Campusnetze
22.03.2023, 06:15 Uhr
Datenmassen intern schnell und zuverlässig übermitteln
Die Anforderungen an die lokale Datenübertragung steigen, ob in Bürogebäuden, in der Produktion oder in der Logistik. Um die steigenden Datenvolumen möglichst sicher und verzögerungsfrei zur wachsenden Menge an Endgeräten zu bringen, bestehen mehrere Möglichkeiten.
Eine Mehrheit der Unternehmen und öffentliche Verwaltungen treiben die Digitalisierung der Schweiz weiter voran. Denn dank flüssiger Prozesse und Arbeitsweisen steigt nicht die Produktivität, sondern es werden auch spannende Data Insights generiert. Daraus entstehen wesentliche Erkenntnisse über Dienstleistungen und deren Nutzer oder über Produkte und deren Käufer. Diese Daten sorgen in einem kompetitiven Umfeld für Verbesserungen und liefern Grundlagen für künftige Angebote.
Grosse Datenmengen sind auch bei der Produktion hochwertiger Erzeugnisse der Medizinaltechnik oder bei der Herstellung von Präzisionsteilen und Komponenten essenziell, die in komplexen Endprodukten eingesetzt werden. Hier ist genaues Arbeiten, laufende Qualitätskontrollen und eine präzise Logistik in Echtzeit gefragt, um eine hohe Qualität dauerhaft zu gewährleisten.
Industrial Ethernet und WLANs
Es liegt auf der Hand: Voll automatisierte Produktionsprozesse wie im Szenario Industrie 4.0 sind ohne ständig, schnell und überall verfügbare Daten nicht möglich. Um teure Ressourcen präzise zu steuern und möglichst hoch auszulasten, ist das Umfeld zunehmend vernetzt und verlangt nach einer lückenlosen und leistungsfähigen Konnektivität für verschiedenste Anwendungen. So stellt sich die Frage, wie man sie zu den einzelnen Maschinen und Robotern in der Produktionshalle bringt.
Das altbewährte Ethernet wird seit Langem nicht nur in Büros, sondern als «Industrial Ethernet» auch in der Produktion eingesetzt. Zwar überzeugt es mit garantierten Bandbreiten und hoher Zuverlässigkeit, brilliert aber weder durch tiefe Kosten noch durch hohe Flexibilität. Denn neben dem hohen Installationsaufwand vor der Inbetriebnahme bedingt jede Änderung in der Produktion eine oft komplizierte und teure Umlegung des lokalen LANs (Local Area Network).
So kam man schnell auf die Idee, ein WLAN (Wireless LAN) als drahtlose Alternative einzusetzen. Jedoch fehlen bei WLANs die Mechanismen für eine garantierte Quality of Service (QoS). Daher taugen sie in Betrieben höchstens für die Bürokommunikation, aber kaum für zeitkritische Produktionsabläufe mit Bandbreitenpeaks. Denn WLANs nutzen Frequenzbänder (2,4 und 5 GHz), die weltweit von jedermann gratis genutzt werden dürfen. Dadurch sind WLANs weder sonderlich stabil noch sehr zuverlässig, da sie im Gegensatz zum Mobilfunk keine lizenzierten Bänder nutzen, in denen sie ungestört funken können.
WLANs und deren Grenzen
Somit können WLANs weder eine dauernde Konnektivität noch hohe Bandbreiten garantieren. Das mag zum Surfen, für E-Mails oder nicht dringende Statusabfragen ausreichen, doch bereits in Bürogebäuden sorgen Engpässe auf der WLAN-Verbindung für langsame Datentransfers oder gestörte Video-Sessions mit verzerrten oder verzögerten Ton- und Bildübertragungen. WLANs reagieren zudem sehr empfindlich gegenüber Reflexionen oder Hindernissen aus Beton und Glas. Auch in gut isolierten Minergie-Gebäuden stossen WLANs an ihre physikalische Grenzen.
Im Industriebereich sind solche Effekte noch schwerwiegender, wenn man zum Beispiel anlaufende Produktionen oder sicherheitsrelevante Prozesse denkt. Ausserdem sind WLANs kaum skalierbar, was sich besonders in Wachstumsbranchen negativ bemerkbar macht. Denn wenn die Anzahl vernetzter Maschinen und Anwendungen steigt, laufen WLANs bald einmal am Limit.
Hinzu kommt, dass ein WLAN keinen Handover kennt und sich der Benutzer beim Wechsel am neuen Access Point jeweils neu authentifizieren muss, was schnell einmal 15 Sekunden dauern kann. Eine wichtige Voraussetzung für fahrerlose Transportsysteme sind nahtlose Funkzellen. In einem WLAN würde der Roboter oder das autonome Fahrzeuge beim Wechsel in eine andere Zelle oder bei Signalschwäche zunächst anhalten, eine neue Verbindung aufbauen und erst dann weiterfahren – in kontinuierlichen Abläufen völlig undenkbar.
LTE/4G für Massive IoT
Im industriellen Umfeld sowie für das Internet of Things (IoT) wurde die vierte Mobilfunkgeneration Long Term Evolution (LTE/4G) um zwei Service-Kategorien erweitert: NB-IoT (Narrowband IoT) und Cat-M1 (auch LTE-M genannt). Beide sind abgespeckte LTE-Varianten, welche Daten mit nur 20 bis 30 Kbit/s (NB-IoT) oder maximal 100 Kbit/s (LTE-M) übertragen können. Auch die mögliche Reichweite wurde begrenzt, denn neben der Datenrate ist auch die Reichweite entscheidend für die Batterielebensdauer.
Sie beträgt maximal zehn Jahre bei NB-IoT und fünf Jahre bei LTE-M und sinkt mit höherer Datenrate und erhöhter Reichweite. Um möglichst wenig Sendeleistung zu erzeugen, wurde der Übertragungsmodus angepasst.
Statt Vollduplex-Übertragung wie bei normalen LTE-Endgeräten können NB-IoT-Geräte nur entweder senden oder empfangen (Halbduplex), was für unkritische Anwendungen im Bereich Massive IoT ausreicht.
Auch ausserhalb von Gebäuden bildet LTE/4G eine hervorragende Basis für die mobile Breitbandkommunikation. Es wurde bereits 2012 in der Schweiz eingeführt, seither kontinuierlich ausgebaut und versorgt heute mehr als 99 Prozent der Bevölkerung.
5G Features
Wegen des grossen Erfolgs von LTE/4G und der stark ansteigenden Datenmengen auf den Mobilfunknetzen wurde 2019 5G lanciert. Es bietet hohe Datenraten von bis zu 2 Gbit/s, sehr tiefe Latenzen von nur 3 bis 5 Millisekunden und eine Abdeckung von über 96 Prozent (Basis-5G). 5G unterstützt zudem verschiedene Nutzerprofile und reserviert für bestimmte Nutzer via «Network Slicing» eigene Netzkapazitäten. Davon profitieren nicht nur Rettungs- und Sicherheitsdienste, sondern auch «mission-critical» Anwendungen, etwa zur Verkehrsregelung in Echtzeit. Bei 5G koexistieren verschiedene Datenströme mit nutzerabhängigen Parametern, sodass zum Beispiel bestimmte Datenpakete mit minimaler Latenz und andere mit maximaler Datenrate transportiert werden.
Ein weiteres wichtiges Feature ist das sogenannte «Beam Forming». Dank variabler Antennencharakteristik kann 5G damit einen schmalen, dafür längeren Strahl («Beam») in eine entfernte Ecke einer Funkzelle führen oder aber ihn massiv kürzen, dafür verbreitern, um damit eine höhere Sendeleistung auf eine kurze Distanz zu beschränken und einem nahen Teilnehmer einen möglichst schnellen Link bereitzustellen. Besonders die ländliche 5G-Versorgung mit Breitbanddiensten via Fixed Wireless Access (FWA) profitiert davon, aber auch Funkzellen mit hoher Last. Diese Beams werden ultraschnell auf- und abgebaut und dazwischen die Daten mit hoher Geschwindigkeit übertragen. Dies zeigt die Flexibilität und Effizienz von 5G, das die Ressourcen situationsgerecht aufteilt.
Mobile Edge Computing (MEC)
Für Echtzeitanwendungen minimiert 5G die Latenz noch weiter, indem es einen Teil der Netzintelligenz zur ultraschnellen Verarbeitung der Daten möglichst nah an die Endgeräte heranrückt – aus Sicht des Netzbetreibers an den Rand («Edge»). Daher spricht man hier auch vom Mobile Edge Computing (MEC). Jede Basisstation enthält einen eigenen MEC-Server, der Daten aus der Cloud beschafft, lokal speichert und verarbeitet – möglichst genau jene Daten, welche die an der Basisstation angemeldeten Clients gerade benötigen, etwa in Produktionsprozessen oder zur Verkehrslenkung. Dies erfolgt mithilfe statistischer Voraussagen, sodass lokal benötigte Daten aus einer lokalen Cloud schneller bereitgestellt werden, anstatt sie von weit her zu holen.
Industrie 4.0 mit 5G
Die industrielle Produktion steht in Europa unter hohem Kosten- und Zeitdruck. Zudem fehlen in vielen Bereichen Fachspezialisten, sodass möglichst flexible und kostengünstige Produktionsanlagen gefordert sind. Die Idee zur Verbindung von Maschinen wird in der Praxis bereits umgesetzt und nimmt weiter zu, idealerweise mit 5G als mobiler Übertragungstechnik. Auf diese Art und Weise entstehen zurzeit in Europa zahlreiche private 5G-Campusnetze, die ein Geschäftsgebäude oder einen Campus mit mobiler Kommunikation versorgen.
Darüber vernetzte Sensoren kommunizieren über mobile Datenverbindungen untereinander oder mit einer zentralen Steuerung. Diese erkennt zum Beispiel den Standort von Ressourcen in der Produktionshalle oder auf der Baustelle, was besonders in hektischen Momenten für kühle Köpfe sorgt. Auch Maschinen und Anlagen melden via 5G ihren genauen Wartungsbedarf über Zustands- und Fehlermeldungen.
Premiumprodukte dank 5G
Gerade in der industriellen Produktion besonders hochwertiger Produkte wie in der Medizinaltechnik verbreitet sich 5G schnell. Sensoren erfassen etwa den genauen Standort von angelieferten oder selbst gefertigten Halbfertigprodukten und Teilen, deren Status sowie potenzielle Fehler während der Produktion. So nutzt das innovative Schweizer Medizinaltechnik-Unternehmen Ypsomed ein 5G-Campusnetz bereits seit 2017 am Standort Solothurn und konnte dank hoher Effizienz Arbeitsplätze in der Schweiz sichern.
Ein gutes Beispiel für die 5G-Nutzung in der Produktion liefert auch die deutsche Autoindustrie, wo nicht nur Anlagen und Maschinen, sondern schrittweise auch Industrieroboter via 5G vernetzt werden. Dank 5G besteht zudem die Möglichkeit zum Laden grosser Software-Pakete. Der Software-Anteil steigt laufend, auch wegen der wachsenden Anzahl an Assistenzsystemen und komplexen Steuergeräten. Vor deren Inbetriebnahme müssen in der laufenden Produktion schnellstmöglich grosse Datenmengen aufs Fahrzeug geladen werden, was erst mit 5G möglich wird.
5G als Schlüsseltechnologie
Nach Expertenmeinung wird die voll vernetzte Fabrik einen grossen Einfluss auf die zukünftige Produktion haben. Eine leistungsfähige Netzarchitektur, die Reaktionen in Echtzeit erlaubt, ist für diese Entwicklung unerlässlich. Neben der sehr hohen Zuverlässigkeit brilliert 5G auch mit seinem tiefen Energiebedarf. Trotzdem bietet 5G eine rund 1000-fach höhere Netzkapazität als das immer noch leistungsfähige 4G/LTE und kann mit weniger Energie eine deutlich grössere Anzahl von Endgeräten mit mobiler Konnektivität versorgen.
Bei der hohen Endgerätedichte in Logistikcentern, in der produzierenden Industrie oder im Verkehr, aber auch auf Baustellen oder in Bahntunnels wird 5G damit zur Schlüsseltechnologie. Denn eine garantierte Bandbreite zu jeder Zeit und an jedem Ort mit schneller und praktisch verzögerungsfreier Datenkommunikation dank ultratiefer Latenz sind einzigartige Eigenschaften, die ein WLAN bei Weitem nicht bieten kann – erst recht nicht, wenn hohe Sicherheit gewünscht ist.
5G-Campusnetze
Im Geschäftsbereich existieren Dutzende Ideen zur Nutzung von 5G. Man könnte nicht nur öffentliches, sondern auch firmeninternes Terrain bestens mit ultraschnellen mobilen Verbindungen versorgen. In der Öffentlichkeit sorgt die Zahl 5 gefolgt vom einem G noch immer für heisse Diskussionen. Dass private 5G-Sender hierzulande auf Firmenterrains nur selten anzutreffen sind, hat weitere Gründe.
So gibt es in der Schweiz keine weitreichende industrielle Massenproduktion wie etwa in Deutschland oder Frankreich. Und man trifft nur selten auf Politiker, die unsere Kommunikationsnetze im Fokus haben und sich dafür einsetzen. Auch 5G-Campusnetze werden sogar in den zuständigen Bundesämtern kaum wahrgenommen. In Konsequenz sind dafür auch keine Frequenzen vorgesehen. Ob 5G-Campusnetze bei der nächsten Frequenzauktion (2028) im Blickfeld des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom) oder der Versteigerungsinstanz ComCom sind, ist unbekannt.
Interessierte Firmen können beim Bakom lediglich eine «Funkversuchskonzession» beantragen, die aber nur während eines Jahres gültig ist. Diese Möglichkeit hat die Stürmsfs AG, ein Metallverarbeiter in Goldach, genutzt und setzt 5G als Netztechnologie für ihr Werksgelände ein. Zwar nutzen andere Firmen 5G-Kleinsender auf ihrem Campus, der jedoch an eine öffentliche 5G-Domäne angehängt wird. Trotz sicherheitstechnischer Vorbehalte ist dies zurzeit jedoch die einzige Möglichkeit ausserhalb der «Funkversuche».
In Deutschland vergibt die zuständige Bundesnetzagentur (BNetzA) entsprechende Lizenzen für 5G-Campusnetze im reservierten Frequenzband (3,7–3,8 GHz) recht freizügig. Dafür werden jeweils nur wenige Tausend Euro fällig, was die Hürden für 5G-Campusnetze bewusst tief hält. Die Anwendungen reichen von der industriellen Produktion und ICT-Firmen über Forschungsinstitute und Hochschulen bis hin zur Forstwirtschaft und Filmstudios. Bis Ende Januar 2023 erfolgten bereits rund 300 Frequenzzuteilungen durch die BNetzA. Die entsprechende Liste wird jeden Monat länger.
Zudem fördert das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) 5G-Campusnetze allein 2022 mit 33 Millionen Euro für sieben Projekte mit 56 Partnern. Weitere vier deutsch-französische 5G-Kooperationen wurden mit weiteren 17,7 Millionen Euro gefördert. In der Schweiz hingegen erhält kein Netzbetreiber öffentliche Fördergelder.
Das grösste deutsche 5G-Campusnetz besteht auf dem Messegelände Hannover. Es ist mit einer überdachten Fläche von 496 000 Quadratmetern und 26 Messehallen das grösste Messegelände der Welt. Zu der 131 Hektar grossen Kernfläche gehört auch ein Tagungszentrum. Die traditionelle Hannover-Messe bietet auch vielen Schweizer Firmen eine ideale Vermarktungsplattform.