Netflix vs. Swisscom
22.03.2016, 09:55 Uhr
Es geht um viel mehr, als stockende Übertragungen. Es geht um die Dominanz im Internet.
Swisscom hat ein Problem: Sie kann ihren Kunden schlechteren Netflix-Empfang bieten als die Konkurrenz. Die technische Lösung wäre einfach. Allerdings würde Swisscom damit ein lukratives Geschäftsmodell aufgeben.
Update: Swisscom hat mit Netflix kurz nach Erscheinen dieses Artikels einen Peering-Vertrag unterzeichnet. Lesen Sie alles darber exklusiv hier. Originaler Artikel: Seit Monaten beklagen sich Swisscom-KundenNutzer, Netflix in schlechter Qualität zu empfangen. Mit Recht, wie die monatlich publizierten Traffic-Werte von Netflix zeigen. Swisscom bietet zu Peakzeiten die durchschnittlich langsamsten Bandbreiten für Netflix an. Im Vergleich mit anderen Ländern sind 3.2 Mbit/s zwar gut, den Branchenkrösus national an letzter Stelle zu sehen, ist aber ein ungewohntes Bild. Zudem ist das zu wenig Bandbreite, wie der Blog isp-blog.ch schreibt. Ein guter HD-Stream benötige ungefähr 5 MBit/s, ein Ultra-HD-Stream 15Mbit/s. Wie kann es sein, dass der grösste Provider am meisten Mühe hat, genügend Bandbreite bereitzustellen? Die einfachste Antwort: Profitgier. Swisscom könnte ohne Weiteres für besseren Netflix-Empfang sorgen. Sie müssten einfach Cache-Server in ihren Rechenzentren aufstellen und hätte eine direkte Verbindung mit Netflix. Das sogenannte OpenConnect Programm ist genau dazu da. Netflix stellt die benötigte Anzahl Server zur Verfügung, der Provider gibt IP-Adressen an, integriert die Server im Backbone, bezahlt Rackplätze sowie den Strom. Geld fliesst keines, aber alle gewinnen. Trotzdem hat sich Swisscom gegen diese Lösung entschieden. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Kosten für die Betreibung der Server viel teurer wären als die Bereitstellung. Der wahre Grund ist allerdings ein anderer: Swisscom will nicht, dass ein Content-Provider Bedingungen diktieren kann. Würde Swisscom auf das Angebot einsteigen, würden sämtliche anderen OTT-Anbieter wie Wilmaa oder Zattoo ebenfalls auf Peering-Verträge pochen und Swisscom viel Geld verlieren. Stockender Transitverkehr Weil man den Kunden Netflix anbieten möchte, nutzt Swisscom statt Peering Drittanbieter via dem sogenannten Transitverkehr. In dem Fall kauft der Content-Anbieter (Netflix) Bandbreite beim Transit-Anbieter, der die Daten wiederum an den Internet Provider (Swisscom) weiterleitet. Bei Swisscom war der Transitanbieter von Netflix lange Zeit die Deutsche Telekom. Da lief Netflix fast beschwerdefrei. Doch seit sich Netflix entschloss, zu Level 3 und Cogent zu wechseln, mehren sich die Probleme von Swisscom. Vielleicht zahlt Netflix Level 3 und Cogent weniger, vielleicht haben sie anderweitige Interessen. Fakt ist, dass der Swisscom-Kunde seither weniger Vergnügen beim Netflix-Schauen hat. «Wir verstehen die enttäuschten Kunden», sagt Armin Schädeli, Pressesprecher von Swisscom, auf Nachfrage. «Das ist auch für uns eine unangenehme Entwicklung.» Man hätte deshalb Verhandlungen mit Netflix intensiviert, beharre aber auf dem Standpunkt, Netflix nicht besser zu behandeln als andere: «Natürlich ist das ein Geschäftsmodell. Wir wollen nicht von unserer Praxis abweichen», sagt Schädeli. Hinzu komme, dass man am Beispiel der deutschen Telekom gesehen habe, dass es für gute Qualität kein Peering brauche. «Netflix hätte die Möglichkeit, andere Transitanbieter zu benutzen oder die Kapazität zu erhöhen. Sie müssen ja auch ein Interesse daran haben, dass ihr kostenpflichtiger Dienst ruckelfrei läuft. Wir sind deshalb optimistisch, mit Netflix eine Lösung zu finden.» Wann dies ist, kann Schädeli nicht sagen. Sicher aber «zeitnah.» «Das ist kein Zustand, der für unsere Kunden zumutbar ist». Swisscom hat es in der Hand, Taten folgen zu lassen: Sie müssten lediglich auf Netflix zugehen und den Peering-Vertrag aushandeln. Geschäftsmodell in Frage gestellt Würde es nur um dieses Geschäft gehen, Swisscom würde sofort zuschlagen. Negative Presse und Kundenrückgang wiegen über Zeit deutlich schwerer als ein paar hunderttausend Franken Mehrkosten für die Cache-Server. Bei dem Fall geht es aber um viel mehr, es geht um die Dominanz im Internet: Bislang verlangten die Internet-Provider Geld von den Content-Anbietern für die direkte Verbindung zum Kunden. Denen blieb nichts übrig als zu zahlen - entweder den Telko oder einen Transitanbieter - , weil sie nicht direkt zum Endkunden kamen (siehe Grafik oben). Ausnahme ist, wenn die Gegenpartei nicht mehr als die doppelte Anzahl Daten an Swisscom liefert als sie erhält. Das ist für OTT-Anbieter wie Netflix, Wilmaa oder Zattoo komplett unrealistisch, weil der Endkunde viel mehr Netflix-Inhalt konsumiert als er sendet. Lange wurde diese Regelung aufrecht erhalten und brachte Befrworter der Netzneutralitt zum Schumen. Doch die Machtverhältnisse haben sich geändert: Schneller Internetzugang wird Gattungsware, der Inhalt dagegen immer wichtiger. Swisscom selbst ist das bewusst, wie Abkommen mit Teleclub zeigen. Dank eines wesentlich besseren Teleclub-Sportprogramms als das der nationalen Konkurrenz punktet man beim Endkunden. Wenn aber Netflix ein ähnliches Spiel treiben würde und beschliesst, keine Dienste mehr bei Swisscom anzubieten, würden die Kunden vielleicht auch wechseln. Swisscom muss also Netflix bei Laune halten. Noch vor drei, vier Jahren war dieser Zustand undenkbar, mittlerweile hat der Machtwechsel aber stattgefunden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Cablecom knickt ein, Swisscom folgt wohl Cablecom knickte ein, Swisscom folgt wohl UPC cablecom hatte lange Zeit das schlechteste Netflixangebot der Schweiz. Seit Februar ist das nicht mehr der Fall. Der Grund: Am 9. Februar 2016 wurde ein direktes Peering zwischen Netflix und Cablecom-Mutterkonzern Liberty Global abgeschlossen. Liberty Global erhielt dafür kein Geld, behauptet Fredy Künzler, Chef des ISPs Init7. Obwohl upc bisher eine Ratio von 3:1 von Diensten wie Netflix erwartete, die auf keinen Fall erreicht werden könnte. (Disclaimer: Knzler befindet sich in einem Rechtsstreit mit Swisscom und hätte Interesse daran, dass Swisscom kostenloses Peering mit seinem Unternehmen vereinbart) Stimmt die Aussage von Künzlers Quelle, hat sich Liberty Global Netflix gebeugt. Problematisch für Swisscom: Liberty Global hat weltweit 25 Millionen Kunden in 14 Ländern und erwirtschaftete 2014 einen Umsatz von 18 Milliarden Dollar. Der Konzern ist einiges grösser als Swisscom. Wenn sie schon einknicken, wird das auch bei Swisscom früher oder später geschehen.