Start-up-Steuer
28.06.2016, 18:25 Uhr
Jungunternehmen überlegen, Zürich zu verlassen
Eine Studie sagt, dass die Zürcher Start-up-Steuer über 1000 Jobs vernichtet. Die Zahl ist ziemlich überrissen - die Debatte ist dennoch frisch lanciert.
Seit der Kanton Zürich im Mrz die Start-up-Steuer einführte, hat sich in der normalerweise beschaulichen Szene ein Graben aufgetan. Auf der einen Seite steht die Finanzdirektion des Kantons, die Start-ups im Raum Zürich halten will und sie neuerdings deshalb nicht mehr wie gestandene Unternehmen nach der Praxismethode besteuert, sondern Kapitalerhöhungen als Bewertungsgrundlage nimmt. Für 90 Prozent der Start-ups würde die neue Besteuerungspraxis Probleme lösen, habe eine Arbeitsgruppe, in die Vertreter der Wirtschaft eingebunden waren, eruiert, lässt die Finanzdirektion verlauten. Dies wäre die beste Umsetzung einer Weisung der Eidgenssischen Steuerkonferenz, die schon vor zehn Jahren eingeführt, aber erst ab 2012 zur Anwendung kam. Dass die neue Besteuerung funktioniere, sehe man auch daran, dass der Zürcher Anteil an den in der Schweiz gegründeten Start-ups seit 2011 von 32 auf 49 Prozent stieg, argumentiert die Finanzdirektion. Damit stösst sie bei Start-up-Vertretern auf taube Ohren. Sie sprechen von einem Alleingang Zürichs, der den Limmatkanton zur Diaspora für Jungunternehmen machen könnte. Die neue Methode würde die Gründer und frühe Investoren in den Ruin treiben. Rund 80 Unternehmer haben sich an Finanzdirektor Ernst Stocker gewandt mit der Bitte, die Änderung noch einmal zu überdenken. Sie monieren, dass ansonsten die anfallenden Vermögenssteuern in keinem Verhältnis zum realen Verdienst mehr stehen würden. Und sie Zürich verlassen müssten. Stellvertretend dafür Laurent Decrue, CEO der Umzugsplattform Movu: «Movu konnte letztes Jahr mit 300 Prozent wachsen. Wir wollen weiter stark wachsen und prüfen deshalb, den Firmensitz zu verlegen.»
Macher vs Verwalter
Die Sympathien scheinen klar verteilt. Die jungen, dynamischen Macher gegen den Behördenapparat, der sich hinter einer Arbeitsgruppe und einem Stück Papier versteckt. Bisher war es aber nur die Zürcher Finanzdirektion, die Zahlen präsentierte. Von 457 steuerlich bekannten Start-ups im Kanton hätten nur sechs Einsprachen zum Vermögenssteuerwert vorgebracht. Die Start-up-Community hatte also die kernigen Sprüche auf ihrer Seite, die Finanzdirektion die Statistik. Das Startup-Förderprprogramm venturelab wollte es deshalb genau wissen und führte eine Studie durch, um die Konsequenzen der neuen Zürcher Steuerpraxis auf die besten Startups zu untersuchen: 61 Start-ups mit «signifikanten Finanzierungsrunden» seien befragt worden, darunter bekannte Namen wie Dacuda oder Starmind. Das Ergebnis ist eindrücklich: 85 Prozent der Befragten ziehen einen Umzug in Betracht. Während 33 Prozent Ausschau nach einem Standort in einem anderen Kanton halten, wollen 37 Prozent die Schweiz verlassen. Die Restlichen wissen, dass sie gehen wollen, aber nicht, wohin. Zusätzlich sagen 20 Prozent befragten Startups, dass die Finanzierung durch Business Angels aufgrund der neuen Steuer-Praxis im Kanton Zürich nahezu unmöglich wird. 70 Prozent gehen davon aus, dass Fundraising wesentlich schwieriger wird als bislang.
Überflüssige Propaganda
Auch wenn die Venturelab-Studie viel zu einseitig ist ? es wird von der Vernichtung von über 1000 Jobs gesprochen, was aber nur der Fall wäre, wenn sämtliche 61 Unternehmen Zürich tatsächlich verlassen ? sind die Zahlen alarmierend. Olga Peters, Mitgründer und CFO des Sortierungsgeräteherstellers Qualysense, sagt: «We should move our company before the next financing round to another canton with the business encouraging practice, otherwise we will only work to pay our taxes and won't even have enough money for that. This practice is scaring away the emerging entrepreneurs.» Es scheint klar, dass dem Kanton mit Beibehaltung der neuen Methode Steuereinnahmen entgehen. Auch wenn das Steueramt den Gründern rät, Aktien zu Geschäftsvermögen zu erklären, um erst im Verkaufsfall zahlen zu müssen. Das Argument von Stefan Steiner, Managing Director venturelab in der Deutschschweiz, wirkt da aber stärker: «Das Ziel von Gründern ist ja nicht Steueroptimierung». Wenn sie ihre Aktien ins Geschäftsvermögen einbringen, fehlt der Incentive, um das Unternehmen erfolgreich zu machen.»
Stichtag 31.12.2016
Doch die Finanzdirektion kann, auch wenn sie wollte, die neue Steuerpraxis nicht rückgängig machen. Sie beharrt auf dem Standpunkt, dass nur auf eidgenössischer Ebene eine Änderung erfolgen könnte. Die Gegner behaupten hingegen, die neue Praxis sei Auslegungssache und könne ohne Probleme geändert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Zürcher Steueramt durch die neue Studie etwas ändern wird. In Ernst Stockers Gremium ist man überzeugt, das Richtige zu tun. Zudem ist die Studie hypothetisch, die Fragestellung lautet, ob man in Betracht ziehe, Zürich zu verlassen. Nicht, ob man sicher wegzieht. Trotzdem haben die Start-ups und ihre Fürsprecher nun auch handfeste Argumente zur Hand. Da die Diskussion noch intensiv weitergeführt werden dürfte, kein unwichtiges Detail. Übrigens: Stichtermin ist der 31. Dezember 2016. Wer an diesem Tag im Kanton Zürich wohnt, muss dort Vermögenssteuern entrichten. Dann wird man sehen, ob sich die Zürcher Steuerbehörde verkalkuliert hat. Oder die Start-ups doch mehr reden als handeln.