ETH Zürich
09.11.2021, 13:45 Uhr
Seesternlarve als Inspiration für Mikroroboter
Forschende an der ETH Zürich haben einen winzigen Roboter entwickelt, der die Bewegungsmuster einer Seesternlarve nachahmt. Er wird mit Schallwellen angetrieben und ist mit Härchen bestückt. Künftig könnten solche Mikroschwimmer Medikamente zu kranken Zellen bringen.
Ein einer Seesternlarve nachempfundener Mikroroboter wirbelt Plastikkügelchen umher.
(Quelle: Cornel Dillinger/ETH Zürich)
Weltweit tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an winzigen Maschinen, welche die Medizin revolutionieren sollen. Denn die Mikroroboter, oft nur ein Bruchteil des Durchmessers eines Haares gross, können medizinische Wirkstoffe zu spezifischen Problemstellen im Körper bringen und kleinste chirurgische Eingriffe durchführen. Angetrieben und gelenkt werden die Miniaturmaschinen mit externer Energie, meist durch akustische oder magnetische Felder.
Bei der Form der Schwimmkörper lassen sich Forschende oft von Mikrolebewesen wie Bakterien oder Algen inspirieren. Eine Forschungsgruppe an der ETH Zürich hat nun erstmals einen Mikroroboter entwickelt, der die Schwimm- und Fresstechnik einer Seesternlarve nachahmt.
Mit Härchen Flüssigkeit wegstossen oder ansaugen
Auf den ersten Blick ist die Ähnlichkeit zwischen Mikroroboter und Seesternlarve gering. Die wenige Millimeter grosse Larve des fünfarmigen Meerestieres hat einen lappigen Körper. Der Mikroroboter ist hingegen ein einfaches Rechteck und rund zehnmal kleiner – er misst nur einen Viertel Millimeter. Ein wichtiges Merkmal ist jedoch beiden gemein: die feinen, beweglichen Härchen auf der Körperoberfläche, sogenannte Cilien.
Die Seesternlarve ist übersät mit Hundertausenden von solchen Härchen. Angeordnet in Reihen schlagen sie im Meerwasser koordiniert hin und her und erzeugen dabei Wirbel. Forschendehaben vor einigen Jahren gezeigt, dass das Tier die komplexen Strömungsmuster wechselweise als Schwimmantrieb oder zum Ansaugen von Nahrungspartikeln nutzt.
Um vom Fressmodus in den Schwimmmodus zu wechseln, verändert die Seesternlarve unter anderem die Orientierung der Härchenreihen zueinander. So kreieren zwei einander zugeneigte Reihen einen Wirbel mit Schubwirkung, mit dem sich die Larve im Wasser vorwärtsbewegt. Sind die Härchenreihen hingegen in entgegengesetzte Richtung orientiert, entsteht ein Wirbel, der Flüssigkeit und darin enthaltene Nahrungspartikel ansaugt.
Künstliche Schwimmkörper schlagen schneller
Die Härchen waren auch der Schlüssel im Design des neuen Mikroroboters, den Forschende unter der Leitung von Daniel Ahmed, Professor am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik, entwickelt haben. Ahmed sagt: «Am Anfang wollten wir schlicht ausprobieren, ob wir mit Härchenreihen, die einander zu- oder abgeneigt sind, ähnliche Wirbel erzeugen können wie die Seesternlarve.»
Die Forschenden konstruierten dazu mittels Photolithographie einen Mikroroboter, der auf der Vorderseite einen Wirbel mit Sogwirkung und auf der Rückseite einen Wirbel mit Schubwirkung erzeugt. Mit Ultraschallwellen haben sie die Härchen von aussen zum Schwingen gebracht. Mehr als zehntausend Mal pro Sekunde schlagen sie hin und her – rund 1000 Mal schneller als bei den Seesternlarven.
In ihren Laborexperimenten zeigten die Forschenden, dass der Mikroroboter in einem Wasserfilm geradeaus schwimmen kann. Um die Wirbel sichtbar zu machen, die er erzeugt, reicherten sie das Wasser mit winzigen Plastikkügelchen an. Das Resultat ist verblüffend: Die Strömungsmuster von Seesternlarve und Mikroroboter sind praktisch identisch.
Analog zur Fresstechnik der Seesternlarve kombinierten die Forschenden in einem zweiten Schritt einen Wirbel mit Sog- und einen mit Schubwirkung nebeneinander. Mit diesem Modul konnten sie Partikel sammeln und in eine bestimmte Richtung lenken.
Ultraschall bringt Vorteile
Ahmed ist überzeugt, dass der neue Typ Mikroroboter in absehbarer Zeit in der Medizin angewendet werden kann. Denn ein System, das nur auf Ultraschall abgestützt ist, bringt entscheidende Vorteile: Ultraschallwellen werden in der Bildgebung schon jetzt breit angewendet, dringen tief ins Körperinnere ein und bergen keine gesundheitlichen Risiken.
Weil die Therapie lediglich ein Ultraschallgerät voraussetzt und deshalb billig ist, könnte sie auch in Entwicklungsländern genutzt werden.
“Unsere Vision ist, Ultraschall für den Antrieb, die Bildgebung und das Verabreichen von Medikamenten zu nutzen„
Daniel Ahmed
Ein erstes mögliches Anwendungsgebiet sieht Ahmed in der Behandlung von Magentumoren. Die Aufnahme von herkömmlichen Medikamenten mittels Diffusion ist ineffizient. Mikroroboter, die den Wirkstoff zur betroffenen Stelle im Magen transportieren dort Wirbel erzeugen, könnten den Transport des Medikamentes in Tumorzellen effizienter machen.
Schärferes Bild dank Kontrastmitteln
Bis diese Vision aber tatsächlich umgesetzt werden kann, gibt es noch eine andere grosse Herausforderung zu meistern: die Bildgebung. Um die winzigen Maschinen an den richtigen Ort zu lenken, ist ein scharfes Bild in Echtzeit notwendig. Die Auflösung von herkömmlichem Ultraschall ist dafür zu wenig hoch.
Ein denkbarer Ansatz sind Kontrastmittel, die in der Medizin genutzt werden, um beispielsweise Blutgefässe in der Haut sichtbar zu machen. Die Forschende wollen in einem nächsten Schritt solche Kontrastmittel in den Mikroroboter einbauen, um ihn dadurch besser sichtbar zu machen.
Nebst Anwendungen in der Medizin erwartet Ahmed, dass der neue Mikroroboter auch der Forschung und der Industrie einen Nutzen bringt. Die von Härchenreihen erzeugten Wirbel könnten dabei helfen, winzige Flüssigkeitsmengen gezielt zu manipulieren. So könnten sie Flüssigkeiten mischen, als Pumpe wirken oder Partikel einfangen.
Dieser Artikel ist zuvor auf ETH-News erschienen.
Autor(in)
Rahel
Künzler, ETH-News