28.03.2011, 06:00 Uhr

Nahkampf um die Top-Talente

Um sich die besten Fachkräfte zu angeln, werden Unternehmen immer kreativer. Sie kooperieren mit Hochschulen und veranstalten eigene, zum Teil recht abenteuerliche Events.
Auf der Suche nach klugen Köpfen, Foto: © .BJØRN. / Photocase.com
Gut ausgebildete Fachkräfte in den MINT-Fachgebieten (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) sind Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Wer heute sein Informatik- oder Ingenieursstudium erfolgreich beendet hat, kann sich im Heer der unzähligen Arbeitgeber die lukrativsten Jobs aussuchen. Im Kampf um die Arbeitselite von morgen gehen Unternehmen mittlerweile selbst an die Front, um die begabtesten Absolventen schon vor dem Abschluss zu rekrutieren. Denn die Schar der potenziellen Bewerber ist rar geworden. Die Methoden reichen von Kooperationen mit Hochschulen und Praktika im In- und Ausland über waghalsige Abenteuer-Events bis zur «Schleichwerbung» im Hörsaal.

Der frühe Vogel fängt den Wurm

«Internationale, finanzkräftige Grosskonzerne wie IBM, Microsoft oder Swiss RE – ob sie eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung haben oder nicht – fangen mit der Kontaktaufnahme schon recht früh an, weit vor dem Zeitpunkt, an dem sich Studierende mit dem Gedanken der Bewerbung beschäftigen», sagt Minh Tran, Kommunikationsleiterin des Informatik-Departements der ETH Zürich. Sie unterstützen die Forschung und verfügen sowohl über die finanzielle Stärke als auch über zeitlichen Ressourcen, den Nachwuchs gezielt zu fördern. Auf dieser Stufe finde der sogenannte War for Talents eher geräuschlos und zugleich global statt, so Tran. Hektisches, geräuschvolles «Guerilla Marketing» finde eher national respektive lokal statt. Chancen für Unternehmen, den Mitbewerbern einen Schritt voraus sein zu können, sieht Tran beispielsweise durch die Beteiligung an speziellen Programmen oder Stipendien, an der ETH etwa «Excellence Scholarship» oder das Forschungsförderungsprogramm «Pioneer Grant». «Auch im Thema Frauenförderung steckt noch viel Potenzial», ist Tran sicher. «Die Unternehmen neigen dazu, sich eher kurzfristig das zu holen, was sie brauchen, Spitzennachwuchs sollte aber auch gehegt und gepflegt werden – zum frühestmöglichen Zeitpunkt», empfiehlt Tran den Talentjägern. Ohne Risiken einzugehen und in Talente zu investieren, wird der Fachkräftemangel noch lange andauern. Die Kernfrage für die Unternehmen lautet: Wie viel Zeit und Geld sind sie bereit, für die besten Köpfe und damit für ihren eigenen Wettbewerbsvorteil schon vor dem Anwerben zu investieren? Neben dem Nahkampf im Hörsaal setzen die grossen Konzerne auf Programme für Werkstudenten und Praktikanten. IBM beispielsweise will heuer eine Afterwork-Party für Studierende organisieren. Ende Februar soll bei Big Blue eine Pilot­veranstaltung starten, wie Susan Orozco, Media & Analyst Relations bei IBM Switzerland, sagt. «IBM-Werkstudenten sind aufgefordert, ihre Kollegen aus Uni und Fachhochschule an die Afterwork-Party einzuladen, um in einer ungezwungenen Atmosphäre erste Kontakte zu knüpfen und aufzuzeigen, dass IBM nicht nur Informa­tiker beschäftigt, sondern noch ganz viele andere interessante Berufe anbietet», erklärt Orozco.

Fotoshooting und Luxusdinner

Auch die Universitäten tun ihrerseits jede Menge, um ihre Zöglinge an den bestmöglichen Arbeitgeber zu vermitteln. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) führt jedes Jahr den sogenannten Absolvententag durch. An der Job- und Hochschulmesse am 16. März werden wieder rund 100 Unternehmen teilnehmen. Als Vertreter der IT-Branche finden sich Namen wie Accenture, Crealogix, Elca Informatik, IBM, Namics, Siemens, Swisscom und Unic. Aber auch die grossen Banken und Ver­sicherungen, namhafte Unternehmensberater und Consulter oder beispielsweise die SBB finden sich auf der Teilnehmerliste wieder. «Um in Kontakt mit Kandidaten zu treten, sind wir an den relevanten Universitäten an Messen präsent und führen auch eigene Informationsveranstaltungen durch», erklärt Andreas Kern, Mediensprecher der UBS. Zudem wird die Bank ihr Graduate-Programm für Hochschulabgänger weiter ausbauen und plant, aufgrund der begrenzten Anzahl an Nachwuchs, künftig auch im grenz­nahen Ausland an Universitäten aktiv zu werden. Im Vorfeld des Absolvententags an der ZHAW werden Seminare angeboten, an denen interessierte Studenten erfahren, wie sie optimal vorbereitet in den Jobmarkt eintreten können oder welche Aussichten sie im Stellenmarkt haben. Wer wissen will, was ihn nach dem Studium erwartet, worauf es beispielsweise im Private Banking ankommt, was es mit Risikomanagement und IT-Consulting auf sich hat oder wie man internationale Wirtschaftskriminelle aufspürt, hat die Möglichkeit, während und nach der Messe an Workshops ausgesuchter Unternehmen teilzunehmen. Unter dem Schlagwort «Meet & Greet» veranstaltet der Hauptsponsor – in diesem Jahr die Credit Suisse – einen exklusiven Abend für ausgewählte Studenten. «Das Problem des IT-Fachkräftemangels können wir branchenweit nur gemeinsam nachhaltig lösen. Firmeneigene Massnahmen greifen da zu kurz, sind aber trotzdem nötig», weiss Claude Honegger, CIO Schweiz bei der Credit Suisse. «Darum werden wir unsere IT-Lehrstellen sowie die Einstiegsprogramme für Hochschulabsolventen in den nächsten drei Jahren kontinuierlich erhöhen.» Während des Studiums an der ZHAW finden zudem Besichtigungen und Praktika bei potenziellen Arbeit­gebern statt. An der School of Engineering der ZHAW werden am Ende des Studiums die jeweiligen Bachelor-Arbeiten ausgestellt und Firmen eingeladen, die sich dann die für sie passenden Rosinen herauspicken können.

Talentscouts gesucht

Einen etwas anderen Ansatz wählte der System­integrator T-Systems: Im Dezember 2010 startete das Unternehmen seine Kampagne «Talent­scout». Der Konzern suchte im Rahmen der Kampagne in der ganzen Schweiz nach Studenten, die als Bindeglied zwischen T-Systems und ihren Hochschulen und Universitäten agieren sollen. Motivierte, kommunikative und IT-affine Studierende sollen ab dem Frühjahrssemester als Botschafter für T-Systems fungieren und bei der Rekrutierung von Berufseinsteigern und Praktikanten helfen. Im Gegenzug erhalten die Talentscouts einen Einblick in die IT-Praxis, internationale Praktikumsmöglichkeiten innerhalb der Deutschen Telekom, zu der T-Systems gehört, sowie eine Einladung zu den Laboratorien der Deutschen Telekom in Berlin. Die Talentscouts sollen des Weiteren das vor einem Jahr ins Leben gerufene Programm «Take off! Trainee» an ihren Hochschulen promoten.
Die 2011er-Ausgabe des einjährigen Trainings ging im November letzten Jahres an den Start. Im Rahmen des Programms für Hochschul- und Fachhochschulabsolventen, das einen dreimonatigen Auslandsaufenthalt beinhaltet, erhofft sich T-Systems, neue Talente zu ködern und ans Unternehmen zu binden. Das Programm wird in den Bereichen ICT-Operations, Corporate Customers und Human Resources angeboten. Vier Trainee-Stellen wurden dieses Jahr vergeben. T-Systems nimmt zudem auch an internationalen Programmen der Deutschen Telekom wie «talents in touch» teil. Mitglieder erhalten so einen Blick über den Tellerrand und können bereits während des Studiums wichtige Kontakte mit ihrer künftigen Arbeitswelt knüpfen. Die Credit Suisse setzt auch auf die eigenen Leute, um neue Mitarbeiter zu gewinnen: Beim «Bring a Friend Barbeque» bringen junge Leute, die bei der Credit Suisse in einer IT-Ausbildung sind, je eine Kollegin oder einen Kollegen mit. Im lockeren Ambiente können die Gäste die besten Tipps und Tricks für Einstiegs- und Karrieremöglichkeiten besprechen. «Unsere IT-Mitarbeitenden sind die besten Botschafter, um neue Talente zu gewinnen», unterstreicht Honegger.

Schnitzeljagd und Karriereküche

Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG geht mit einer Ralley (Geo­caching) auf Talentjagd. Beim sogenannten KPMG-Race müssen die Teilnehmer mittels GPS-Koordinaten ihren Weg quer durch die USA finden. Acht Studenten werden in zwei Auswahlrunden im Vorfeld für die Reise ausgesucht. Nur die Besten der Besten dürfen über den grossen Teich reisen. Die Vorauswahl für die «Mission America» fand heuer in der Eifel statt. 40 Studentinnen und Studenten konnten sich im Januar für das Rennen qualifizieren. In verschiedenen Disziplinen mussten sie ihr Fachwissen und ihre Geschicklichkeit unter Beweis stellen. Die zwei besten Teams begeben sich nun vom 14. bis 23. März auf die interaktive Schnitzeljagd. In diesem Jahr hat es allerdings kein Schweizer Student geschafft. Das Consultant-Unternehmen wartet aber auch noch mit jeder Menge anderer verrückter Recruiting-Methoden auf, so zum Beispiel mit «KPMGs Karriere Küche». Unter dem Motto «Koch Dir eine Karriere» bot ein dreitägiger Workshop alles von Karrieremarktplatz bis Fallstudienbearbeitung inklusive abendlichem Kochkurs an.

Die Google-Methode

Auch Google arbeitet eng mit Hochschulen wie der ETH oder der EPFL zusammen. Google will mit dem Anita-Borg-Stipendium vor allem Frauen für ein Engagement in der Informatik motivieren. Anita Borg war eine US-amerikanische Informatikerin und Frauenrechtlerin. Bekannt wurde die Technologierebellin als Vor­reiterin des Cyberfeminismus. 1997 gründete sie das Institute für Woman and Technology (IWT). Jährlich wählt Google weltweit einige Studentinnen und Absolventinnen aus dem Bewerbungspool aus. Die Stipendien werden auf Grundlage der Stärken, Führungskompetenz und akademischen Hintergrund der Kandidatinnen vergeben. Die Stipendiaten erhalten zudem die Möglichkeit, Workshops und Breakout-Sessions bei Google zu besuchen. Mit dem Event «Zürich Open House» geht Google direkt eine bestimmte Community (z.B. im Bereich Software Engineering) an. «Wir laden eine gewisse Anzahl von Leuten für einen Tag zu uns ein, um sich mit uns auszutauschen und ihnen einen Einblick in die Welt von Google zu geben», erklärt Matthias Meyer, Corporate Communications & Public Affairs Manager. Am Zürich Open House erwarten die potenziellen Arbeitnehmer Reden und technische Demos zu Themen, an denen Google in Zürich gerade arbeitet, sowie ein Dinner. Ähnliches wird am «Zürich Social Dinner» im kleineren Rahmen geboten. Google unterstützt zudem auch junge Talente, die möglicherweise nicht die Möglichkeit für eine höhere Ausbildung haben. «Wir suchen Menschen, die mit Leidenschaft bei der Sache sind. Die in einer hierarchisch flachen Organisation in kleinen Teams arbeiten und in einem sich rasch verändernden Umfeld schnell reagieren können», sagt Randy Knaflic, Director of Recruiting and Outreach Programs bei Google. «Leute, die mit Flair und Kreativität Probleme angehen, die Ärmel hochkrempeln und das Unmögliche vollbringen.» Im Januar wurde deshalb erneut die Ausschreibung zur «Google Science Fair» lanciert. Im Rahmen des wissenschaft­lichen Wettbewerbs sucht Google weltweit unter Schülern zwischen 13 und 18 Jahren nach den Ingenieuren und Wissenschaftlern von morgen, die ab sofort ihre Projekte in 11 Kategorien, da­runter auch Informatik, einreichen können. Einen Einblick für den Nachwuchs in die vielseitige Welt der IT gab auch die Credit Suisse letzten November anlässlich der «i-days», der Eröffnung der i-factory im Verkehrshaus Luzern. Die permanente Ausstellung soll einen spielerisch interaktiven Zugang zur Welt der Informatik vermitteln und das bisher eher schlechte Bild vom Beruf des Informatikers zurechtrücken.



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