Wie Holacracy gelingen kann
10.01.2018, 15:29 Uhr
Coachen statt führen
Die Selbstorganisation von Unternehmen liegt im Trend. Verspricht sie doch kürzere Entscheidungswege, schnelle Umsetzung von Kundenprojekten und hohe Motivation der Mitarbeiter. Unternehmer und Experten erklären, weshalb Holacracy mehr als ein Hype ist und was Entscheider für einen langfristigen Erfolg beachten müssen.
Keine Hierarchien, keine Vorgesetzten, dafür Selbstbestimmung. Was für Mitarbeiter wie eine Utopie klingt, kann für Kader ein Albtraum sein. Wer braucht mich morgen noch, wenn sich die Mitarbeiter selbst organisieren? Auch auf juristischer Seite stellen sich einige Fragen. Wie muss man das Unternehmen organisieren, um dem Obligationenrecht zu entsprechen? Und wie nachhaltig sind Modelle wie Holacracy? Handelt es sich dabei am Ende nur um einen Hype?
Man müsse die Frage umdrehen, findet Patrick Scheuerer, Holacracy-Coach beim Beratungshaus Xpreneurs. «Welches sind die neuralgischen Punkte, die Geschäftsführer dazu bringen, sich mit Holacracy zu beschäftigen?» Scheuerer hört oft ähnliche Geschichten. Eine Organisation kann sich nicht schnell genug an Entwicklungen anpassen.
Kurz erklärt
Holacracy
Holacracy ist ein System, wonach man Arbeit auf dezentrale Weise steuern kann. Die Arbeit wird in Kreisen selbst organisiert. Mitarbeiter können in verschiedenen Kreisen Rollen innehaben und entsprechend Arbeit verrichten. Personen führen keine Mitarbeiter, sondern ihre Rolle. Eine Verfassung definiert die wichtigsten Regeln für die Organisation. Jedes Unternehmen muss auf Basis dieser Verfassung eine eigene Governance schaffen, wonach Rollen und Richtlinien beschrieben werden. Die Idee der selbstorganisierenden Teams gibt es schon länger und wird in unterschiedlichen Formen angewandt. Unternehmen wie WL Gore, Morningstar, Semco oder Spotify wenden eigene Varianten an.
Hierzu zählen etwa Veränderungen am Markt, Regulationen, Technologien, Kundenwünsche oder interne Impulse. Letztere nähmen exponentiell zu. Organisationen erlebten einen Stau an Entscheidungen, da sie ihre Menge nicht mehr bewältigen können.
Ein Grund ist das Ping-Pong-Spiel beim Entscheidungsprozess. Man eskaliert eine Entscheidung an den direkten Vorgesetzten. Dieser geht eine Stufe höher, kennt allerdings den Kontext nicht und spielt das Ganze zurück. Das führe bei Entscheidern zu Stau und bei Mitarbeitenden zu Frust, da nichts vorwärtsgeht, erklärt Scheuerer. Die Entwicklung führe zum Wunsch nach mehr Verantwortung bei Entscheidern und Mitarbeitern.
Voraussetzung für Holacracy: Vertrauen und Eigenantrieb
Antoinette Weibel ist Professorin für Personalmanagement am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten an der Universität St. Gallen. Für sie ist Holacracy eine nachhaltige Organisationsform. Allerdings setze der Erfolg von Holacracy zwei Dinge voraus: Vertrauen und intrinsische Motivation.
Welche Leistung sich dadurch freisetzen lässt, erklärt Weibel anhand des französischen Gebäckherstellers Poult. Dort stand man vor der Insolvenz. Um gegenzusteuern, schaffte man verschiedene Führungspositionen ab und involvierte die Mitarbeiter, auch jene am Fliessband. Dem Erfolgsbeispiel Poult setzte Martin Meissonnier in seiner Dokumentation «Happiness at Work» («Mein wunderbarer Arbeitsplatz») ein filmisches Denkmal. Auszüge aus der Dokumentation zeigt Arte auf seinem Youtube-Kanal.
Gesucht sind Team-Player
Das Interessante am Beispiel Poult: Statt der Produktionsmitarbeiter verliessen vermehrt Führungskräfte wie Vorarbeiter das Unternehmen. Diese hatten Schwierigkeiten, von Führung auf Coaching umzustellen. Holacracy sei eher schwierig für Führungskräfte mit traditioneller Ausbildung und Machtgespür, resümiert Weibel.
Diese müssten auf ihren Chefposten mit den verbundenen Attributen verzichten. Wie hilft man Führungskräften, die oft auch Machtmenschen sind, sich zu öffnen, auch auf die Gefahr hin, Macht abzugeben? Nicht ganz einfach. Doch eines ist für Weibel klar: «Wen es nicht verträgt im Holacracy-Modell sind Egoisten, Karriereristen und Narzissten.»