Gastbeitrag 15.10.2021, 08:15 Uhr

Der tiefe Graben zwischen CEOs und CIOs

Die Top-300-Unternehmen der Schweiz müssen mehr für eine einheitliche und klare Vision zu digitalen Ökosystemen tun, wenn sie damit Wettbewerbsvorteile aufbauen wollen. Zwischen den Auffassungen von CEOs und CIOs herrschen aktuell zu grosse Meinungsverschiedenheiten.
(Quelle: shutterstock/Gorodenkoff)
Allgemein wird es anerkannt, dass das Management digitaler Ökosysteme von hoher strategischer Relevanz ist. Wie stehen jedoch spezifisch CEOs und CIOs zu diesem Thema? Die von der Unternehmensberatung Valion durchgeführte Umfrage untersuchte erstmalig diese Frage und deckte einen tiefen Graben zwischen CEOs und CIOs bezüglich des Reifegrades der Vision auf.
An der Befragung, die in dieser Form nach 2018 zum zweiten Mal durchgeführt wurde, haben zwischen Frühling und Sommer 2021 über 100 Führungskräfte der Top-300-Unternehmen aus der Schweiz teilgenommen.

Uneinigkeit zur strategischen Bedeutung

Starten wir mit einer zusammenfassenden Feststellung: 78 Prozent der Umfrageteilnehmenden attribuieren der strategischen Bedeutung von digitalen Ökosystemen für ihre Organisation eine hohe oder sehr hohe Bedeutung. Praktisch gleich viele wie in der Umfrage von 2018. In­teressanterweise messen jedoch nur 56 Prozent der CEOs dem Aufbau von digitalen Ökosystemen eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei.
Ganz anders sehen dies CIOs: Ausnahmslos alle teilnehmenden IT-Verantwortlichen attribuieren der strategischen Bedeutung eine hohe oder sehr hohe Bedeutung. Es erstaunt infolgedessen nicht, dass nur 39 Prozent der CEOs der Überzeugung sind, dass ihre Organisation eine einheitliche und zukunftsweisende Vision betreffend der Gestaltung digitaler Ökosysteme aufweist. Bei den CIOs sind es immerhin noch 55 Prozent. Es besteht somit deutlich «Luft nach oben» hinsichtlich Schärfung und des gemeinsamen Tragens der Vision für digitale Ökosysteme.

Umsetzungsgeschwindigkeit als Herausforderung

Die unterschiedliche Einschätzung der strategischen Bedeutung wirkt sich sowohl bei CEOs als auch bei CIOs auf die Zufriedenheit mit der Umsetzungsgeschwindigkeit von digitalen Ökosystemen aus. Nur gerade 4 Prozent der teilnehmenden CEOs sind zufrieden oder sehr zufrieden mit der Schnelligkeit der Implementierung. Bei den CIOs steigt der Prozentsatz immerhin auf 27 Prozent.
“Der Erfolg mit digitalen Ökosystemen hängt entscheidend von einem intensivierten Dialog auf Ebene der Geschäftsleitung ab„
André Bally und Dr. Marco Brogini
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich – getrieben durch die Meinung der CEOs – die (trügerische) Meinung zu festigen scheint, dass durch die Umsetzung von digitalen Ökosystemen viel Zeit und Geld gebunden wird und es gleichzeitig einen geringen Freiheitsgrad gibt, um Wettbewerbsvorteile im Sinne von «First Mover-Advantage» zu realisieren. Spannend ist die Frage, ob diese ernüchternde Einschätzung von fehlenden Business Cases, einem zu wenig ­ausgereiften technischen Verständnis für Digitalisierungsfragestellungen im Top-Management oder lähmenden ­Übersetzungsschwierigkeiten vom Konzept in die tech­nische Umsetzung ausgeht.

Der Durchschnitt ist gut genug

Somit scheint sich die «Smart Follower-Taktik» durchzusetzen, um erfolgreich auf den kommenden Wellen des technologischen Wandels zu «surfen». Dies belegen Antworten auf die Frage nach den Fähigkeiten der eigenen Organisation zur Einbindung von digitalen Services.
Trotz erkannter hoher Strategierelevanz begnügen sich die Geschäftsleitungsmitglieder grossmehrheitlich mit der Orientierung am Branchendurchschnitt (44 %). Dieser Anteil ist sogar gegenüber der Umfrage im Jahre 2018 um vier Prozentpunkte angestiegen. Lediglich 39 Prozent der Teilnehmenden geben an, dass ihre Organisation über bessere oder wesentlich bessere Fähigkeiten zur Einbindung von digitalen Services verfügt.

Persönliche Betroffenheit ist unterschiedlich hoch

Unterschiedliche Ansichten
Quelle: Valion
Die Minderheit der CEOs (43 %) stuft es für sich persönlich als wichtig oder sehr wichtig ein, einer Organisation an­zugehören, die als führend punkto Ausgestaltung des digitalen Ökosystems betrachtet wird. Deutlich anders stufen dies CIOs ein: Für die grosse Mehrheit von ihnen (91 %) ist dieser Aspekt wichtig oder sehr wichtig. Lässt sich davon ableiten, dass CEOs den wirtschaftlichen Erfolg auch ohne digitale Ökosysteme zu erreichen glauben oder ist dies eine Folge der Ernüchterung punkto Wirkung von digitalen Ökosystemen?

Klärung der Positionen ist wertstiftend

Unsere Ergebnisse zeigen auf, dass der Erfolg mit digitalen Ökosystemen entscheidend von einem intensivierten Dialog auf Ebene der Geschäftsleitung abhängt – mit dem Ziel, heute bestehende Lücken oder Meinungsverschiedenheiten zu schliessen. Insbesondere die unterschiedliche Haltung von CEOs und CIOs schlägt sich negativ auf die Ergebniswirkung nieder.
Zur Schärfung der Vision zu digitalen Ökosystemen empfehlen wir deshalb erstens eine verstärkte Einbindung sowie Zuteilung der Mitverantwortung der CIOs in die Geschäftsmodelldiskussionen. Und zweitens sollten sich CEOs verstärkt mit technologischen Aspekten von Geschäftsmodellen auseinandersetzen.
Die Autoren
v. l. n. r.: André Bally, Dr. Marco Brogini
Valion
André Bally ist als Senior Partner und GL-Mitglied der Valion tätig und verantwortet den Bereich IT-Consulting.
Dr. Marco Brogini ist CEO der Berner Unternehmensberatung Valion.



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