21.06.2010, 06:00 Uhr

Die 6-Milliarden-Wette

SAP hat seine Selbstblockade überwunden, die Walldorfer geben Gas. Superschnelle In-Memory-Technologie, ein frisches CRM und die Akquise von Sybase stehen auf der Agenda.
Der Coup war perfekt: SAP greift nach Sybase. 5,8 Milliarden US-Dollar will sich der ERP-Weltmarktführer den Enterprise-Software-Spezialisten kosten lassen. Nach dem Debakel um Léo Apotheker und den leidenschaftlich umstrittenen Enterprise Support geht SAP wieder aggressiv in die Offensive. Das neue Führungsduo Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe, seit nunmehr 100 Tagen im Amt, zog auf der Sapphire in Frankfurt/Main eine erste Bilanz seiner Tätigkeit. «Wir haben uns auf die Strategie konzentriert», erklärte Co-CEO Hagemann Snabe, und dabei wurde wohl die spektakuläre Entscheidung ausgebrütet, Sybase zu akquirieren.
SAP wolle Sybase vor allem wegen seiner mobilen Business-Lösungen kaufen, denn der Desktop der Zukunft sei mobil, betonte der nie um markige Sprüche verlegene McDermott. Soweit die ganz offizielle Erklärung. Ausserdem schreiben die Walldorfer der superschnellen In-Memory-Technologie eine hohe strategische Bedeutung zu, und auch dort scheint Sybase Gewichtiges beizusteuern.

Superschnelles In-Memory

Wie weit SAP in Sachen In-Memory schon vorangeschritten ist, skizzierte CTO Vishal Sikka auf der Sapphire und kündigte auch gleich drei neue Produkte an. «Wir haben eine In-Memory-Datenbank, die in der Lage ist, 2 MB pro Millisekunde und pro Prozessorkern abzuarbeiten», sagte Sikka in Frankfurt. Die Software skaliere linear mit der Anzahl der Kerne. Was das bei einem handelsüblichen Blade-Server mit 64 Kernen bedeute, könne sich jeder leicht selbst ausrechnen, meinte Sikka. Verglichen mit traditionellen, relationalen Daten-banken und Fest- platten ist der Performance-Gewinn gigantisch.
SAPs Chief Technology Officer erzählte von einem Kunden, der 4,7 Milliarden Datensätze in 74000 Tabellen abgespeichert hatte und dabei einen Gesamtdatenbestand von 2,5 TB anhäufte. Ein einzelner Blade-Server (Single Blade) mit 250 GB RAM reicht aus, um die Riesendatenmenge in Echtzeit auszuwerten. Der Trick: SAPs In-Memory-System lädt sämtliche Daten nicht zeilenweise, sondern nach Kolumnen in den super-schnellen Arbeitsspeicher und komprimiert ausserdem um den Faktor 10 bis 15. Dadurch passen auch 2,5 TB in ein 250 GB grosses RAM.
«Wir haben direkte Queries über Profitabilitäts- und Finanztransaktionsdaten durchgeführt, von denen wir glaubten, dass sie gar nicht möglich seien», schwärmte Sikka. Die traditionelle Festplatte sterbe eines langsamen Todes und werde nur noch als Sekundärspeichermedium eingesetzt. Die gute Nachricht für Stammkunden: Durch neue Produkte sollen auch Betreiber von ERP-Altsystemen wie dem betagten R/3 in den Genuss der rasend schnellen In-Memory-Technik kommen. Eine «High Performance Analytical Appliance» (Codename Hana) soll noch vor Ende dieses Jahres auf den Markt kommen und an existierende ERPs praktisch angeflanscht werden können.

SAPs neue Geschäftsstrategie

Die Echtzeittechnologie In-Memory bildet das neue Rückgrat von SAPs Lösungsportfolio. Sie birgt das Potenzial, Analysen und Prognosen in den Management-Etagen zu revolutionieren. Das Führungsduo Hagemann Snabe und McDermott hat SAP aber auch langfristig neu ausgerichtet. Künftig will der Weltmarktführer die drei Beschaffungsmodelle On-Premise (Business Suite 7), On-Demand (Business ByDesign) und On-Device gleichberechtigt bedienen.
Was sich zunächst nach einer luftigen Marketing-Tirade anhört, nahm auf der Sapphire zunehmend konkrete Gestalt an.
Eine Gateway-Komponente, an der SAP-Entwickler zurzeit tüfteln, werde alle existierenden SAP-Systeme mit der (mobilen) Aussenwelt verbinden. Zusammen mit IBM arbeite man daran, Lotus Notes und Domino über das Gateway anzubinden, die Kooperation mit RIM hole die in der Geschäftswelt populären BlackBerrys mit ins Boot, versprach Sikka. Das mit Microsoft entwickelte Duet Enterprise soll SAP-Anwender mit der Teamarbeitsplattform SharePoint 2010 verbinden und noch in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt kommen. Duet Enterprise werde das erste Produkt sein, welches das neue Gateway integriert habe.
In-Memory für superschnelle Analysen, On-Device für das mobile Personal - wie sieht es mit der dritten strategischen Säule On-Demand aus? Mit seiner mit viel Vorschusslorbeeren bedachten On-Demand-Lösung Business ByDesign (BbD) steckte SAP lange Zeit fest wie der verirrte Wanderer im Moor. Das Preismodell rechnete sich nicht, und Walldorf hat lange gebraucht, um seinem BbD eine kostengünstigere Multi-Tenancy-Architektur zu verpassen, auf der sich Kunden - bei nach wie vor getrennter Datenhaltung - die gleiche Instanz einer Anwendung teilen.

Preise: Business ByDesign

Im Juli soll nun endlich BbD 2.5 in Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, den USA, Indien und China auf den Markt kommen (in der Schweiz Anfang 2011). Und auf der Sapphire sickerten erste Preise durch: Das obligatorische Minimum pro Kunde liegt demnach bei zehn Usern. Die Miet-Software kostet pro Benutzer und Monat 133 Euro (etwa 160 Franken). Business ByDesign ist nur in engen Grenzen anpassbar, ist also Software von der Stange. Was sich zunächst negativ anhört, hat jedoch auch Vorteile: einen sehr schnellen Mehrwert (Instant Value) und reduzierte, am Verbrauch orientierte Kosten. BbD 2,5 nutzt bereits In-Memory-Technologie und unterstützt die Anbindung mobiler Devices. Offiziell empfiehlt SAP das Produkt
Unternehmen mit 100 bis 1000 Mitarbeitern.
Der knapp 6 Milliarden Dollar schwere Deal - die geplante Akquise von Sybase - soll aber nicht nur in den Geschäftsfeldern In-Memory und mobile Devices frisches Blut ins Unternehmen bringen. Sybase erschliesst den Walldorfern auch neue Märkte. SAPs Christian Horak wirft das Stichwort «Complex Event Processes» in die Diskussion. Im Kern geht es darum, grosse Transaktionsdaten-Volumina in Echtzeit auszuwerten. Die Finanzindustrie, Telekommunikationsunternehmen und die Logistik profitieren von solchen Systemen. Die Technologie hat SAP bereits, aber noch nicht die Kundschaft.

Frisches Sales on demand

Eine interessante Neuheit von Co-CEO Hagemann Snabe während seiner Keynote erwähnt, ging in der Orgie grosser Ankündigungen fast unter. Lange Zeit galt das Customer Relationship Management (CRM) als die grösste und hässlichste Schwachstelle der SAP-Lösungssuiten. Das wird sich bald ändern. Hagemann Snabe stellt «Sales on demand» in Aussicht, ein neues On-Demand-CRM, das soziale Netzwerk-Funktionalitäten à la Facebook enthalten soll. Dabei kommt auch Technologie der kürzlich von SAP lancierten Kollaborations-Software StreamWork zum Einsatz. Voraussichtlich schon im Herbst dieses Jahres, so versprach der CEO, werde «Sales on demand» erhältlich sein.



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