Falls für die Besteuerung von Start-ups die Kapitalerhöhungen herhalten muss, müssen heute Steuern auf einen nicht reellen Wert gezahlt werden. Auf einen, der im Optimalfall erreicht werden kann, vielfach aber nicht, sagen die Gegner von Stockers Umsetzung. «Die Finanzdirektion hat sich mit niemandem abgesprochen», sagt die Zürcher Kantonsrätin Judith Bellaiche (glp). «Diese neue Besteuerung ist ein verehrendes Signal für den Standort Zürich. Man kann doch nicht auf der einen Seite Millionen in den Start-up-Standort Zürich stecken und andererseits die Jungfirmen mit solchen Massnahmen verscheuchen.» Zudem sei schon heute klar, dass damit nicht mehr Geld in die Kantonkasse fliesst. Weil die Änderung ein Alleingang des Steueramts war, hat Bellaiche diese Woche mit Kollegen eine Motion eingereicht und den Regierungsrat aufgefordert, die aktuelle Besteuerung den anderen Firmen anzupassen. Kapitalerhöhungen sollen weder den Zeitpunkt der Besteuerung bestimmen noch die Bemessungsgrundlage bilden. «Start-ups und ihre Gründer wollen und sollen Steuern zahlen. Eine Sonderbehandlung brauchen sie nicht.» Die Änderung sei nicht sonderlich schwer zu erreichen, glaubt Bellaiche. Die neue Praxis sei «lediglich Auslegungssache des Zürcher Steueramts und in keiner Weise zwingend, wie andere Kantone beweisen würden.» Gleichzeitig haben FDP, SVP und CVP ein dringliches Postulat mit ähnlichem Inhalt eingereicht. Dieses nimmt zuerst die Eidgenössische Steuerkonferenz in die Pflicht. Rechtliche Grundlage oder Auslegungssache? Die Eidgenössische Steuerkonferenz war es nämlich, die den Anstoss zur neuen Besteuerung gab. In einem Kreisschreiben hält die Steuerkonferenz fest: «Bei nichtkotierten Wertpapieren, für die keine Kursnotierungen bekannt sind, ist deren Verkehrs- wert nach den Bewertungsregeln der vorliegenden Wegleitung zu berechnen. Wenn jedoch für solche Titel eine massgeblich Handänderung unter unabhängigen Dritten stattgefunden hat, dann gilt als Verkehrswert der entsprechende Kaufpreis. Dieser Wert wird solange berücksichtigt, als sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nicht wesentlich verändert hat. Gleiches gilt für Preise, welche von Investoren anlässlich von Finanzierungsrunden bzw. Kapitalerhöhungen bezahlt wurden». In Zürich würde man die Regelung Start-up freundlich auslegen, sagte die Finanzdirektion letzte Woche. Das genannte Kreisschreiben ist aus dem Jahr 2006. Allerdings konnte der Verkehrswert der meisten Start-ups erst nach Umsetzung der Unternehmenssteuer II festgelegt werden, eben indem die Finanzierungsrunden als Anhaltspunkt genommen wurden. Ab 2012 besteuerte Zürich die ersten Start-ups nach der neuen Methode, was zu Kritik führte. Mit dem Entscheid vom März wollte das Steueramt den kritikern entgegenwirken und das Kreisschreiben «grosszügig interpretieren», indem der Verkehrswert in den ersten drei - fünf bei Bio- und Medtech-Unternehmen - nicht für die Besteuerung verwendet wird. Von der Steuerdirektion heisst es, dass man in Zürich damit mindestens gleich gute steuerliche Bedingungen für Start-ups schafft, wie es sie in anderen Kantonen gibt. Interne Umfragen hätten ergeben, dass man mit der jetzigen Methode ungefähr in der Mitte aller Kantone liegen und die gleiche Praxis wie beispielsweise Zug anwenden würde. Das könne man auch daran erkennen, dass der Zürcher Anteil an den in der Schweiz gegründeten Start-ups seit 2011 von 32 auf 49 Prozent stieg. Die Gegner sehen das anders, sie sprechen von einem Alleingang Zürichs, der den Limmatkanton zur Diaspora für Jungunternehmen machen könnte. Darauf erwidert die Finanzdirektion, Vertreter der Wirtschaft seien an der Ausarbeitung beteiligt gewesen und gemäss Aussagen der damaligen Arbeitsgruppe würde die neue Praxis für 90 Prozent der Start-ups Probleme lösen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: wenige Einsprachen Wenige Einsprachen ! TABELLE ! Quelle: Finanzdirektion Zürich Während die Einen befürchten, durch die neue Besteuerung viele Start-ups zu verlieren, relativieren die Anderen. Nur sechs Einsprachen zum Vermögenssteuerwert hätte es bislang gegeben, sagt die Finanzdirektion (vergleiche Tabelle oben). Bei 457 steuerlich bekannten Start-ups keine beunruhigende Quote. Der grösste Vermögenswert betrug dabei 3,4 Millionen Franken, worauf 14‘500 Franken Vermögenssteuer fällig wurden. Demgegenüber steht allerdings beispielsweise die Aussage von Jan Wurzbacher, Gründer von Climeworks: « Die Vermögenssteuer beläuft sich auf 50 Prozent von meinem Bruttolohn. Das ist untragbar, ich kann die Steuerrechnung mit meinem Einkommen schlichtweg nicht mehr bezahlen.» Die Gegner des Steueramts monieren zudem, dass ausserhalb Zürichs überhaupt keine Einsprachen zu diesemThema bekannt seien. Um hohe Vermögenssteuern zu vermeiden, bleibt den Gründern die Möglichkeit, Aktien zu Geschäftsvermögen zu erklären, rät das Steueramt. Dann würde man erst richtig zur Kasse gebeten, wenn das Unternehmen verkauft wird. «Das Ziel von Gründern ist ja nicht Steueroptimierung», entgegnet Stefan Steiner, Managing Director venturelab in der Deutschschweiz. «Wenn sie ihre Aktien ins Geschäftsvermögen einbringen, fehlt der Incentive, um das Unternehmen erfolgreich zu machen.» Stichtag 31.12.2016 Die Fronten sind also verhärtet. Beide Seiten denken, das Richtige zu tun. Wie es nun weitergeht, ist unklar. Die Motionsunterzeichner gehen davon aus, dass es sich bei der neuen Praxis um Auslegungssache handelt, die keine gesetzliche Grundlage hat und deshalb schnell geändert werden kann. Wer auf das Kreisschreiben pocht sagt aber, dass nur auf eidgenössischer Ebene eine Änderung erfolgen könnte. In Gesprächen mit Investoren und Gründern war herauszuhören, dass viele erst einmal abwarten, derzeit aber sehr zurückhaltend in Zürich operieren oder ausbauen. Stichtermin ist der 31. Dezember 2016. Wer an diesem Tag im Kanton Zürich wohnt, muss dort Vermögenssteuern entrichten. Gut möglich deshalb, dass eine Branche im Dezember die Umsätze sämtlicher Start-ups schlägt: Zügelunternehmen.