16.12.2014, 10:15 Uhr

Leadership von Morgen. Ein Essay.

Leadership hat künftig eine post-heroische Form: Nicht der unfehlbare Manager an der Spitze der Organisation wird gesucht, sondern der Gestalter und Veränderer aus der Mitte des Unternehmens.
Der Autor hat Physik und Informatik studiert und blickt auf internationale Management­erfahrung zurück. Heute bringt er Unternehmen und Organisationen über ihre Kultur, Führungs- und Managementstile zum Nachdenken. Er lebt in Wien, lehrt an mehreren Hochschulen, ist Geschäftsführender Gesellschafter der Strate­gieberatung KSPM und Trendforscher am Zukunfts­institut. Bei sorgfältigem Blick auf den Wandel der Gesellschaft und Wirtschaft wird klar: Wir erleben gerade einen enormen Umbruch. Die Digitalisierung schafft neue Tatsachen. Partizipation wird in der Gesellschaft auf eine Art möglich, die es nie zuvor gegeben hat. Eine neue Generation von Menschen rückt nach, die grundlegend anders sozialisiert wurde. Die Weltwirtschaft ist nicht mehr von wenigen grossen Playern dominiert, sondern ein multipolares Spielfeld, in dem Märkte schnell entstehen und wenige Jahre später wieder verschwinden. Good-bye, Mr. Taylor Damit ändern sich einige der Prinzipien, die bislang in der Unternehmens- und Personalführung gültig waren. Die Logiken und Mechanismen des Taylorismus, der Prozesse und Ideen mit der Stoppuhr misst und entsprechend optimiert, haben zum Erfolg der letzten 100 Jahre beigetragen – doch nun haben sie ausgedient. Stattdessen erlangen neue Werte Bedeutung: Vertrauen als Treibstoff für produktive Wissensarbeit ersetzt den Hang zur engmaschigen Kontrolle, Experimentierfreude tritt an die Stelle von Fehler­suche, Brüche in Lebensläufen lockern die brave Kontinuität linearer CVs auf, vernetzte Strukturen erfordern mehr Beziehungsmanagement als Prozessmanagement – um nur einige Beispiele zu nennen. Dieser Abschied von gewohnten Rezepten fordert Manager nicht nur im Handwerkszeug der täglichen Führungs­arbeit, sondern vor allem auch in ihrer Persönlichkeit heraus. Umdenken braucht Vordenken Und doch: Obwohl viele Unternehmen die Notwendigkeit des Umdenkens erkennen, verfällt das Management vielfach rasch wieder ins Business as usual. Die Gründe dafür sind vielfältig: Bequemlichkeit, Starrsinn oder Angst vor Veränderung. Aber auch der Erfolg der Vergangenheit, der dazu verleitet, die Zukunft unveränderlich fortzuschreiben. Vor allem in grösseren Unternehmen kommt als weiteres Phänomen die organisatorische Erschöpfung hinzu: Man hat schon unzählige Change-Programme durchlaufen, der nachhaltige Erfolg war eher durchwachsen – da geht einem schon mal die Puste aus und man fragt sich, ob sich der Aufwand des Umdenkens überhaupt lohnt. Gegen diese Energielosigkeit gilt es, mit aller Macht anzukämpfen. Es muss uns daran gelegen sein, Führungskräften wieder Mut zu machen und sie in ihrer eigentlichen Funktion anzusprechen: Nicht als Verwalter, sondern als Gestalter – dazu gehört Neugierde, aber auch Tatendrang und Risikobereitschaft. Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt die Bereitschaft von Führungskräften, ihr Denken und Handeln zu reflektieren und gezielt weiterzuentwickeln. Fast ein Viertel aller Führungskräfte hat in den letzten 3 Jahren jedoch keine formale Weiterbildung besucht. Wohl auch ein Indiz dafür, was viele Vorstände und Manager in persönlichen Gesprächen schildern: Dass sie in der Hektik des Alltags zu wenig Reflektionsflächen vorfinden, um nach- und vorauszudenken. Bei allem Verständnis für die Betriebsamkeit gilt es, an dieser Stelle sehr kritisch und fordernd zu sein: Wer sich selbst nicht führen kann, sollte auch andere nicht führen dürfen. Also ein klarer Appell an Manager, sich die notwendigen Freiräume zu schaffen – zeitlich und inhaltlich. Auf der nächsten Seite: Die Manager in der Dauerüberforderung. Wissensarbeit kennt keine Öffnungszeiten Die rasante technische Entwicklung ist dabei weniger eine Hilfe als vielmehr Teil des Problems. Längst haben Führungskräfte mehr Daten zur Hand, als sie effektiv nutzen. Der Glaube an bessere Erkenntnis, wenn die Informationsmenge nur hoch genug ist, ist durch die Realität der Reizüberflutung längst erschüttert. Mobile Devices haben nicht nur das Post-Desktop-Zeitalter eingeläutet, sondern vor allem jenes der permanenten Verfügbarkeit. Mittlerweile geht es um Grundsätzliches: Wie überlebt der Homo Digitalis, wann kann und soll er – buchstäblich – abschalten? Gerade für Wissensarbeiter wird dies zur Schlüsselfrage. In der entgrenzten Arbeitswelt von morgen, in der vor allem Ergebnisse zählen und nicht mehr Arbeitsort oder Arbeitszeit, müssen Unternehmen ernsthaft versuchen zu verstehen, was Menschen belastet bzw. Energie spendet. Was sie zu kreativen Höchstleistungen treibt und unter welchen Umständen sie am produktivsten sind. Patentlösungen wird es dabei kaum geben, geht es doch immer stärker um die Individualität und Vielschichtigkeit von Menschen. The War for Talent is over. Talent won. Im Rennen um die besten Arbeitskräfte zählen andere ­Attraktoren als bisher. Die Beziehung zwischen Unter­nehmen und High Potentials ähnelt einem Magnetfeld mit gegenseitiger intensiver Anziehung und Abstossung. Die hochqualifizierten jungen Wilden erwarten eine intensive Zusammenarbeit, möchten aber auch Zeiten der Loslösung nutzen, ohne dass dies eine Trennung für immer wäre. Der Alltag ist immer deutlicher geprägt von bunten Lebensstilen, von vielschichtigen Wertvorstellungen und vom Verlust des Glaubens an die Lösungskompetenz übergeordneter, homogener Institutionen. Quer durch alle sozial­wissenschaftlichen Studien zeigt sich, dass normierende gesellschaftliche Faktoren weiter an Gültigkeit verlieren. Der Einzelne fordert für sich zunehmend ein Recht auf Indivi­dualismus ein und interpretiert bestehende Regeln gemäss seiner eigenen Meinung. Der Megatrend Individualisierung hat nicht nur Auswirkungen auf Konsum und Freizeit, sondern krempelt auch die Arbeitswelt gewaltig um. Erfolgreiche Unternehmen haben erkannt, dass sie aus dieser Diversität künftig ihre Leistungsfähigkeit schöpfen können. An der Umsetzung hapert es jedoch nach wie vor. Ganz besonders gilt das für die Unternehmensspitzen, wie Statistiken eindrucksvoll zeigen. Vorstände rekrutieren sich weiterhin aus einem überschaubaren Kreis recht einheitlich qualifizierter Bewerber. Entgegen allen Beteuerungen zeigt sich für Manager eine über Jahre hinweg hohe Stabilität des Anforderungsprofils. Verblassende Heldenbilder Doch die notwendige Orientierung liefern immer seltener die an der Spitze stehenden Helden mit Deutungshoheit. Zu komplex, vielschichtig, rasch wandelnd ist die Lage, um von einem Konzernlenker überblickt zu werden. Die Fakten untermauern dies: Über 70 Prozent aller Insolvenzen sind nicht auf veränderte Marktlagen, Mitbewerbssituationen oder andere externe Faktoren zurückzuführen, sondern auf eindeutige Managementfehler (vgl. Grafik links). Statt selbst Macher zu sein, wird der erfolgreiche Leader der Zukunft also vor allem dafür Sorge tragen, dass in seiner Organisation viele Menschen zu Machern werden und nicht nur gleichzeitig, sondern zusammen arbeiten. Leadership ist keine Frage der Hierarchie, sondern der Haltung und Unternehmenskultur – sie entsteht nicht an der Spitze des Unternehmens, sondern aus der Mitte heraus, und braucht Vernetzung, um zu wachsen. Authentizität statt Sprechblasen Hinter polierten Leitbildfloskeln können sich Manager dann allerdings nicht mehr zurückziehen. Stattdessen gilt es, das Unternehmen zu einem Ort zu machen, der durch hohe Anziehungskraft besticht. Dazu braucht es empathische, reflektierte Persönlichkeiten, die Vertrauen und Ergebnisorientierung so schlüssig kombinieren, dass sich die Potenziale der Mitarbeiter entfalten und zu Top-Resultaten führen. Und es braucht mutige Menschen, die sich dem Abenteuer Wirtschaft jeden Tag lustvoll stellen, die ein Stück weit Kontrollverlust akzeptieren und keine Furcht davor haben, bekannte Pfade zu verlassen. Ob auf persönlicher Ebene oder auf organisatorischer: Der Erfolg wird in Zukunft davon abhängen, wie gut es gelingt, Leadership neu zu denken und zu interpretieren. Es ist höchste Zeit. Lesetipp Leadership Report 2015  Unternehmensführung erlebt aktuell einen radikalen Umschwung. Der Leadership Report 2015 von Franz Kühmayer setzt sich mit dieser Ver­unsicherung auf dem Weg in die Wissensökonomie auseinander und liefert Antworten auf die Frage, was Führung in Unternehmen künftig bedeutet. Dieser Beitrag basiert aus den Erkenntnissen des Leadership ­Reports vom August 2014. (120 Seiten, Verlag Zukunftsinstitut, ISBN: ­978-3-938284-87-2)



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