15.08.2016, 13:35 Uhr
Drohnen-Pilot filmt AKW-Flug - und wird von allen Seiten kritisiert
Ein Drohnenpilot flog über das AKW Leibstadt, um auf Gesetzeslücken und mangelnde Transparenz aufmerksam zu machen. Die Drohnen-Gemeinde nimmt es ihm übel.
Das Kernkraftwerk Leibstadt, kurz KKL, befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Leibstadt (AG) am Rhein nahe der Aare-Mündung und der deutschen Grenze bei Waldshut-Tiengen. Es erzeugt ein Sechstel des in der Schweiz erzeugten Stroms und ist das jüngste Kernkraftwerk der Schweiz, aber auch schon über 30 Jahren in Betrieb. Und wie alle AKWs darum bemüht, möglichst nicht in die Schlagzeilen zu geraten. Jürg Knobel fand, dass das KKL durchaus in die Medien gehört. Also flog der Schweizer mit einer Drohne über das AKW und stellte den Film auf Youtube. Mit der Anmerkung: «Im Interesse der Öffentlichkeit, zum Polarisieren und Diskutieren.»
Polarisieren tut das Video mit Sicherheit, Knobel ging nämlich clever vor: einmal flog er über Leibstadt, als dem Kühlturm Wasserdampf entwich, einmal, als das AKW zwecks Revision vom Netz genommen wurde. Die Unterschiede in den Filmaufnahmen sind immens.
Polarisieren tut das Video mit Sicherheit, Knobel ging nämlich clever vor: einmal flog er über Leibstadt, als dem Kühlturm Wasserdampf entwich, einmal, als das AKW zwecks Revision vom Netz genommen wurde. Die Unterschiede in den Filmaufnahmen sind immens.
«Etwas aufschrecken»
Die Aktion erzürnte die KKL-Betreiber. Sie hätten den Überflug nie bewilligt, sagte eine Sprecherin in der Aargauer Zeitung. Die Aktion sei viel zu gefährlich gewesen. Der Wasserdampf hätte das Gerät zum Absturz bringen können, lautete die Befürchtung. Und damit entweder Menschen verletzen oder Materialschäden verursachen können. Auch die Hochspannungsleitungen, die die Anlage verlassen, seien ein Risiko. Allerdings, und dies ist nun der Teil der Diskussion, den Knobel sich wünscht, ist es in der Schweiz erlaubt, mit Drohnen über Kernkraftwerke zu fliegen. Im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich sind die Drohnengesetze eher lax, geschützt vor Drohnenüberflügen sind in der Schweiz militärische Anlagen, Menschenansammlungen, Flugplätze und die Privatsphäre. Ein AKW gehört in keine dieser Kategorien. Eine Tatsache, die Jürg Knobel stört. Im Telefongespräch mit der «Aargauer Zeitung» sagte er: «Ich wollte zum Nachdenken anregen darüber, wie einfach man mit einem solchen Fluggerät an Kernkraftanlagen herankommt. Etwas aufschrecken.»
Zorn von allen Seiten - Knobel ist's egal
Nicht aufgeschreckt, dafür verärgert hat Knobel die Drohnen-Gemeinde. Die Hobby-Flieger fühlen sich von Knobel hintergangen, werfen ihm rufschädigendes Verhalten vor. Vom «Schweizerischen Verband Ziviler Drohnen» erhielt Knobel einen Brief, der den 52-Jährigen über sein Fehlverhalten «aufklären» sollte. Auf Youtube waren die Reaktionen ähnlich kritisch, Knobel hat deswegen die Kommentar-Funktion deaktivieren lassen. Er habe herausfinden wollen, wie die Leute reagieren würden. Von der Resonanz sei er überrascht worden, sagte Knobel der «AZ». Knobel fhlt sich missverstanden. Er wolle doch nur die Öffentlichkeit vor möglichen Gefahren der Radioaktivität warnen, sagte er der «Aargauer Zeitung». Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat sei nämlich zu wenig transparent. So werde nicht offengelegt, wie hoch die radioaktive Belastung um die Kernkraftwerke ist. Das müsse sich ändern. Der 52-Jährige, der selber in der Nähe eines AKWs lebt, droht dem Bund: Sollten seine Begehren ignoriert werden, würde er in Kürze einen weiteren Flug wagen. Nach Publikation des Artikels meldete sich das ENSI bei uns und sagte, von einer entsprechenden Anfrage Jürg Knobels wisse man nicht. Ansonsten hätte man ihn gerne auf verschiedene Quellen hingewiesen, in denen die gewünschte Transparenz enthalten ist. Und tatsächlich, im Strahlenschutzbericht werden die Emmissionen im Detail aufgelistet. Unter anderem ist für das AKW Leibstadt (Seite 9) abzulesen, dass 2015 die höchste registrierte Jahresindividualdosis 10,0 Milisivert betrug. Erlaubt sind 20,0 mSv für beruflich strahlenexponierte Personen. Die sogenannte Jahreskollektivdosis betrug 1575 Personen-Milisievert. Zusätzlich weist das EMSI monatlich die Radioaktive Abgaben der schweizerischen Kernkraftwerke ber Abwasser aus und bietet mit dem sogenannten MADUK-System (Messnetz zur automatischen Dosisleistungsüberwachung in der Umgebung der Kernkraftwerke) ein der Öffentlichkeit zugängliches Online-Tool zur Messung der Dosisleistung in der Umgebung von Kraftwerken. Knobel hat das entweder nicht gewusst, weil es ihn nicht interessierte, oder er hat es absichtlich ignoriert. In jedem Fall scheint es, dass der Filmemacher hauptsächlich auf Publizität aus ist. Da diese hilft, die nötige Diskussion über Drohnen-Gesetze zu intensivieren, sei ihm die Plattform gegönnt.