Holacracy
10.01.2018, 15:30 Uhr
«Es braucht das absolute Commitment der Geschäftsleitung»
Patrick Scheuerer ist Organisationsentwickler und Holacracy-Coach bei Xpreneurs. Das Beratungshaus ist auf Holacracy spezialisiert und begleitet Unternehmen auf ihrem Weg in die Selbstorganisation. Im Interview erklärt er, weshalb sich der Wandel zum selbstorganisierten Unternehmen lohnt und worauf Entscheider achten sollten, die Holacracy einführen möchten.
Patrick Scheuerer ist Organisationsentwickler und Holacracy-Coach bei Xpreneurs.
(Quelle: Xpreneurs)
Computerworld: Sie beraten Firmen und Organisationen, die sich für das Arbeitsmodell Holacracy interessieren. Was fällt Ihnen bei den Beratungen auf?
Patrick Scheuerer: Eine Abteilung hat Probleme und muss diese lösen. Ein grosser Teil besteht darin, auf Basis der aktuellen Infos, künftige Schwierigkeiten zu lösen. Das ist aufwendig, erfordert viel Analyse und Change-Management. Die Halbwertszeit solcher Lösungsansätze sinkt laut Aussagen unserer Kunden.
CW: Was sagen Ihnen die Kunden konkret?
Scheuerer: Die letzte Reorganisation war hart, aber nach einem Jahr müssen wir schon wieder reorganisieren. Der Ansatz bei Holacracy ist, wenn Spannungen entstehen, kann man diese sofort, direkt und lokal innerhalb des Kreises lösen. Das führt dazu, dass man kein abstraktes Problem lösen muss, sondern evolutionär Schritt für Schritt angeht. Das ist in einem komplexen Umfeld eine gute Vorgehensweise.
CW: Welche Stolperfallen sollten Unternehmen berücksichtigen, die Holacracy als Organisationsmodell einführen wollen?
Scheuerer: Es braucht das absolute Commitment der Geschäftsleitung. Denn es geht hierbei um einen tief greifenden Transformationsprozess. Daher ist die externe Begleitung wichtig. Die meisten Versuche, die ohne Begleitung starteten, sind rasch gescheitert.
CW: Woran genau?
Scheuerer: Oft scheitern diese, da die Regeln in der Praxis nicht verstanden werden. Hinzu kommt, dass sich alte Muster festgesetzt haben. Etwa in Form alter Machtstrukturen, die als Schattensysteme weiterbestehen können. Der Rahmen, wie man mit anderen zusammenarbeitet, wie Entscheidungen getroffen werden, ändert sich. Dies bringt Herausforderungen im Arbeitsalltag mit sich. Wir achten deshalb in der Begleitung darauf, dass die Leute im neuen System schnell produktiv werden, und geben aktiv Hilfestellung.
CW: Wie begleiten Sie Unternehmen am Anfang?
Scheuerer: Wir beschränken anfangs die Theorie und setzen viel auf Praxis. Wenn ich Fussball lernen will, kann ich das FIFA-Regelwerk lesen. Deswegen werde ich aber kein guter Fussballspieler. Ich muss auf den Platz und mit anderen Fussball spielen. Praxis lässt sich nicht theoretisch erschliessen.
CW: Wie lange dauert diese Phase?
Scheuerer: Nach ein bis eineinhalb Jahren ist die Arbeit mit Holacracy meist etabliert. Für eine solide Verankerung und eine reife Praxis braucht es drei bis fünf Jahre. Nach drei bis vier Monaten haben Organisationen eine erste Routine entwickelt. Doch dann kommen oft, etwa in ähnlichen Kreisen, systemische Spannungen auf. Man erkennt diese, hat aber noch keine Lösung parat, um sie zu lösen. Das ist ein kritischer Moment.
CW: Was kann passieren?
Scheuerer: Bei komplexen Spannungen kann es zu einem Rückfall in alte Verhaltensmuster und Praktiken kommen, weil die Leute noch nicht in der Lage sind, diese komplexeren Spannungen zu bearbeiten. Hier ist die Unterstützung durch erfahrene Praktiker und ein Coaching bei der Bearbeitung dieser Spannungen sehr wichtig und wertvoll. Ein weiterer Punkt ist, dass man die menschliche und kulturelle Ebene nicht vernachlässigt. Denn Holacracy adressiert diesen Punkt nicht. Hierfür schufen wir spezifische Rollen, um unsere Teamkultur zu pflegen.
Zur Person:
Patrick Scheuerer ist Organisationsentwickler und Holacracy-Coach bei Xpreneurs. Das Beratungshaus ist auf Holacracy spezialisiert und begleitet Unternehmen auf ihrem Weg in die Selbstorganisation.
Lesen Sie dazu auch: Wie Holacracy gelingen kann - Coachen statt führen