Neue Zugpferde für die Schweizer ICT-Branche
Innovationsprojekte leiden
Gemäss den Ergebnissen der aktuellen Top-500-Erhebung von Computerworld haben Hype-Themen wie die Blockchain, Augmented und Virtual Reality sowie künstliche Intelligenz mit der Corona-Krise an Bedeutung verloren. Stattdessen stehen Kernaufgaben wie die Modernisierung der IT-Infrastruktur wieder im Vordergrund. Das ist nachvollziehbar: Wer weiss denn schon, wie lange die Krise anhält und wie lange Massnahmen wie etwa Kurzarbeit aufrechterhalten werden müssen? Da konzentriert man sich besser auf das, was wirklich wichtig erscheint. Dass Firmen während Corona Innovationsprojekte kurzfristig einfrieren, sei verständlich, erklärt Adesso-Manager Langer. Auf längere Sicht gesehen sei es aber essenziell, sich in Krisenzeiten neu zu erfinden und diese zukunftsträchtigen Projekte nicht zu vernachlässigen.
Die Bedeutung neuer Technologien sei durch die Krise aber nicht kleiner geworden, betont man bei Ergon: Distributed Ledger, Augmented Reality und Artificial Intelligence würden Chancen bieten, die den Anwenderunternehmen Wettbewerbsvorteile bringen. Kundenprojekte könne man trotz Corona fristgerecht abschliessen, manche sogar schneller als geplant. Eine digitale Bezahllösung für die Liechtensteinische Landesbank sei für den Sommer 2020 geplant gewesen, aber bereits Mitte April live gegangen.
Geiser sieht das kritischer: «In den letzten Jahren machte die Branche vermehrt übermotivierte Versprechen zu Themen AI/AR und Fintech.» Seit Corona hätten gerade Innovations- und Pilotprojekte Mühe, sich zu entwickeln. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich solche Projekte eher schlecht für das Home Office eignen. «Viele Kunden überlegen sich gut, ob sie ein Projekt stoppen», ergänzt Avectris-Mann Kupsky. Denn ein Stopp führe immer zu höheren Kosten. Bei den Kunden von Avectris würden aber die meisten Projekte wie geplant weiterlaufen. Auch InfoGuard teilt mit, trotz Corona alle Fristen einhalten zu können. BeiEveryWare gibt es ebenfalls keine Verzögerungen. Die längeren Lieferfristen für gewisse Hardware-Komponenten seien aber deutlich spürbar, schreibt das Unternehmen.
Ein Balanceakt mit ungewissem Ausgang
Entscheider in Anwenderunternehmen werden nun also noch genauer abwägen müssen, wie sie die voraussichtlich schrumpfenden Budget-Töpfe am besten verteilen. «In Krisensituationen muss der Fokus auf dem Liquiditätsmanagement liegen», bringt es bbv-CEO Kronenberg auf den Punkt. Alle Vorhaben seien daher im Kontext der Unsicherheit zu prüfen – und allenfalls zu stoppen, zu stunden oder zu beschleunigen.
“In Krisensituationen muss der Fokus auf dem Liquiditätsmanagement liegen„
Philipp Kronenberg, bbv Software Services
Schöller von itesys warnt davor, Projekte wie eine S/4Hana-Migration wegen Corona zu vernachlässigen. Ein Workshop könne helfen, nicht zu viel Zeit zu verlieren und mit einer Roadmap den Weg vorzubereiten. Es braucht also einen Mittelweg, wozu auch ELOs Mosbach rät: «Ich glaube, man wird eine Balance finden müssen, wichtige, langfristige Projekte nicht abzuwürgen und gleichzeitig andere Projekte konsequent in Angriff zu nehmen, um das Überleben eines Unternehmens zu sichern.»