Interview Sascha Lioi 10.06.2020, 09:23 Uhr

«Eine Software genügt für die Digitalisierung nicht»

Ungeachtet der schwächelnden Konjunktur treiben Schweizer Firmen ihre Digitalisierungs-Projekte voran. Dabei genügt es nicht, einfach eine Software zu installieren, sagt itesys-Chef Sascha Lioi.
Sascha Lioi von itesys äussert seine Ansichten zur Digitalisierung
(Quelle: itesys)
Die Corona-Krise verleiht der Digitalisierung der Wirtschaft einen Schub. Könnte man meinen, wenn jedermann im Home Office arbeitet, Videokonferenzen zum Tagesgeschäft gehören und die Netzausfälle zur Schlagzeile des Tages avancieren. Das Business in den Schweizer Unternehmen ist digitaler als allgemeinhin bekannt, sagt Sascha Lioi im Interview mit Computerworld. Der Managing Director des IT-Dienstleisters itesys weiss aber auch, dass die Digitalisierung noch längst nicht geschafft ist.
Computerworld: Ist die Corona-Krise eher ein Turbo oder eher eine Bremse für die Digitalisierung?
Sascha Lioi: Für die Unternehmen, die geschwächt aus der Corona-Krise hervorgehen, wird es eine Bremse sein, da Kapital fehlen wird, um neue Projekte zu lancieren. Für die wenigen Gewinner kann die Krise aber zum Turbo avancieren, wenn sie es denn schaffen, die Geldflüsse, Gewinne und Reserven in nachhaltige Digitalisierungsprojekte zu investieren.
CW: Wer ist für Sie ein Paradebeispiel für Digitalisierung?
Lioi: Selbst, wenn ich kein Fan von Amazon bin, ist die Story dahinter unglaublich. Vor 20 Jahren hätte niemand gedacht, dass sich das Einkaufsverhalten dermassen verändern wird.
CW: Sehen Sie Vorreiter- und Nachzügler-Branchen bei der Digitalisierung?
Lioi: Vorreiter ist sicherlich die Unterhaltungsbranche – mit Streaming-Diensten für Musik, Videos usw. Im Konsumgüterbereich, der Tourismusbranche sowie dem Finanz- und Versicherungssektor konnte dank der Digitalisierung direkt Marktpotenzial ausgeschöpft werden. Auch im Logistikumfeld ist viel in Sachen Digitalisierung umgesetzt worden. Im Mittelfeld liegen naturgegeben die Branchen, die von Investitionsgütern abhängig sind und Nachzügler finden sich vermutlich im öffentlichen Bereich.
CW: Gibt es allenfalls Besonderheiten bei der Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft?
Lioi: Die Schweiz ist eine Nation von Denkern und Erfindern. Ich finde es bemerkenswert, dass unser kleines Land im internationalen Digitalisierungsvergleich vorne mithalten kann. Der fünfte Platz im «IMD World Digital Competitiveness Ranking» zeugt von anhaltendem Innovationsreichtum. Wir sollten alles daran setzten, diesen Spitzenplatz zu halten oder gar zu verbessern.
CW: Der Finanzsektor ist sehr bedeutsam für die Schweiz. Sehen Sie eine Gefahr wegen neuer Player? Welche Technologien erachten Sie als potenziell disruptiv?
Lioi: Ich bin kein Finanzbranchen-Experte. Allerdings ist es offensichtlich, dass die Finanzbranche in der Schweiz über Jahrzehnte hinweg monopolitisch verankert war. Neue Möglichkeiten wie Kryptowährungen, Online-Banken, Crowd-Funding-Plattformen oder Online-Hypothekenvermittler usw. krallen sich nun ein Stück des grossen Kuchens. Der Vorteil der «alten» Finanzunternehmen ist deren immenses Kapital, das Mittel respektive Möglichkeiten bietet, um sich an allfälligen disruptiven Geschäftsmodelle und Unternehmen im grossen Stil zu beteiligen.
Zur Person
Sascha Lioi
ist seit mehr als zwölf Jahren der Managing Director des IT-Dienstleisters itesys. Zuvor war er unter anderem als SAP Service Delivery Manager bei TDS Multivision und als SAP Basis Consultant bei Itelligence tätig. Seine Karriere startete Lioi 1997 ebenfalls als SAP Basis Consultant bei der damaligen Data Migration, heute Data Migration International.

Empfehlungen für Schweizer Firmen

CW: Genügt das Installieren einer Software oder Hardware für die Digitalisierung?
Lioi: Wenn man vielen Werbeslogans Glauben schenken will, dann könnte man das meinen. Software und Tools sind nur Mittel zum Zweck, sie helfen, bestimmte Vorhaben einfacher zu bewältigen. Sie sind aber nie Ersatz für durchgreifende Geschäftsmodelle. Wenn dem so wäre, würden Unternehmen keine Mitarbeiter mehr brauchen, sondern nur noch Software, die es schafft, selbständig eine Wertschöpfung zu generieren, dazu neue Ideen kreiert, den Markt auslotet und sich permanent rekonfiguriert, um die neuen Gegebenheiten zu meistern.
CW: Welche drei Empfehlungen geben Sie Schweizer Firmen, um in der digitalen Welt relevant zu bleiben?
Lioi: Erstens sollten sie eine Strategie ausarbeiten: Digitalisierung ist nur ein Buzzword und kein genereller Lösungsansatz. Damit die Digitalisierung von Unternehmen gelingt, braucht es eine klare Strategie.
Zweitens sollten die Firmen ihre Potenziale nutzen. Nur die Gaps aus der Vergangenheit zu schliessen reicht nicht aus, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich empfehle, den Blick mehr nach vorne zu richten.
Drittens müssen die Unternehmen Anschluss halten an den Markt. Denn jede Umstellung braucht Zeit. Wer morgen etwas verändern will oder muss, sollte sich heute darum bemühen. Zum einen fehlt es mehr und mehr an IT-Fachkräften und zum anderen fordern neue Technologien dazu auf, lieber früher als später über Veränderungen nachzudenken.
CW: Schliesslich: Welche Aufgabe übernimmt Ihr Unternehmen bei den Digitalprojekten Ihrer Kunden?
Lioi: Damit die Digitalisierung im SAP-Umfeld funktioniert, braucht es eine entsprechende technische Plattform und einen Partner, der mit den Herausforderungen der Kunden mithalten kann. Wir von itesys verstehen uns als Enabler der Digitalisierung – denn je einfacher es für den Anwender ist, desto komplexer ist es für uns.
Zur Firma
itesys
mit Hauptsitz in Frauenfeld TG und Niederlassungen in Deutschland, Neuseeland und Rumänien ist ein international tätiger IT-Betrieb. Gemäss eigenen Angaben ist das Unternehmen der grösste rein auf SAP Basis ausgerichtete Dienstleister in der Schweiz. Seit Gründung im Jahr 2003 wuchs die Firma auf bis heute 80 Angestellte. Durch die Übernahme von ITPS im Januar dieses Jahres kamen allein 20 Mitarbeiter hinzu.
www.itesys.ch



Das könnte Sie auch interessieren