10.11.2008, 13:51 Uhr

Green IT im Datennetz

Wie im Haushalt sitzen auch in den Rechenzentren und Daten­netzen geheime Stromfresser. Intelligente Technologien senken den Stromverbrauch bis zur Hälfte.
Spätestens seit im Juli dieses Jahres der Preis für einen Liter bleifreies Benzin den der teuersten Bio-Milch überholte, werden wieder ein paar Menschen mehr den Durchschnittsverbrauch ihres Automobils hinterfragt und mit einem sparsameren Modell geliebäugelt haben. Und spätestens seit der diesjährigen Preisralley im Energiebereich ist Energiesparen - ob beim Auto, beim Heizöl oder beim Stromverbrauch - eines der Topthemen in den Medien, im Verein und am Stammtisch.
Dabei haben nicht nur Privatleute und das produzierende Gewerbe unter den hohen Energiekosten zu leiden. Auch die Unternehmen, die eine IT-Infrastruktur betreiben, müssen mit den steigenden Stromkosten fertig werden. Laut Bruce Taylor, Chief Analyst am amerikanischen Uptime Institute, haben sich die Kosten für den Bau eines neuen Rechenzentrums seit dem Jahr 2000 vervierfacht. Der grösste Teil entfällt dabei auf die benötigte Infrastruktur, um das Gebäude mit Strom zu versorgen und es zu kühlen. Doch wo können Unternehmen, abgesehen von einem energieeffizienten Gebäude und einer stromsparenden Beleuchtung, überhaupt noch an der Verbrauchsschraube drehen? Zum Beispiel bei der Beschaffung von «grünen» IT-Komponenten für ihr Netzwerk.

Heimliche Stromfresser

Switches im Kern, an den Aggregationspunkten und am Rande des Netzwerks laufen Tag und Nacht - und verbrauchen dabei Strom. Aber nicht jeder verbraucht gleich viel. So wie sich bei den beliebten Geländewagen manche Modelle mit acht Litern Diesel auf 100 Kilometer begnügen, während sich andere gerne mal 20 Liter oder mehr genehmigen, verhält es sich auch bei Netzwerk-Switches. Das fand die Tolly Group im März dieses Jahres in einem gross angelegten Vergleichstest heraus. Angetreten waren hier die Switches Catalyst 6509 von Cisco, BlackDiamond 8810 von Extreme Networks und der BigIron RX-16 von Foundry. Switches dieser Klasse kommen meist im Netzwerk-Core oder in Rechenzentren zum Einsatz.
Die Tester von Tolly fanden heraus, dass sich der Stromverbrauch der Geräte bereits im Ruhezustand ohne Line-Cards und ohne Datenverkehr bis um den Faktor 2,8 unterschied. So verlangte der BlackDiamond lediglich nach 219 Watt, während sich der Catalyst bereits 452 Watt genehmigte und der BigIron 617 Watt schluckte. Bei bidirektionalem Datenverkehr auf acht 10-GBit-Ethernet-Ports und 48 GBit-Ethernet-Ports brauchte das Gerät von Extreme Networks 535 Watt an Leistung, Foundry verlangte 1223 Watt und Cisco 1876 Watt. Der detaillierte Test mit weiteren Konfigurationen ist unter www.tolly.com zum Download verfügbar.

Folgekosten durch Abwärme

An diesen Ergebnissen zeigt sich, dass allein ein energieeffizientes Switch-Design deutlich Stromkosten sparen kann. Nicht vergessen sollte man zudem die Folgekosten, die ein höherer Stromhunger mit sich zieht. Denn da Switches im Betrieb entsprechend ihrer Leistungsaufnahme auch Abwärme produzieren, ist weiterer Energieeinsatz notwendig, um diese abzuleiten und das Gerät auf Betriebstemperatur herunterzukühlen.
Nur in den wenigsten Fällen wird die Abwärme dabei sinnvoll genutzt. Ein positives Beispiel setzt das Rechenzentrum der GIB-Services in der Gemeinde Uitikon, das mit seinen jährlich 2800 Megawattstunden an Abwärme bei Vollleistung das örtliche Hallenbad beheizt. Wer kein Schwimmbad mit Wärme versorgen kann, benötigt stattdessen stärkere Klimaanlagen im Rechenzentrum oder Verteilerschrank, was sich wiederum in höheren Anschaffungs- und Betriebskosten niederschlägt. Wenn ein unterbrechungsfreier IT-Betrieb gewährleistet werden soll, setzen sich die Folgekosten sogar noch weiter fort. Denn dann müssen nicht nur nachgeschaltete unterbrechungsfreie Stromversorgungen (die wiederum selbst Abwärme produzieren) höher dimensioniert werden, sondern auch die Notstromaggregate, die im Betrieb mehr Kraftstoff verbrauchen.
Weiteres Stromsparpotenzial entsteht, wenn Unternehmen ihr klassisches Three-Tier-Netzwerk auf zwei Ebenen reduzieren können. Dabei verschmilzt typischerweise die Access-Ebene mit dem Distribution Layer, was zu insgesamt weniger Switches und damit geringeren Gesamtkosten führt. Möglich wird dies durch die heute verfügbaren intelligenten Switches, die bei einer hohen Port-Dichte volle Bandbreite an jedem Port zur Verfügung stellen und dort intelligente Entscheidungen über die Behandlung des jeweiligen Datenverkehrs treffen können.

Schluckspecht Telefon

Doch nicht nur bei den Switches existieren deutliche Unterschiede bezüglich Stromhunger. Auch IP-Telefone genehmigen sich je nach Modell unterschiedlich viel Saft. Typischerweise versorgen Unternehmen heute IP-basierte Telefone über das Datennetzwerk mit Strom. Dazu müssen die Switches, an denen die Telefone angeschlossen sind, über Power-over-Ethernet (PoE) an ihren Ports verfügen. PoE eignet sich gleichermassen für den Anschluss von WLAN-Access-Points, da dort wie bei den Telefonen dann nur ein statt zwei Anschlusskabel nötig sind. PoE-Endgeräte gibt es wiederum in verschiedenen Leistungsklassen. So bedeutet die PoE-Klasse 2, dass ein entsprechendes Endgerät maximal 6,49 Watt an Leistung aufnimmt, während Klasse 3 für maximal 12,95 Watt steht. Durch die Auswahl entsprechend genügsamer Telefone der Klasse 2 lässt sich pro Gerät wieder etwas Strom sparen.

Standby ist teuer

Verborgene Stromfresser in vielen Haushalten sind Geräte der Unterhaltungselektronik wie Settop-Boxen für das digitale Fernsehen oder Hifi-Anlagen, die sich selbst im abgeschalteten Zustand noch bis zu 15 Watt genehmigen. Wer hier Strom sparen will, muss diese Geräte am besten über eine schaltbare Steckdose komplett vom Stromnetz trennen. Ähnliches gilt auch im Datennetz - insbesondere bei IP-Telefonen oder WLAN-Access-Points.
In einem typischen Büroszenario werden betriebsbereite Telefone zu den üblichen Bürozeiten benötigt. Nachts stehen sie ungenutzt im Standby auf den Schreibtischen - und verbrauchen Strom. Hier können intelligente Switches helfen, diese Verbraucher ausserhalb der Bürozeiten automatisch komplett von der Stromversorgung über PoE zu trennen. Dazu muss der jeweilige Switch über ein Betriebssystem verfügen, das automatische Zeit- und Skript-gesteuerte Aktionen an allen Switch-Ports ermöglicht und so beispielsweise ausgewählte Ports nur an definierten Tagen zu bestimmten Zeiten mit Strom versorgt. Im Fall von WLAN-Access-Points erhöht eine zeitgesteuerte automatische Abschaltung nicht benötigter Geräte zudem die Sicherheit. Denn Angreifer über drahtlose Netze lassen sich nicht von Mauern abhalten, wenn sie vor den Toren auf ihrem Laptop besten Netzempfang haben.

Gesamtrechnung

Kombiniert man die genannten Möglichkeiten, lässt sich je nach eingesetzten Produkten der Stromverbrauch eines konvergenten Sprach- und Datennetzes um knapp die Hälfte senken. Ein Beispiel für ein solches Netzwerk mit 2000 Benutzern findet sich im Kasten. Dabei nicht berücksichtigt sind die oben beschriebenen Folgekosten für Kühlung und Notstromversorgung.
Zum Autor: Jürgen Kirchmann ist Regional Director DACH bei Extreme Networks



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