Wincasa-CIO 22.09.2016, 13:38 Uhr

«Wir lernen viel von Schweizer Start-ups»

Das Management von Häusern und Wohnungen ist ideal für Digitalisierungsprojekte. Wincasa will einer der Schweizer Vorreiter sein. CIO Sandro Pfammatter erklärt, warum.
Der Immobiliendienstleister Wincasa beansprucht eine Führungsrolle bei der Digitalisierung für sich. Das Unternehmen verfolge seine Digitalisierungsstrategie «konsequent» und treibe somit den digitalen Wandel der Immobilienbranche «massgebend» voran. Das hat Wincasa im April öffentlich erklärt. CIO Sandro Pfammatter führt im Interview aus, welche Rolle die IT bei der Digitalisierung spielt, wie er mit der Legacy umgeht und welche Projekte er noch gerne realisieren würde. Computerworld: Was bedeutet für Sie und Wincasa die digitale Transformation? Bitte definieren Sie. Sandro Pfammatter: Wir haben uns gerade intensiv mit dieser Fragestellung beschäftigt. Wir verstehen darunter den Change, den Wincasa aktiv durchführt, um den angestrebten digitalen Reifegrad zu erreichen. Dies wollen wir mit konsequenter Prozessautomation und neuen Business-Modellen vorantreiben, die auf moderner IT basieren. Für uns ist die digitale Transformation unabdingbar, um wettbewerbsfähig zu bleiben.  Wie hat Wincasa die «Herausforderungen der Digitalisierung in einer Gesamtstrategie fürs Unternehmen integriert und daraus die IT-Strategie abgeleitet», wie es in der offiziellen Kommunikation heisst?  Wir haben in einem ersten Schritt die bestehende Unternehmensstrategie mit Zielsetzungen der digitalen Transformation ergänzt. Ausserdem halfen Assessments, den aktuellen digitalen Reifegrad von Wincasa zu messen und den Handlungsbedarf zu bestimmen. Auf dieser Basis haben wir eine Governance und strategische Initiativen definiert. Das war eine wichtige Grundlage für die Informatikstrategie. Wie war der digitale Reifegrad initial und wie ist er heute?  Wir haben das Assessment erst gerade durchgeführt. Der Fortschritt lässt sich erst in ein paar Monaten sehen. Über alle Branchen gesehen liegen wir im Mittelfeld. In der Immobilienbranche nehmen wir aber eine Führungsrolle ein.  Was tut die Informatik heute, um die digitale Transformation zu unterstützen? Als CIO bin ich heute zuständig für die Umsetzung der digitalen Transformation. Dazu gehört insbesondere der Aufbau der entsprechenden Governance. Die IT schafft die notwendigen Rahmenbedingungen. Wir führen aber auch viele Projekte und übernehmen den Lead von der Konzeption bis zur Einführung. Nächste Seite: mehr Geld für die IT Die IT wird in Zeiten der Digitalisierung immer wichtiger. Bekommen Sie heute einfacher Geld für Informatik als auch schon? Wer entscheidet über Projekte? Grundsätzlich muss jedes Vorhaben wirtschaftlich sein, respektive eine strategische Bedeutung haben. Wenn diese nachweisbar ist und die Risiken abschätzbar sind, dann wird auch das Geld gesprochen. Die Anzahl an Projekten nimmt tendenziell zu, weil auch das Tempo zunimmt. Dies bedeutet natürlich auch, dass mehr Geld für die IT gesprochen wird. Über Projekte entscheidet bei uns das ICT-Board. Was hat es mit dem ICT-Board auf sich? Wie setzt es sich zusammen?  Das Board bildet ein wichtiges Element der IT-Strategie. Sie stellt sicher, dass die IT auf die Unternehmensansprüche ausgerichtet ist. Dazu braucht es eine Nähe zur Geschäftsleitung. Das Board besteht aus der Geschäftsleitung, der Leiterin Business Management, externen IT-Experten und mir als CIO. Das Gremium fällt strategische IT-Entscheide, setzt Prioritäten und verabschiedet Standards. Ausserdem setzt es sich mit der strategischen Planung (Ressourcen und Zeit) für die kommenden Monate und Jahre auseinander und steuert die Initiativen unternehmensweit. Können Sie bitte einige Eckdaten der IT-Strategie nennen? Gerne. Sie besteht aktuell aus sieben Initiativen: Erstens der Verankerung der IT-Governance durch Führungsinstrumente und Gremien, zweitens die Modernisierung der Infrastruktur und Umsetzung mobiler Anwendungen. Das Ziel, einen wichtigen USP auf dem Markt zu erhalten, wurde drittens durch die Weiterentwicklung Wincasa Q angestrebt. Viertens haben wir die Aufgabe, veraltete Systeme wie das Prozessmanagement sowie die Leistungs- und Zeiterfassung abzulösen. Damit einher ging fünftens die Konsolidierung von Insellösungen, zum Beispiel durch die Einführung eines übergreifenden CRMs. Sechstens haben wir diverse Systeme für das Wissensmanagement implementiert, darunter Abfragetools im Intranet, Dashboards und eLearning. Schliesslich wurde siebtens das Service Management professionalisiert, indem wir ITIL-basierte Prozesse und Tools etabliert haben.  Die Umsetzung der Strategie ist aber natürlich ein dynamischer Prozess und ist nie wirklich abgeschlossen. Wir beobachten laufend den Markt und passen unser Vorgehen entsprechend den aktuellen Entwicklungen an. Sie haben die Kernapplikation Wincasa Q erwähnt. Sie basiert auf der Branchenlösung REM, wenn ich richtig informiert bin. REM haben Sie ihren Marktbegleitern vor einigen Jahren abgekauft, nachdem es jahrelang gemeinschaftlich entwickelt wurde. Wäre ein Gemeinschaftssystem mit spezifischen Extensions für Wincasa nicht wirtschaftlicher gewesen? Sicherlich wäre die Weiterführung eines Gemeinschaftssystems rein aus Kostengründen vorteilhaft gewesen. Jedoch definiert sich Wirtschaftlichkeit bekanntlich nicht nur über die Kosten, sondern vielmehr über den Nutzen. Ich bin überzeugt, dass wir mittlerweile einen höheren Automatisierungsgrad erreichen und unseren Kunden aufgrund des erweiterten Funktionsumfangs einen grossen Mehrwert bieten können. Wincasa Q erlaubt heute mittlerweile auch das Verwalten von Stromzählern als Basis für Abrechnungen. Ausserdem haben wir an unternehmerischer Flexibilität dazugewonnen. Wir können heute schneller entscheiden und Software-Releases ausschliesslich auf unsere und die Bedürfnisse unserer Kunden ausrichten. Stichwort: Time to Market. Das wäre mit einem Gemeinschaftssystem nicht, respektive nur mit Einschränkungen möglich. Nächste Seite: Google und Start-ups als Vorbilder Wo würden Sie sagen, dass Wincasa IT-technisch besser aufgestellt ist als die Konkurrenz?  Wir haben bereits vor mehreren Jahren damit angefangen, die Digital Readiness des Unternehmens im Geschäftsmodell zu verankern. Darunter gehören die Professionalisierung der Governance, die Einführung eines Prozessmanagement-Systems, die Einführung des «Lean»-Gedankens und agilen Methoden. Aber auch die verstärkte Fokussierung auf Cloud, SOA und Web-Technologien, die Erhöhung der Mobilität und die Systematisierung von Trend Scouting. Wir haben dadurch bereits einen in unserer Branche sehr hohen digitalen Reifegrad erreicht.  Allerdings ist die Immobilienbranche bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Sparten allgemein etwas in Rückstand. Wir orientieren uns deshalb nun vermehrt an Digital Leaders aus anderen Branchen. Wer sind Ihre Vorbilder?  Die Geschäftsmodelle der «Giganten» wie Amazon und Google dienen sicherlich oft zur Orientierung. Aber wir lernen auch viel von Schweizer Start-ups wie der Putzkräfte-Vermittlung Batmaid oder dem Umzugsportal Movu. Vorbild sind aber oft weniger bestimmte Unternehmen, sondern erfolgreiche neue Ökosysteme, die im Rahmen der Digitalisierung entstehen. Wie wird die IT in Zukunft aussehen? Welchen Einfluss haben Themen wie Cloud, Big Data und Mobility für Wincasa? Die IT wird vermehrt die Rolle des Business Enablers übernehmen müssen. Dabei ist die enge Zusammenarbeit zwischen Business und IT entscheidend. Nebst einer guten Governance müssen künftig neue «Digital Skills» sowohl in der IT als auch im Business ausgebaut werden. Dafür wollen wir einerseits Know-how aufbauen, zum Beispiel durch das Schulen agiler Methoden wie Scrum. Andererseits werden wir auch Know-how einkaufen müssen, indem wir neue Stellenprofile definieren und die Positionen durch externe Spezialisten besetzen. Ein zweites wichtiges Merkmal der künftigen IT wird «Speed» werden. Nebst der «traditionellen» Informatik, die den Betrieb und die Weiterentwicklung der bestehenden Anwendungen sicherstellt, wird es vermehrt eine «agile» Informatik geben, die möglichst rasch neue Business-Ideen umsetzt – Stichwort: bimodale IT. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden Themen wie Cloud, Big Data und Mobility natürlich eine immer wichtigere Rolle spielen. Wir nutzen heute bereits diverse Cloud-Dienste. Das neue Mieterportal wird beispielsweise in dieser Microsoft-Cloud betrieben. Den SaaS-Dienst Sherpany nutzen wir fürs Sitzungsmanagement. Beide bieten viele Vorteile vor allem in Bezug auf Geschwindigkeit und Flexibilität. Welche Rolle spielt Big Data bei Wincasa?  Im Rahmen der Digitalisierung entstehen vermehrt Daten. Diese wollen wir nutzen, um unsere Kunden und Mieter besser zu bedienen und Prozesse weiter zu automatisieren. Und um unser Geschäft aus unternehmerischer und aus Kundenperspektive zu verbessern. Wie erwähnt haben wir begonnen, systematisch Energie-Verbrauchsdaten zu sammeln und für diverse Benchmarks werden Flächendaten von Liegenschaften ermittelt. Nächste Seite: Altlasten beseitigen und sparen Bei Wohnungsbesichtigungen sind die Mitarbeiter von Wincasa heute sicher mit Laptops oder gar Tablets unterwegs. Ja, Mobilität ist ein wichtiges Element der Digitalisierung. Wir haben erst kürzlich unsere Client-Infrastruktur erneuert, um mobile Anwendungen zu ermöglichen. So besitzen alle unsere Bewirtschafter heute ein hybrides Gerät, das als Tablet, als Ultrabook oder als normaler PC-Arbeitsplatz genutzt werden kann. Wie viele Mitarbeiter besitzen ein hybrides Gerät? Gibt es Neid bei denen, die einen normalen PC benutzen «müssen»? Etwas mehr als die Hälfte nutzen die hybriden Geräte. Der Anspruch wird über die Funktion bestimmt und ist somit klar geregelt. Selbstverständlich werden es einige Mitarbeiter als Statussymbol werten, andere fühlen sich ungerecht behandelt. Hier müssen die Führungspersonen aber ihre Aufgabe wahrnehmen und betriebswirtschaftlich argumentieren. Denn ein Hybridgerät kostet erheblich mehr als ein normaler Desktop. Gibt es weitere grössere IT-Projekte von Wincasa aktuell und in näherer Zukunft? Wir arbeiten intensiv an einer Web-App für unsere Wohnungsmieter. Sie dient als Informationsplattform mit Bedienungsanleitungen, Checklisten zur Wohnungsübergabe, Formularen, Grundrissplänen und so weiter. Ebenso können Anliegen deponiert oder Reparatur- sowie Schadenmeldungen abgesetzt werden. Der Status lässt sich anschliessend online nachverfolgen. Daneben werden Zusatzdienstleistungen rund ums Wohnen angeboten, bei denen Mieter exklusive Vorzugskonditionen haben: In einem ersten Release sind das Reinigungen und Umzüge. Wohnungsinteressenten bietet die App eine Objektsuche, eine Online-Terminanfragen und interaktive Bewerbungsformulare. Der Start ist noch für 2016 geplant. Ein anderes Projekt ist die Ablösung der veralteten Telefonlösung. Die bestehende Anlage ist End of Life. Wir haben die Chance genutzt und eine Lösung eingekauft, die unserer Digitalstrategie entspricht und geplante Projekte unterstützt. Das sind beispielsweise Call Centers oder Video Conferencing. Dafür setzen wir neu auf Unified Communications von Cisco. Die grösste Herausforderung ist die Planung und Umsetzung des Rollouts an den über 20 Standorten. Daneben müssen wir sicherstellen, dass die Mitarbeiter die neue Lösung auch effizient einsetzen können, zum Beispiel Funktionen wie Desktop Sharing. Ein grosser Benefit ist: Die neue Lösung kostet weniger als die bisherige. Nächste Seite: Blick in die Zukunft von Wincasa Gibt es neue Anwendungen für Ihre Mieter? Ja, die nähere Zukunft ist vor allem geprägt durch die neue Digitalstrategie. Wir werden unsere Web-App weiter ausbauen und neue Stakeholder bedienen, etwa Gewerbemieter oder auch Facility-Management-Dienstleister. Prozessautomation ist ein weiteres wichtiges Stichwort. So ist zum Beispiel die vollständige Digitalisierung von diversen heute papierbasierten Dossiers geplant. Wie wollen Sie die Papierdossiers digitalisieren?  Wichtigste Voraussetzung ist eine klare Vorstellung der Ist- und Soll-Prozesse. Heute werden in der Bewirtschaftung erstens Mieterdossiers und zweitens Liegenschaftsdossiers geführt. Beide bestehen teilweise aus mehreren physischen Ordnern mit einer Vielzahl von Registern. Jedes Dokument, das hier abgelegt wird, folgt einem Prozess.  Für die digitale Erfassung müssen zuerst die Prozesse analysiert und in einem zweiten Schritt die Soll-Prozesse definiert werden. Die Umsetzung der technischen Lösung ist dabei eher der einfachere Teil. Die Herausforderung liegt im Change Management, um die neuen Prozesse in der Organisation zu verankern.  Wenn Geld keine Rolle spielen würde, welche IT-Innovation würden Sie sofort vorantreiben?  Ich habe immer noch die Vision eines «paperpoor office». Davon spricht die Wirtschaft schon lange, doch nur ganz wenige haben diesen Schritt geschafft. Wir sind auf dem Weg, unter anderem mit der Digitalisierung des Kreditoren-Workflows sowie der Ablösung von Papier-Formularen für Übergabeprotokolle durch eine mobile Anwendung. Ausserdem ist die elektronische Bewerbung in der Umsetzung. Das tönt nach viel Arbeit für die IT. Wie viele Informatiker beschäftigt Wincasa? Die IT bei Wincasa hat aktuell 23 Angestellte. Sie sind in fünf Teams aufgeteilt: Der PC-Support stellt die erste Anlaufstelle für sämtliche Informatik-Anliegen dar. Das Team «Systems Engineering» betreut die Data Center und ist verantwortlich für die Performance, Sicherheit und Verfügbarkeit der technischen Infrastruktur. Die Entwicklung und der Betrieb von Reports und Schnittstellen für interne und externe Kunden ist im Verantwortungsbereich der Spezialisten für Datenmanagement. Das Team «Software Engineering» entwickelt auf Basis von .Net-Technologien Individuallösungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Kernanwendung Wincasa Q. Für die Digitalisierung ist das «Business Analyse»-Team zentral. Es bildet eine Brücke zwischen dem Geschäft und der Informatik. ! KASTEN ! ! KASTEN ! Wincasa Die Tochter der Immobilieninvestmentgesellschaft Swiss Prime Site bewirtschaftet in der Schweiz rund 220'000 Objekte mit einem Anlagewert von 59 Milliarden Franken. Das Portfolio enthält sowohl Büros und Verkaufsflächen als auch Wohnobjekte. Wincasa wurde 1999 als Aktiengesellschaft gegründet und beschäftigt am Hauptsitz in Winterthur sowie an schweizweit 24 Standorten rund 750 Angestellte.



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