Transform 2019
30.09.2019, 05:53 Uhr
Die Digitalisierung ist im Klassenzimmer angekommen
Mit der Digitalisierung wird die Bildungslandschaft mehr als nur verändert. Sie wird umgepflügt. Das ist dringend nötig und bringt einiges, wie Experten an der Konferenz Transform in Bern aufzeigten.
Professor Alexander Repenning von der FHNW sprach über die Vorteile von Computational Thinking an Schulen.
(Quelle: NMGZ/Computerworld)
Professor Alexander Repenning arbeitet im Fachbereich Pädagogik der Fachhochschule Nordwestschweiz und der University of Colorado Boulder. Für den Bildungswissenschaftler ist klar: Die digitale Revolution frisst die Enkelkinder der industriellen Revolution. Mit ihr entstanden neue Industrien und Technologien wie die Elektrotechnik und später die IT.
Eine Folge: Ein Computer rechnet schneller als ein Mathematiker. Was nun? Und was folgt daraus für künftige Generationen? Darüber sprachen Repenning und weitere Experten an der Konferenz Transform 2019, veranstaltet von der Berner Fachhochschule (BFH).
Computational Thinking bereits in der Primarschule
Die industrielle Revolution erforderte nicht nur mehr Bildung und Ausbildung. Sie führte auch zu beruflichen Spezialisierungen und eingegrenzten Wissensdisziplinen. Heute wird aber interdisziplinäres Denken und Wissen wichtiger, wie es das Computational Thinking erfordert. Eine Fähigkeit, welche die nächste Generation von Schülerinnen und Schülern bereits in der Primarschule entwickeln soll.
Die Kids sollen Fragen beantworten können wie: Wie funktioniert eine Schlammlawine? Wie verteilen sich Partikel, die einem Parfümflacon entweichen? Wie entwickelt sich eine Bakterienkolonie?
Nachdem die Klasse sich mit ihrem Wissen in das jeweilige Thema eingearbeitet hat, folgt der nächste Schritt. Die Modellierung mit Hilfe spezieller Lernprogramme. Die Kinder sollen auf diese Weise lernen, mit Computern, aber nicht wie Computer zu denken.
Computational Thinking lehre Abstraktion, Automatisierung und Analysis, erklärte Repenning. Entsprechend bilde die FHNW Lehrer für Computational Thinking aus und nicht für einen Programmierunterricht an Primarschulen.
Lehrer lernen IT
Dafür muss künftig jede Lehrkraft, die an der FHNW ausgebildet wird auch Computational Thinking unterrichten können. Das habe nicht alle erfreut. Denn zu Beginn des neuen Ausbildungsprogramms hätten gerade einmal 0,2 Prozent von über 500 Studierenden Programmierkennnisse mitgebracht.
Inzwischen habe man mehr als 1000 Lehrkräfte mit IT-Skills ausgebildet, verkündete Repenning stolz. Mit dem Compuational Thinking in den Primarschulen, erhofft sich der Bildungswissenschaftler auch, dass in Folge der Anteil von Mädchen in Informatikausbildungen steigt.
Augmented Reality im Handwerk
Auch im Bereich der beruflichen Ausbildung greift der Einsatz von Software um sich und zwar über die kaufmännischen Berufe hinaus, wie Professor Pierre Dillenbourg von der ETH Lausanne (EPFL) aufzeigte.
Ein Beispiel ist Simpliquity. Eine AR-Software, mit deren Hilfe die Logistikausbildung unterstützt wird. Die Applikation kann etwa auf ein Pult über einen speziellen Projekter mit Scanner-Einheit ein Lagerhaus projizieren. Auf der projizierten Fläche können die Lernenden Regale hin und her schieben. Die Anwendung berechnet dann, wie effizient die Regale bestückt werden können, oder wie der Warenfluss optimiert werden muss.
Auch Zimmermänner profitieren in der Lehre von AR-Software. Die Lernenden müssen zweidimensionale Bauzeichnungen verstehen und daraus Elemente eines dreidimensionalen Hauses bauen, wie etwa einen Dachstock. In einem ähnlichen Setting wie bei der Logistikausbildung können dreidimensionale Holzblöcke auf einer Oberfläche platziert und daneben zusätzliche Informationen projiziert werden. Das können beispielsweise zweidimensionale Bauzeichnungen sein.
Als drittes Beispiel zeigte Dillenbourg eine VR-Software die Landschaftsgärtner bei der Planung von Pflanzungen unterstützt. Hierfür macht der Gärtner eine Aufnahme mit einer Drohne. Die Daten werden auf eine VR-Brille gespielt. Anschliessend kann der Gärtner in der virtuellen Welt Bäume, Blumen und Büsche platzieren und sich zwischen ihnen bewegen.
Juristen und Robolawer
Bis zu vier Gigabyte an juristischen Texten beherrscht ein Jurist. Das ist nichts im Vergleich zu Datenmengen, wie sie etwa bei komplexen Wirtschaftsdelikten anfallen.
Hinzu kommen unzählige Publikationen über juristische Fälle. Ein weiterer Trend sind neue Player wie juristische Anbieter, die etwa Fluggästen helfen, bei Verspätungen zu ihrem Recht zu kommen.
Juristen werden sich also mit neuen digitalen Technologien auseinandersetzen müssen. Schweighofer verwies auf Automatisierungslösungen in Berichen wie Forderungen von Kleinstbeträgen, Vollstreckungsanordnungen, Dokumentenautomation. Sogenannte Robolawyer setzen bereits heute automatisch Briefe auf, etwa bei der Wahrnehmung von Fluggastrechten. Über dies könnten digitale Gerichtshöfe entstehen, etwa im Bereich der Mediation.
Juristen müssen künftig juristische Tools für etwa für die Recherche kennen und einsetzen können, schlussfolgert Schweighofer. Das heisst, dass die Hochschulen hier ansetzen müssen. In den juristischen Fakultäten komme diese Erkenntnis allerdings erst allmählich an.
Weiterbildung als Self Empowerment
Eines ist klar: Wer morgen noch einen Job haben möchte, muss heute eine Weiterbildung beginnen und sich digitale Fähigkeiten aneignen. Es muss kein komplettes Informatikstudium sein. Meist genügt es, wenn man bei Projekten mitreden und Grundlagen mitbringt.
Ein entsprechendes Angebot hat die EPFL mit ihrer Extension School geschaffen. In Online-Lehrgängen können sich Weiterbildende Anwenderwissen in Bereichen wie IT-Security oder Data Science aneignen.
Es gibt Kurse, die einen zeitlichen Aufwand von 150 Stunden erfordern und Programme mit einem Aufwand von 400 bis 600 Stunden. Für die Programme erhalten die Teilnehmer nach Abschluss von der EPFL ein Certificate of Open Study, das durch den Bund anerkannt ist. Professor Marcel Salathé, Direktor der EPFL Extension School, sieht darin eine Möglichkeit des Self Empowerments.
Aus der Industrie unterstützen Partner wie Swisscom das Projekt, wie Salathé erklärte. Wenn sich seine Vision erfüllt könnte in fünf Jahren die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung Grundlagen in den Bereichen technische Kompetenz und Programming Skills erarbeitet haben.
Alles wäre vorhanden.
Auf dem Weg zum Weltmeistertitel im Fussball?
Auch im Sport greift die Digitalisierung um sich. Der Softwarekonzern SAP unterstützte etwa die deutsche Fussballnationalmannschaft auf dem Weg zu ihrem letzten Weltmeistertitel.
An der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen (EHSM) forscht man an der Entwicklung von Algorithmen, um Trainern digitale Instrumente an die Hand zu geben. Das ist gar nicht einfach. Oder in den Worten von Martin Rumo von der EHSM: «Fussball ist das komplexeste Ding, dass es auf dem Planeten gibt. Man kann das nicht alles in Zahlen packen.»
Am Ende schaffte es Rumo mit seinem Team dann doch. Im Vorfeld hatten sie sechs umfassende Interviews mit je drei UEFA-Pro-Lizenz-Trainern und drei Auswahltrainern geführt. Aus den zahlreichen Statements extrahierten die Forscher verschiedene Konzepte, wie etwa das Pressing. Doch wie entsteht ein digitales Modell aus dem Spielzug?
Rumo fragte einen U-18-Trainer, wie er Pressing misst. Dieser achtet darauf, wie viele Spieler, wie lange und mit welcher Geschwindigkeit zum Ball laufen. Ein Aha-Moment für Rumo. Daraus konnte er die Grössen Position, Laufrichtung und Geschwindigkeit ableiten und mittels mathematischer Methoden einen Pressingindex entwickeln, mit dem Trainer nun Pressing-Situationen digital analysieren können.
Vielleicht ein weiterer Schritt auf dem Weg zum ersten Weltmeistertitel der Schweizer Fussballnationalmannschaft.