«Open Source ist top und dem Markt teils Jahre voraus»

Beispiele für die Vorgehensweise

CW: Können Sie ein Beispiel für das Vorgehen geben?
Rodler: Zuerst werden eine Spezifikation und Designs für die zu entwickelnde Lösung festgelegt. Der Programmierer soll früh sehen können, wie eine Software später aussehen soll, weshalb wir in einem frühen Stadium mit nahezu fertigen – und sogar animierten – Designs arbeiten. Nun beginnt der Entwickler mit seiner Arbeit, übergibt den Quellcode allenfalls an einen Kollegen in einer anderen Zeitzone. Bereits bei dieser Übergabe, wenn der Code in das Quellcode-Managementsystem Git eingecheckt wird, folgt die erste automatisierte Prüfung. Hier sind Tools wie Jenkins und Selenium am Werk. Sollte noch eine manuelle Prüfung erforderlich sein, generiert die Plattform automatisch ein Ticket, das die zuständigen Tester einbezieht.
Andrea Wörrlein: VNC ist im Kern ein Entwicklungshaus, das wöchentlich neue Releases veröffentlicht. Daneben betreiben wir Grundlagenforschung.
Zur Person
Andrea Wörrlein
ist Verwaltungsratsmitglied und Gründerin von VNC. Sie bekleidet diese Posten seit 2006. Parallel amtet sie seit 1998 als CEO der deutschen Tochtergesellschaft von VNC. Wörrlein hat ihr Magister-Studium an der Universität Erlangen-Nürnberg mit einem Master of Arts abgeschlossen.
CW: Welche Art von Grundlagenforschung betreiben Sie?
Rodler: In grossen Organisationen ist die User-Verwaltung eine He­rausforderung. Zukünftig wird das Thema durch das Management von Devices – Stichwort Internet 4.0 – noch komplexer. Anfangs haben wir geglaubt, wir können die Probleme mit LDAP lösen. Das war ein Fehlschluss. Neu integrieren wir LDAP mit Datenbanken wie MySQL, MariaDB oder PostgreSQL, um die grossen User- respektive Device-Zahlen verwalten zu können.
Seit gut einem Jahr beschäftigen wir uns ausserdem intensiv mit der Artificial Intelligence. Wir prüfen den Einsatz bei Chat, bei Groupware und im Projektmanagement. Daneben kann die künstliche Intelligenz dem Helpdesk nützen: Viele Support-Tickets betreffen bestimmte Fragestellungen, etwa Passworterneuerung oder User-Berech­tigungen. Anhand einer Knowledge Base lassen sich diese Support-Fälle ohne manuellen Eingriff abwickeln.
Wörrlein: Die Technologien mit künstlicher Intelligenz wollen wir auch für das Projekt-Controlling einsetzen. So können wir schon nach wenigen Wochen im Projekt vorher­sagen, ob das Budget und der Zeitplan realistisch sind oder ob sie adaptiert werden müssen.
CW: Sind überhaupt Terminprojekte mit der Open Source Community möglich?
Rodler: Da sprechen Sie eine echte Herausforderung an. Bei der Disziplin und Termintreue unterscheiden sich die verschiedenen Produkt-Communities stark voneinander. Zum Beispiel stehen im Bereich der Content-Management-Systeme hervorragende Open-Source-Produkte zur Ver­fügung. Allerdings ist es tatsächlich problematisch, die Entwickler zu einer effizienten und zielorientierten Arbeitsweise zu bewegen. Ein Grund ist sicher die sehr flache Hierarchie innerhalb der Community, ein anderer das Fehlen von Vordenkern. Dennoch sind die Produkte top, dem Markt teilweise Jahre voraus und die Releases immer einwandfrei. Wenn unsere Kunden mit bestimmten Anforderungen kommen, müssen wir dann eben die Funktionen selbst entwickeln.
Wörrlein: In diesem Produktbereich haben wir schon Millionen Franken investiert.
Rodler: Der Grund für diese hohen Investitionen ist einfach: Die Lösung ist die perfekte
Alternative zu Microsofts erfolgreichem und kommerziell lukrativem SharePoint. [lacht]
Wörrlein: Zwei sehr aktive Communites gibt es im Bereich des File Sync & Share. Hier können auch unsere Kunden zwischen zwei Produkten wählen: der populären ownCloud und ihrem Fork Nextcloud. Da hinter beiden Lösungen jeweils eine kommer­zielle Unternehmung steht, findet bei beiden Produkten eine zielorientierte Entwicklung statt. Hier müssen wir wenig zusätzliche Investitionen tätigen.



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